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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Süddeutschland gestalten sich in ähnlicher Weise die Berchteljagd oder das Berchtenlaufen, die am Vorabend des Dreikönigstags, 6. Januar, abgehalten werden. Zweifellos hängen diese Umzüge mit der altheidnischen Verehrung der Göttin Berchta zusammen. Nach und nach verblassten die alten Göttergestalten; die aufgeklärtere Neuzeit war dem wüsten Lärme, dessen Zweck sie nicht verstand, wenig hold und allmählich wurden diese Bräuche verpönt; sie verschwanden gänzlich oder nahmen ruhigere Formen an.

Nun liefen in den Nächten um die Jahreswende Burschen und Mädchen einzeln herum, klopften an Fensterläden und Thüren und heischten Geschenke. Das geschah in der Zeit von Weihnachten bis zum 6. Januar. Alte Sprüche, die dabei hergesagt wurden, haben sich bis auf den heutigen Tag erhalten. In Franken pflegen die Kinder bei ihrem Anklöpfeln zu sagen:

„Klopfe, klopfe, hämmerle!
’s Brot ligt inn Kämmerle
’s Messer ligt derneben:
solt mer eppes geben,
gut tal, gut tal,
und mein Gselln a en toil.“

Der schwäbische Spruch für diesen Brauch lautet:

„Holla, holla, Knöpflesnacht!
Guts Johr, guts Johr, daß ’s Korn grat!
Kraut un Zwiebel
Ischt an net übel.
Bhüet uns got vorm totengrübel!“ (Totengräber.)

In Thüringen hat die Sitte eine andere Form erhalten. Hier laufen in den Tagen nach dem Weihnachtsfest die Kinder in den Straßen umher und schlagen mit Ruten oder grünen Tannenzweigen an die Häuser, indem sie gleichfalls Gaben heischen. Der grüne Zweig, das Symbol des Lebens inmitten der toten winterlichen Natur, wird auch zum Peitschen von Personen benutzt, wobei der Spruch gang und gäbe ist:

„Guten Morgen!
Frisches Grün!
Langes Leben!“

Die schönste Entfaltung gewann diese Sitte gegen das Ende des 15. Jahrhunderts in Nürnberg. Man klopfte dort in der Neujahrsnacht mit einem hölzernen Hammer an die Thüren der Häuser, in welchen Freunde, Bekannte und Geliebte wohnten, und sagte dabei einen gereimten Neujahrswunsch her. Auf diese Weise entstand in Nürnberg eine besondere Art von Neujahrsgedichten, die mit den Worten „Klopf an!“ anfangen; sie wurden vielfach gedruckt und haben sich infolgedessen bis auf unsere Tage erhalten. Eins der kürzesten sei hier als Beispiel angeführt:

„Klopf an, klopf an!
Mein herz hat sich auf getan,
Und wünsch dir glück und alles gut,
Gesunden leib und frischen mut,
Vil guter jar und lank leben:
Das muß dir got auf erden geben!
Ich wünsch dir ein fräulein wolgestalt,
Das dir im herzen wol gefalt
Und dich lieb hat für ander knaben:
Die soltn dir zum neun jar haben.“

Am meisten hat sich in dieser Dichtungsart Hans Folz hervorgethan, der aus Worms stammte, sich in Nürnberg ansiedelte, wo er Barbier war und wahrscheinlich auch eigene Druckerei besaß. Er war als Meistersinger thätig und ist der zwölfte der zwölf alten Nürnbergischen Meister. In der Litteratur nimmt er einen Ehrenplatz als einer der bedeutendsten Fastnachtsspieldichter seiner Zeit ein. Seine „Klopf an“ wurden von Oscar Schade gesammelt und im II. Bande des „Weimarischen Jahrbuchs“ herausgegeben. Diese Neujahrsgedichte sind zum Teil satirisch und geißeln die Auswüchse der zeitgenössischen Sitten; mitunter sind sie sehr derb, ja unflätig, enthalten aber auch wahrhaft poetische Stellen.

Auch ein anderer Nürnberger Dichter, Hans Rosenblüt, unter dem Beinamen Schnepperer oder Schwätzer bekannt, hat ähnliche „Klopf an!“ gedichtet.

In diesen Dichtungen finden wir den Uebergang von der alten lärmenden Art, den Sylvester zu feiern, zu den ruhigeren Beglückwünschungen, die sich vielfach eingebürgert haben. Ganz und gar sind die lauten Bräuche jedoch nicht verschwunden. In den Großstädten drängt sich in der Jahreswende das Volk auf die Straßen und alle wünschen sich gegenseitig ein glückliches Neues Jahr; anderswo, wie z. B. in Süddeutschland, wird der fröhliche Lärm durch Schießen gesteigert. Dieser Sylvesterlärm ist vielleicht in der That nicht nur eine einfache Bethätigung der aufgeregten Stimmung, in der sich so viele am Jahresschluß befinden, sondern ein Nachklang der alten Bräuche. So lange er sich in anständigen Grenzen hält, kann er als ein Volksbrauch gut geheißen werden; ausarten sollte er jedoch nicht. Daran mögen die lustigen lauten Geister der Sylvesternacht denken. In diesem Sinne wünschen wir unsern Lesern und Leserinnen eine lautfröhliche Sylvesternacht und nehmen von ihnen Abschied in dem alten Jahre mit einem Sprüchlein von Hans Folz:

„Got wol dir geben als vil ern
Als der himmel hat manig stern,
Und so du gute zeit
Als vil santkörnlein im mere leit,
Und darnach das ewig leben,
Das muß dir got mit freuden geben.
Das wünsch ich dir zum neuen jar.
Sprich amen, daß es werde war!“



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 885. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_885.jpg&oldid=- (Version vom 30.10.2019)