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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

und die von Cosimo gegründete Platonische Akademie erreichte unter Lorenzo ihre höchste Blüte.

Es ist der merkwürdigste Zug dieser unvergleichlichen Natur, daß er auf keinem Gebiete Dilettant war, sondern „für jede Thätigkeit, die er ergriff, geboren schien“.

Vom Kaufmann war keine Faser mehr in ihm und den ungeheuren ererbten Besitz konnte er nur noch verschwenden, freilich für die edelsten Ziele der Menschheit. Es kam ein Augenblick, wo die große mediceische Bank vor dem Ruin stand und wo Staatsgelder zu Hilfe genommen werden mußten. Diesen Vorwurf teilt Lorenzo mit Perikles.

Als Herrscher kann man ihn den ersten modernen Staatsmann nennen, weil bei ihm zuerst die Rücksicht auf dauernden Kredit den augenblicklichen Vorteil überwog. Seine Politik lebte nicht von der Hand in den Mund, sondern schuf bleibende Zustände über die ganze Halbinsel. Von Blut hielt er die Hände rein – so weit es ein Herrscher in jenen gewaltsamen Zeiten konnte. Auch den Ueberlebenden der Pazzi[1] milderte er bald ihr hartes Strafurteil und hob es mit der Zeit ganz auf.

Doch da bekanntlich nichts schwerer zu ertragen ist als eine Reihe von guten Tagen, so stiegen nun aus dem Schoße des Friedens und der allgemeinen Wohlfahrt selbst die Wolken herauf, die den kommenden Sturm in sich trugen.

Die alte Einfachheit der Sitten war geschwunden; mit der höheren Bildung und dem rascheren Umlauf des Geldes entwickelten sich Luxus und Verfeinerung, jenes weiche Element, in dem die Kunst ihre üppigsten Blüten treiben kann, das aber zugleich die Korruption und alle Keime der Entartung zeitigt. Man hört noch heute den Vorwurf wiederholen, daß Lorenzo absichtlich sein Volk durch rauschende Feste betäubt, durch Genüsse entnervt habe, um ihm den Verfall seiner Freiheit zu verbergen. Aber diese Freiheit hatte schon vor Lorenzo nur noch der Form nach bestanden und die Verderbnis wäre auch ohne ihn gekommen, denn sie war der allgemeine Zug der Zeit. Ihn selber rissen Prachtliebe und Genußfreude hin, als er den florentinischen Karneval, jenes Abbild der antiken Saturnalien, ins Leben rief, und er mischte sich selber zwanglos fröhlich in die glänzenden, von Künstlern arrangierten Maskenzüge. Für sie dichtete er die berühmten Karnevalsgesänge, durch deren jauchzenbe Lebenslust sich ein Refrain schon wie eine leise Ahnung vom nahen Ende all dieser Herrlichkeit zieht – [2]

Chi vuol esser lieto, sia!
Di doman non c’ è certezza.

Doch was für ihn selbst nur ein Ausspannen aus ernster aufreibenber Arbeit bedeutete, das wurde bei andern, denen dieses Gegengewicht fehlte, zur Uebersättigung und inneren Leere.

Das Sterbehaus Lorenzos zu Careggi.

Ein Rückschlag mußte kommen und Lorenzo hatte ihn selber eingeleitet, als er auf Wunsch seines Freundes Pico von Mirandola den Dominikanermönch Girolamo Savonarola als Prediger aus Ferrara nach Florenz berief.

Dieser, ein asketischer Visionär von beschränktem Gesichtskreis aber glühenber Seele, riß zuerst von allen verdeckten Schäden die Hülle. Im Klosterhof von San Marco unter einem Rosenbaum, von dem noch heute ein später Setzling grünt und treibt, predigte er unter ungeheurem Zudrang aller Stände gegen die einreißende Sittenverderbnis. Damals, im Beginn seiner Laufbahn, als ihm seine phantastischen Visionen den Kopf noch nicht verrückt hatten, war sein Streben ein verdienstliches; er wollte die gesunkene Kirche reformieren und die öffentliche Moral heben. Man war zwar noch nicht in den Zeiten der Borgia, aber nahe davor, Prunksucht und Genußsucht zerrütteten die Gesellschaft, die Geistlichkeit gab selbst das Beispiel, Treue und Glauben waren aus der Welt geschieden, das Schönheitsgesetz, das nur erlauchte Naturen binden kann, ließ die große Herde der Menschen ohne Halt. Das letzte Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts war ein fin de siècle, neben dem das unsrige ein sehr spießbürgerliches Gesicht hat. Die Sehnsucht nach der Wiederkehr einer reineren, strengeren Welt, wäre es auch auf Kosten aller Genüsse, selbst der edelsten, der des Geistes, schlich durch die besseren Gemüter.

