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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Wohl das Anziehendste an diesem überaus schlichten Phantasiegebilde des Augenblicks ist der persönliche Schluß. Die eingeklammerten Worte hat Ranke, als ihm der Schreiber das Diktat vorlegte, reuig gestrichen.

Man sieht, wie der Wunsch nach irdischer Unsterblichkeit seines Namens, die er durch rastlose Geistesarbeit so wohl verdient hat, zwar lebendig in ihm aufzuckt, aber sogleich wieder von einer an die Betrachtung des Allgemeinen, der Weltentwicklung im großen Und ganzen, gewöhnten Weisheit unterdrückt wird.

Sehr viel deutlicher treten Weltanschauung, reine und große Auffassung seines Berufs, allgemeine Gesinnung und persönliche Beziehung in dem folgenden wertvollen Dokumente zu Tage, das wir uns freuen, den Lesern zum erstenmal vorführen zu können.

Es ist ein Brief, den Leopold v. Ranke am 25. Mai 1873 von Berlin aus seinem jüngeren Sohn in die Feder diktiert hat; gerichtet an den älteren, der damals als junger Geistlicher bei den deutschen Occupationstruppen mit deren Befehlshaber, dem alten Freunde seines Vaters, General v. Manteuffel, vertrauten Umgang in Nancy gepflogen hatte. Das Buch, von dem die Rede ist, war der kurz zuvor von Ranke mit Erläuterungen herausgegebene „Briefwechsel Friedrich Wilhelms IV. mit Bunsen“, dessen Inhalt in politisch fernstehenden Kreisen nicht durchweg Beifall gefunden hatte. Alles andere in dem herrlichen Schreiben Rankes bedarf keines weiteren Kommentars.

 „Berlin, den 25sten Mai 1873.
 Lieber Otto!
Friedhelm, dessen Hand Du erkennst, ist es doch nicht, der hier schreibt; er führt nur heute, Sonntag nachmittag, einmal die Feder für seinen Vater, da sich Herr Sch. krank gemeldet hat. Gerade Sonntag mittag vermisse ich Dich und besonders Maxa mit ihrer Familie am meisten; sei mir also in der Ferne herzlich begrüßt!

Sehr erfreut hat mich die herzliche Aufnahme, die der „Briefwechsel“ bei Dir gefunden hat. Ein inneres Verständnis, das nur aus der Gesinnung kommt, gehört dazu, um dieses Buch zu würdigen. Hätte ich der öffentlichen Meinung beipflichten oder ihren Beifall gewinnen wollen, so würde ich das Buch nicht geschrieben haben. Aber das ist nie mein Sinn gewesen. Die historische Wissenschaft und Darstellung ist ein Amt, das sich nur mit dem Priesterlichen vergleichen läßt, so weltlich auch die Gegenstände sein mögen, mit denen sie sich eben beschäftigt. Denn die laufende Strömung sucht doch die Vergangenheit zu beherrschen und legt sie eben nur in ihrem Sinne aus. Der Historiker ist dazu da, den Sinn jeder Epoche an und für sich selbst zu verstehen und verstehen zu lehren. Er muß nur eben den Gegenstand selbst und nichts weiter mit aller Unparteilichkeit im Auge haben. Ueber allem schwebt die göttliche Ordnung der Dinge, welche zwar nicht geradezu nachzuweisen, aber doch zu ahnen ist. In dieser göttlichen Ordnung, welche identisch ist mit der Aufeinanderfolge der Zeiten, haben die bedeutenden Individuen ihre Stelle: so muß sie der Historiker auffassen. Die historische Methode, die nur das Echte und Wahre sucht, tritt dadurch in unmittelbaren Bezug zu den höchsten Fragen des menschlichen Geschlechtes.

Die Ruine Memleben.

Doch genug dieser Sonntagnachmittagspredigt! Leider muß ich fürchten: aus der fortgesetzten persönlichen Gemeinschaft mit Dir, von der ich hoffte, sie würde uns beschieden sein, wird nicht viel werden. Die Männer, welche die Lage der Sache kennen, sprechen uns nicht alle Hoffnung ab, aber vertrösten mich allezeit auf spätere Möglichkeiten. Der Prediger Frommel, den ich neulich sah, giebt Dir den Rat, bei der Militärpredigerlaufbahn zu bleiben.

