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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

von bezahlten Condottieren geführt, die für die Sache, der sie dienten, kein Herz hatten und immer bereit waren, zu der Partei eines etwa besser zahlenden Gegners überzugehen. Jahrelang dauerte der Feldzug, bei dem wenig Blut vergossen, aber unendliches Elend über die betroffenen Landesstrecken gebracht wurde. Die Sienesen, den Florentinern von alters her übelgesinnt, öffneten dem Feinde den Paß ins Herz der Toskana und ein glänzender Sieg der Florentiner unter ihrem Feldhauptmann Roberto Malatesta am Trasimener See wurde durch die schrecklichen Verwüstungen des verbündeten Heeres im Chiana- und Elsathal zu nichte.

Ein Waffenstillstand enthüllte Lorenzo erst seine ganze Gefahr, denn nun wurde der Mißmut der Bürgerschaft laut. Die erschöpften Finanzen, die Stockung des Handels, die Verheerung des Landes, der ganze wirtschaftliche Niedergang mit Teuerung und Pest hatten die Begeisterung abgekühlt, man gab Lorenzo zu verstehen, daß, da dieser verderbliche Krieg um seinetwillen geführt werde, es nun an ihm sei, so oder so dem allgemeinen Elend ein Ende zu machen.

In dieser höchsten Not, wo nur ein Wunder retten konnte, griff der Bedrängte in seine eigene Brust und schöpfte dort einen jener Entschlüsse, die nur dem Genie, das sich auf einen starken Charakter stützt, gegeben sind.

Er wußte, daß auch Ferrante des langen Krieges überdrüssig war, und diese Gewißheit gab ihm den Mut, selbst nach Neapel zu gehen und sich in die Hände des Königs auszuliefern, um entweder als Bringer des Friedens zurückzukehren oder dort sein Leben zu lassen.

Das Wagnis war groß, denn über der Königsburg von Neapel schwebten noch die Schatten einer blutigen That: König Ferrante aus dem Hause Arragonien, dieser treuloseste und grausamste Despot in einer an Treulosigkeit gewohnten Zeit, hatte den berühmten Condottiere Jacopo Piccinino unter Freundschaftsversicherungen zu sich gelockt und ihn heimlich ermorden lassen. Wenn dies dem geladenen ahnungslosen Gastfreund geschehen war, welcher Behandlung durfte ein im offenen Krieg befindlicher Gegner gewärtig sein!

Aber Lorenzo vertraute auf sein internationales Ansehen, auf die Wirkung seiner Persönlichkeit, die noch jüngst den Mörderarm entwaffnet hatte, auf die Macht seiner Gründe und auf sein Glück.

In aller Stille verließ er die Stadt und teilte erst von unterwegs der Signoria seine Absicht mit. Wer am meisten Ehre genossen habe, schrieb er, dem gebühre es auch, die Gefahr aller auf sein Haupt abzulenken, und er, als der hauptsächlichste Stein des Anstoßes, sei am besten geeignet, die Gesinnungen des Königs an seiner eigenen Person zu erproben und mit einem Schlage die ungewisse Lage zu klären.

Da die Signoria den wagehalsigen Schritt nicht verhindern konnte, wollte sie Lorenzo wenigstens mit ihrer ganzen Autorität stützen und ernannte ihn deshalb zum offiziellen Gesandten der Republik.

In dieser Eigenschaft kam er in Neapel an und wurde dort mit fürstlichen Ehren empfangen. Der König sandte ihm Schiffe entgegen, alles strömte zusammen, den Mann zu sehen, um den der lange Krieg geführt wurde und der jetzt allein und wehrlos sich in die Höhle des Löwen wagte.

Lorenzo hatte seine Ueberredungskunst nicht überschätzt. Es gelang ihm schnell, den König von den Vorteilen einer gemeinsamen Politik zu überzeugen, und er wurde mit höchster Auszeichnung in Neapel behandelt; aber gleichwohl hielt der ränkevolle Monarch ihn drei volle Monate in Ungewißheit zurück, während heimlich die Agenten des Papstes geschäftig waren, ihn zu verderben.

Lorenzo ließ sich keine Unruhe merken; er lebte auf großem Fuße, gewann den Hof durch seine Geselligkeit, das Volk durch fürstliche Geschenke und wurde der populärste Mann in Neapel. Da in dieser langen Zeit in Florenz alles ruhig blieb und Ferrante nun einsah, daß der Medici eine Macht war, auf die man bauen konnte, entließ er ihn mit einem ehrenvollen Friedensbündnis in der Tasche.

Mit grenzenlosem Jubel wurde der Heimgekehrte in Florenz empfangen. Der Andrang um ihn war so ungeheuer, daß die nächsten Freunde ihm nur aus der Ferne mit Augen und Händen zuwinken konnten. Ganz Italien atmete auf, und als bald danach ein Türkeneinfall in Otranto die Fürsten zur Einigkeit zwang, ließ sich auch der grollende Papst durch gute Worte vollends versöhnen.

Noch zwölf glückliche Regierungsjahre folgten auf diese Stürme.