Auf diesen Boden fielen wie ein Gewitterregen die Mahnungen Savonarolas und seine Ankündigungen eines nahen furchtbaren Strafgerichts. Italien horchte hoch auf bei diesem neuen Ton; es fühlte sich erschüttert und glaubte an den Propheten.

Lorenzo, in dessen tiefer Seele auch die religiöse Saite klang, suchte sich ihm anfangs zu nähern, aber der Fanatiker stieß die dargebotene Hand zurück. Geschenke, mit denen Lorenzo nach wie vor das Kloster bedachte, warf er ihm von der Kanzel herab als Bestechungsversuche vor. Ein guter Wächterhund, sagte er mit Anspieluag darauf, belle den Dieb, der seinen Herrn bestehle, an, auch wenn er ihm einen Knochen vorwerfe. Der Dieb an seinem Herrn war für ihn Lorenzo, den er öffentlich als Urheber der Sittenverderbnis und als Tyrannen anklagte.

Lorenzo blieb gelassen; er war zu stolz, den Ferraresen von dem Posten, auf den er ihn gestellt hatte, zu entfernen. Die Gegensätze lagen damals so nahe beisammen, daß Lorenzos ergebenste Freunde zugleich Freunde des Mönches sein konnten, gewiß ein Zeichen, daß es mit der „Tyrannis“ nicht schlimm bestellt war.

Naturen wie die Lorenzos verzehren sich rasch. Im Beginn der Vierziger stehend, mag der einst so kräftige Mann, der auf Turnieren gesiegt hatte, wohl dem von uns mitgeteilten Bilde geglichen haben, über dessen geneigter Haltung und sinnender Miene schon die Schatten des frühen Todes zu liegen scheinen.

Im April des Jahres 1492 verschlimmerte sich das Magenleiden, das ihn seit längerer Zeit quälte so, daß er seinen Landsitz zu Careggi, das alte Sterbehaus der Mediceer, nicht mehr verlassen konnte. Die Mischung von zerstampften Perlen und Edelsteinen, die ihm ein in Eile vom Herzog von Mailand gesandter Arzt dort bereitete, war jedenfalls nicht geeignet, das Ende aufzuhalten.

Schwere Sorgen trübte seinen frühen Lebensabend: durch die Orsinische Heirat war ein fremder Blutstropfen in die Familie gekommen, sein ältester Sohn Piero hatte mehr vom römischen Feudalherrn an sich als vom florentinischen Bürger und versprach ein schlechter Steuermann für das Schiff zu werden, dessen schwieriger Kurs nur durch die Weisheit und Erfahrung des Vaters regiert werden konnte.

In den letzten Stunden wollte der Sterbenbe seine beiden Vertrautesten, Pico von Mirandola und Angelo Poliziano, um sich haben. Mit ihnen redete er in ungetrübter Heiterkeit von ihren gemeinsamen Studien und von der angelegten Bibliothek, die er wünschte vollendet ihnen hinterlassen zu können.

Aber noch eine andere Gestalt tauchte an Lorenzos Sterbelager auf, düster wie die Verkörperung des dem Mediceischen Hause drohenden Geschicks: der Mönch Savonarola. Was ihn nach Careggi geführt, was die beiden zusammen geredet, ist ungewiß. Man sagt, er sei von Lorenzo selbst gerufen worden und habe nach empfangener Beichte den Sterbenden aufgefordert, seinem Volke die Freiheit wiederzugeben, worauf Lorenzo stumm den Kopf nach

  1. Die Familie existiert noch heute.
  2. Ein Vers, unübersetzbar in seiner Einfachheit. Der Sinn ist:

    Freue sich wer kann des Lebens
    Keiner kennt die nächste Stunde.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 867. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_867.jpg&oldid=- (Version vom 29.5.2023)