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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Rachegöttin und Prophetin gleich, und jubelte dem Mörder und Rivalen ihres toten Gatten die Unsterblichkeit von Filippos Liebe und Filippos Ruhm entgegen. –

Magda fühlte eine Hand auf der ihren, fühlte sich fortgezogen und folgte mechanisch. Eine kleine Thür that sich auf und ein fremder, seltsamer Raum umfing Magda. Bemalte Leinwand und Lampen hinter Schutzgitter und Latten und Gebälk überall.

Sie stand mit Herrn von Rechenbach in der ersten Coulisse. Und vor ihr auf der Bühne bewegten sich allerlei Menschen: René, inmitten der Sänger, Bärwald an der einen, die Kaspari an der anderen Hand, und sie verbeugten sich, und immer wieder drang das dröhnende, erschütternde Geräusch des Beifalls neuentfacht zur Bühne empor. Kränze flogen hinauf.

Und Magda sah zu, als wäre das noch eine Aufführung für sich, daran sie keinen anderen Anteil habe als den des Zuschauens.

Endlich hatte das Publikum ausgerast und da entstand eine neue Bewegung auf der Bühne, indes mit schwerem Rasseln der eiserne Vorhang niederging.

Die buntgekleideten Menschen, mit Perücken und Schminken umarmten René und er umarmte sie wieder und er küßte sie alle und des Jubelns war kein Ende. Sie waren seine treuen, tapferen Streitgenossen und ihm in diesem Augenblick viel werter und viel wichtiger als alle Ehren der Welt und alle Auszeichnungen, die ihn noch an diesem Abend erwarten mochten.

Sie waren die Kameraden seines Sieges und er dankte ihnen.

„Bärwald, mein Junge,“ rief er, „Du hast Dich ins Zeug gelegt … großartig!“ Er küßte ihn.

„Und Du, Kaspari! Die Lucrezia Buti macht Dir Deinen Ruf! Der Berliner und der Münchener wollen Dich beide haben, mitsamt meinem ‚Filippo‘. Das sichert mir auch dort den Erfolg! Du warst kolossal!“

Und er küßte auch die Kaspari.

Sie aber, das schöne, volle Weib sah ihm tief in die Augen und ihre Augen waren naß. Sie mochte mancher arbeitsfröhlichen und mancher lebenslustigen Stunde mit ihrem lieben Kapellmeister gedenken. Sie schüttelte ihm fest die Hand.

Magda, von einem unwiderstehlichen Drang getrieben, kam näher und näher. Die ganze Scene erschien ihr so natürlich, so selbstverständlich. Auch sie hätte alle diese Hände schütteln und all diesen begeisterten Künstlern danken mögen. Sie sah, daß alle außer sich waren und keiner imstande, das Maß des alltäglichen Gebahrens innezuhalten.

Und sie sah und hörte ohne zuckende Eifersucht – ja mit einem heißen Empfinden des Mitgefühls, der dankbaren Freude.

Da bemerkte René sie. Er that einen Jubelruf, sprang auf sie zu und schloß sie kurz in seine Arme. Dann nahm er ihre Hand und trat mit ihr in den Kreis der Künstler.

„Hier,“ sagte er, „Euch zuerst sei sie vorgestellt! Das ist meine Magda, meine Braut, bald mein Weib! Mein lieber, mein strenger, mein guter Engel!“

„Hoch!“ rief Bärwald, „hoch unseres Meisters Meisterin!“

Und brausend umhallte der Ruf die vor Glück weinende Magda.

„Nein,“ dachte sie, „nicht seine Meisterin, sein treues, geduldiges Weib!“

René ergriff ihre beiden Hände. Mit einem festen und großen Blick sahen sie einander in die Augen. Sie wußten es, nicht alle Stunden der Zukunft konnten so glänzend sein wie diese, sie würde auch ihnen, wie allen Sterblichen, mehr Kämpfe als Siege bringen.

Und Magda wußte auch, daß es vielleicht ihr tragisches Los sein werde, jede Stunde des Glücks mit bitteren Thränen der Sorge zu bezahlen; immer neu streiten zu müssen um seine Liebe, um seinen Besitz.

Aber in ihr lebte der heilige Glaube, daß ihre Treue die Erlöserin sein werde, wenn das Leben den leidenschaftlichen Mann wieder und wieder in Gefahr bringen sollte, sich zu verlieren.

Sie fühlte sich emporgetragen zu jenen Höhen der Liebe, die über allen Zweifeln und über aller Selbstsucht steht.

Und René fühlte, daß ihre Liebe in dem Sturm seines Lebens wie ein Fels sein würde: unerschütterlich und unveränderlich.

In ihren Seelen brannte der heilige Wille, einander Glück zu geben. Und indem sie mit heißen Blicken dies Gelöbnis tauschten, umbrauste sie noch einmal der frohe Jubelruf: „Hoch Meister René und seine Braut!“



Sylvesterlärm.