Ich höre, Du denkst, wenn sich dort alles auflöst, eine Reise anzutreten – aber wohin? Ich weiß nicht, ob Du einen unwiderstehlichen Zug nach England hast. Wäre das nicht der Fall, so würde ich Dir raten, die heiligen Stätten im Orient aufzusuchen. In dem ersten Anfang unserer Ehe hatte ich mit Deiner Mutter diesen Gedanken gefaßt. Wir würden ihn wahrscheinlich ausgeführt haben, wären wir nur allein geblieben und besonders Deine Mutter gesünder. Ich wollte dann ein Leben Jesu schreiben mit der Lokalfarbe, wie sie bei Renan breit und markig hervortritt, aber in anderem Sinn; nicht ohne die Phantasie, die das Unglaubliche als poetisch religiöse Wahrheit zu fassen strebt. Ich will Dir nun nicht gerade raten, dies Unternehmen selbst auszuführen – ich glaube kaum, daß es mir gelungen wäre; mein Beruf war es eben nicht in der Welt. Aber es wird Dir zu großer Genugthuung gereichen und Deinen religiösen Gefühlen eine Art von lokalem Hintergrunde geben; das Evangelium würdest Du noch besser verstehen lernen. Nachher kämest Du auf einige Zeit zu mir, um dann dahin zu gehen, wohin die göttliche Vorsehung Dich ruft. Der Glaube an die Vorsehung ist die Summe alles Glaubens; ich halte ihn unerschütterlich fest.

So hast Du jetzt das Glück gehabt ohne viel Zuthun von unserer Seite, dem unübertrefflichen Manne zur Seite zu stehen, dessen Freundschaft zu dem Glück meines Lebens gehört. Der Umgang mit ihm selbst und mit seiner Familie ist unschätzbar für Dich gewesen und wird es für Dein ganzes Leben bleiben. Wenn ich ihm nicht öfter schreibe, so liegt das nur daran, daß ich ihm nichts Besonderes zu sagen weiß. Ich entbehre es, daß ich ihn und Dich nicht wohl besuchen kann; meine hohen Jahre und allerlei Gebrechlichkeiten verhindern mich daran, eine Reise zu unternehmen, die lang und komplicirt ist. Ich hätte wohl gewünscht, etwas Näheres über die Anwesenheit von Frau v. Manteuffel in Paris und ihre Beziehungen zu den Damen des Herrn Thiers zu vernehmen. Das ist doch auch eine Gesellschaft, die mich in hohem Grade interessirt. Laß Dir einiges erzählen und schreibe es mir ausführlich. Sage Frau v. Manteuffel sowie dem General meine herzlichsten Grüße und empfange sie auch selbst, trauter Otto, von  Deinem Vater!“

Aller guten Dinge sind drei; so bieten wir denn zum Schluß unseren Lesern eine Gabe, auf die sie vor allen anderen Deutschen ein besonderes, wohlerworbenes Recht besitzen. Im Frühjahr 1885, nicht lange vor dem siebzigsten Geburtstag des Fürsten Bismarck, wandte sich der bekannte Romanschriftsteller Hermann Heiberg im Auftrag der Redaktion der „Gartenlaube“ an den neunundachtzigjährigen Ranke mit der Bitte, zu jenem Festtage eine historische Skizze über den großen deutschen Staatsmann für unser Blatt zu verfassen. Ranke hat dem Verlangen leider nicht zu willfahren vermocht; denn er war zu tief in die Arbeit am sechsten Bande seiner Weltgeschichte versenkt: Er hat oftmals betont, daß man in dem Gegenstande leben müsse, für den man etwas leisten wolle; an eine Unterbrechung des einen Studiums durch ein anderes war daher bei ihm niemals zu denken. Trotzdem konnte er der Versuchung nicht widerstehen, in einer kurzen Mußestunde seinem Amanuensis ein Paar Grundgedanken seiner Ansicht von der weltgeschichtlichen Bedeutung Bismarcks zur Niederschrift zu diktieren. Dieser kleine Aufsatz, damals von Ranke im Pult zurückbehalten, ward uns heute freundlich zur Verfügung gestellt. Unsere Leser werden sich freuen, so die Stimme unseres größten Geschichtschreibers über den größten Staatsmann seiner

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 874. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_874.jpg&oldid=- (Version vom 24.7.2023)