Aus den Blättern der Geschichte, soviel sie von Lorenzo de’ Medici berichten, tritt sein Bild nicht voll heraus. Um seine Größe zu ahnen, muß man in Florenz gelebt haben, wo man auf Schritt und Tritt den Spuren seines Wirkens begegnet und von wo die geistigen Keime damals über die ganze Welt hinausflogen. Zwar gebaut hat er lange nicht so viel wie sein Großvater Cosimo, die Zeiten waren dafür zu unruhig; aber was er für Malerei und Skulptur that, ist kaum zu überblicken; andere, daniederliegende Kunstzweige wurden durch ihn aus der Vergessenheit hervorgeholt, die verschüttete antike Welt ans Licht gezogen.

Eine Geselligkeit wie die seines Hauses hat es kaum jemals in der Welt wieder gegeben. Da wußte man nichts von Etikette und nichts von Unterwürfigkeit: Lorenzo war nur ein Bürger wie die andern. Die angeborene Feinheit und die hohe Bildung der Nation erlaubten die vollkommenste Natürlichkeit. Zwischen den Diplomaten und hohen Geistlichen bewegten sich Dichter, Künstler, Gelehrte im zwanglosen Verkehr, und die widerstreitendsten Elemente hielt der einzige Mann durch seine Persönlichkeit zusammen.

Kein begabter Mensch hat seinen Weg gekreuzt, der durch ihn nicht Anregung und Förderung gefunden hätte. Indem er auf die Art eines jeden einging und sich selbst ihre Launen gefallen ließ, um nur ihr Schaffen nicht zu stören, mehrte ihr Ruhm den seinigen.

Doch nicht nur die fertigen Talente wurden begünstigt, Lorenzo wußte auch die keimenden zu entdecken und heranzuziehen. Die mediceischen Gärten nebst dem angrenzenden Kasino wurden die Schule einer neuen Künstlergeneration, und es ist nicht der kleinste Ruhm Lorenzos, daß fast alle, die aus dieser Anstalt hervorgingen, sich später als bedeutende Menschen auswiesen. Auch der fünfzehnjährige Michelangelo fand dort liebevolle Pflege seines Talentes und wurde täglicher Gast an Lorenzos Tafel, wo die berühmtesten Männer Italiens beisammen saßen. Die Hausordnung war merkwürdig. Es gab keine Rücksicht auf Rangstufen und Alter, wer zuerst kam, setzte sich neben den Hausherrn und für etwa nachkommende Höhergestellte wurden keine Umstände gemacht. Der Same, der bei diesem Verkehr unter die Jugend gestreut wurde, brachte dem folgenden Jahrhundert seine überreichen Früchte. Hätte Lorenzo, als seine Reste nach vierhundertjühriger Ruhe jüngst ans Licht gefördert wurden, aus den leeren Augenhöhlen noch einen Blick auf die von Michelangelos Meisterhänden geschmückten Wände der Mediceerkapelle werfen können, wie würde er sich über die Größe des Schützlings gefreut haben, den er als Kind aus allen andern herausgefunden hatte!

Zu den nächsten Vertrauten, die mit Leidenschaft an ihm hingen und denen Lorenzo lebenslang ein standhafter, immer hilfreicher Freund war, gehörten vor allen die Dichterbrüder Pulci, der oft genannte Angelo Poliziano und das glänzendste Meteor dieses Kreises, der schöne blutjunge Fürst Pico von Mirandola, der freiwillig das Hofleben mied, um sich ganz den Studien zu widmen, und der mit zwanzig Jahren für den größten Gelehrten seiner Zeit galt.

Aber in Lorenzo selbst war die Naturkraft am stärksten. Von seiner poetisch begabten Mutter hatte er die „Lust am Fabulieren“ geerbt und seine Dichtungen gehören zum Trefflichsten und zum Originellsten, was das Jahrhundert hervorgebracht hat. Unähnlich andern Fürsten, die im poetischen Wettbewerb höfischer Schmeichelei den Lorbeer danken, verjüngte er die Poesie, die in Gelehrsamkeit zu ersticken drohte, durch frischen Natursinn und wurde der Schöpfer einer neuen freieren Litteraturgattung, zu der keiner seiner Mitstrebenden ohne ihn den Weg gefunden hätte.

Heitere ländliche Idyllen, ergreifende geistliche Gesänge, übermütige Tanzlieder, die durch ihre frische Sangbarkeit noch heute lebendig sind, entquellen diesem vielseitigen Talent in gleich starkem Strome, während eine rastlose praktische Thätigkeit jede Minute seines bewegten Lebens ausfüllte – er schrieb täglich bis zu zehn ja zwanzig Briefe. Neben den Regierungssorgen und einer verwickelten Verwaltungsmaschinerie, deren kleinstes Detail durch seine Hände ging, neben der Erledigung von Besuchen, Briefen, Bittschriften, Geschenken, die aus aller Herren Ländern fortwährend an ihn kamen, hatte er noch Zeit zu ernsten philosophischen Studien,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 866. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_866.jpg&oldid=- (Version vom 29.5.2023)