Skizzen von Erich Falk.0 Mit Illustrationen von Peter Schnorr.

Vor Jahren war es ... In der Musenstadt, wo wir studierten, sollten mit des Jahres letzter Stunde die alten biederen Nachtwächter ihr beschwerliches Amt der löblichen Polizei abtreten. Ob der lustigste Teil der ewig fröhlichen akademischen Jugend im stillen den Beschluß gefaßt hatte, die „Polypen“ durch besondere Ovationen zu „begrüßen“ – das kann nicht mehr aktenmäßig festgestellt werden. In sichtlicher Spannung vergingen aber die letzten Stunden des dahinscheidenden Jahres an den Biertischen der beliebtesten Studentenkneipen. In unserem Kreise saß auch ein Musensohn, ein eifriger Germanist, der, den alten Deutschen gleich, ehe das alte Jahr ging, immer noch eins trank und – als nun endlich von den Türmen der Stadt die Sylvesterglocken läuteten – in urfideler Stimmung die Straße betrat. Unter den „Prost Neujahr“-Rufern war er einer der lautesten … Einige Tage darauf hatte er sich wegen nächtlichen Lärmens vor dem Universitätsrichter zu verantworten und er verteidigte sich mit der gelehrten Behauptung, es sei ein urgermanischer Brauch, in der Sylvesternacht zu lärmen.

Das moderne Gericht ließ diese Ausflucht nicht gelten, obwohl jene Behauptung an sich nicht ganz und gar unberechtigt war. Seit jeher ließen die alten Deutschen die Jahreswende nicht sang- und klanglos sich vollziehen. Und wenn unsere Uraltvordern auch vom Sylvestertage nichts wußten, so kannten sie doch die Wintersonnenwende und trieben in den Rauchnächten allerlei lauten Mummenschanz. Als nach und nach das Jahr in die Formen unseres heutigen Kalenders sich fügen mußte, als Weihnachten und Neujahr voneinander geschieden wurden, da beging das Volk die althergebrachten Feste hier an diesem, dort an jenem der neuen Feiertage. Weihnachten fiel dabei der Löwenanteil zu, weil es auch ein kirchlicher Feiertag war, der Sylvester kam dabei schlechter weg. Hier und dort haben sich auf diese Weise verschiedene Sitten und Bräuche aus alter Zeit erhalten, die die letzte Nacht des scheidenden Jahres zu einer sehr bewegten gestalten. Wir möchten z. B. nur an das „Zuschellen“ oder „Bröken“ erinnern, das in manchen Gegenden der Schweiz gebräuchlich ist.

Stille liegt über dem Dorfe, während am dunkel gewordenen Himmel die ersten Sterne aufblinken. Da ertönen in einem der dunklen Straßenwinkel durchdringende Töne schriller Blasinstruniente. Das ist ein Weckruf, der aus allen Richtungen vermummte Gestalten herbeilockt. Sie tragen zumeist Weiberkleider, aber es handelt sich nur um einen Mummenschanz, denn in den Unterröcken stecken Mannsleute. Jeder von ihnen schleppt irgend ein Lärminstrument herbei; dieser bringt einen Triangel, jener eine Kuhschelle, der andere ein Kuchenblech und ein anderer wieder rasselnde Ketten. Die Schar wächst, zwanzig, dreißig, ja sechzig Mann kommen zusammen und nun setzt sich der Zug lärmend und polternd in Bewegung. Vor dem Hause irgend eines Bewohners, der im Laufe des Jahres irgend eine That, die von der öffentlichen Meinung gemißbilligt wurde, begangen hat, wird Halt gemacht. Die vermummten Gestalten vollführen eine schauerliche Katzenmusik; dann tritt eine Pause in dem Lärm ein, und nun ergreift ein Volksredner das Wort, der den Missethäter in der allgemeinen Meinung durchzieht, seinen Lebenslauf in Knittelversen bloßlegt. Nach dem Schluß der Strafpredigt wird von neuem gelärmt und an Thüren und Fenster geschlagen. Dann zieht der Trupp vor ein anderes Haus, in dem mißliebige Personen wohnen, um ähnliche Auftritte zu veranstalten. Schließlich verläßt die Schar das Dorf, geht auf die Felder, auf einen erhöhten Punkt und lärmt, damit die Nachbargemeinde es höre.

In anderen Gegenden finden lärmende Umzüge statt ohne das an das oberbayrische Haberfeldtreiben erinnernde „Bröken“ oder Verhöhnen mißliebiger Personen. Da sammeln sich in einem Dorfe gegen Abend Burschen und junge Männer, alle mit rasselnden oder schellenden Werkzeugen ausgerüstet, und unter einem Höllenspektakel wandert die Schar über Berg und Thal nach dem Nachbardorfe, wo sie von der dortigen Jugend mit gleichem Spektakel empfangen wird. In der Mitte

der Lärmmacher befindet sich eine als Hexe vermummte Gestalt. In

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 884. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_884.jpg&oldid=- (Version vom 22.7.2023)