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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

„So etwas willst Du vergeben? Aber das ist doch gar nicht zu verstehen, daß er dir untreu ward, um mit Lilly eine Liebelei anzufangen,“ sprach sie.

Sie hatte Magda immer für ein sehr stolzes Mädchen gehalten und würde es viel begreiflicher gefunden haben, wenn jetzt große Worte von Haß und Rache gefallen wären.

„Verstehen? Nicht verstehen?“ sagte Magda mit leuchtenden Augen. „Glaubst Du, daß wir Frauen einen Mann je ganz verstehen können? Und ein Mann uns? Haben wir nicht Fähigkeiten und Bedürfnisse und Empfindungen, die verschieden von denen eines Mannes sind? Glaubst Du, daß die Männer so sind, wie wir sie uns in unsern Mädchenträumen gedacht haben?“

„Mein Walfried ist so!“ schaltete Sybille ein. Magda hörte gar nicht. Sie fuhr fort, beredt, als hätte sie eine Verteidigung auf Tod und Leben zu führen:

„Wie oft ertappe ich mich darauf, jeden Tag und jede Stunde, daß ich René anklagen möchte, weil er diese und jene Regung meines Herzens, irgend ein Bedürfnis nach Trost, nach seiner Nähe, nach einem Liebeszeichen von ihm nicht befriedigt, weil er es nicht versteht! Und da muß ich mich denn endlich fragen: ja, verstehe denn ich ihn immer? Sein Herz, seinen Geist, seine Stimmungen? Glaubst Du, daß zwei Menschen einander je ganz erfassen können, bis in die allergeheimsten Falten ihres Wesens? Glaubst Du nicht, daß da Tiefen sind, die man in sich selbst nicht ahnt und die uns selbst überraschen, wenn sie sich bei irgend einer Gelegenheit vor uns aufthun? Und wie sollten wir die Abgründe, die verborgenen, in einer andern Seele alle erkennen wollen? Wie je vor Ueberraschungen auch von dort sicher sein? Und außerdem: verändern wir uns nicht? Kann ich wissen, wie ich mich in einigen Jahren entwickelt haben werde? Kann ich wissen, wohin seine Seele wächst? Nichts kann man verstehen, aber alles kann man verzeihen. Die Liebe trägt über jede Kluft des Unbegreiflichen hinüber! Aber freilich, daran muß man glauben, daß man liebt, bis in den Tod, und geliebt ist über alles – trotz allem!“

„O –“ sagte Sibylle und faltete vor Erstaunen die Hände.

„Und das bin ich!“ fuhr Magda stolz fort. „Er hat es mir gesagt, als er sich zum Tode vorbereitete. Er liebt mich. Seine Seele ist mir immer treu gewesen.“ –

Als Sibylle fort war, stand Magda wie betäubt.

Was hatte sie alles gesagt? Waren das Gedanken gewesen, die, langsam, langsam in ihrem Herzen emporgewachsen, sich nun endlich in klare Worte gekleidet hatten? Sprach sie das alles, um ihn zu verteidigen, weil es ihr unmöglich war, Anklagen, die ihre Seele vielleicht selbst erhoben hatte, von andern Lippen laut zu hören?

Oder hatte sie es für sich selbst gesprochen, um mit lauten Worten die ewig nagenden stillen Zweifelgedanken sich zur Ruhe zu zwingen?

Mutlos neigte sie das Haupt. Sie redete sich ein, nur für Sibylle so gesprochen zu haben, um Sibyllens schnelle Zunge und kindisches Urteil zum Schweigen zu bringen. Sie hätte es eben nicht ertragen, ihn schmähen zu hören.

Auch sah Sibylle ja nur das eine Unbegreifliche: die kurze Treulosigkeit. Die vielen anderen kleinen Züge – klein und doch so unaussprechlich wichtige Zeugenschaft ablegend – die davon sprachen, daß René immer anders dachte und handelte, als Magda sich gedacht haben würde, daß er müsse – nein, die sah Sibylle nicht und ahnte auch nicht, daß er jetzt viele, viele Tage hatte vergehen lassen, ohne Magda auch nur ein Zeichen seines Gedenkens zu geben.

„Was wird er jetzt thun?“ dachte Magda, „wenn er erfährt, daß Wallwiz gerettet ist? Wird er versuchen, all die schrecklichen Erinnerungen abzuschütteln? Wird er versuchen, wieder zu arbeiten? Seine Natur hat gewiß entsetzlich gelitten unter dem stillen thatenlosen Leben. Kommt er jetzt endlich zu mir und bittet mich: hilf mir wieder das Gleichgewicht finden, mache mir Mut, zu meinem Werke zurückzukehren? Und wird dann alles wieder gut werden?“

All diese Fragen beantwortete sie sich dann mit einem harten „Nein!“

„Nein, wenn ich nicht mit ihm leiden durfte, will ich auch nicht mit ihm glücklich sein.“ (Schluß folgt.)


Lorenzo Magnifico.

Zur Auffindung seiner Grabstätte.
Von Isolde Kurz.


II.

Unterdessen war auch die zweite Hälfte des frevlerischen Anschlags gescheitert.

Der Erzbischof hatte sich unter der Domthüre von Lorenzo verabschiedet und war dann mit einer starken Begleitung nach dem Regierungspalast geeilt, wo die Signoria eben bei der Tafel saß. Einen Teil seiner Leute ließ er unten mit der Weisung, beim ersten Lärm das Thor zu besetzen, die andern nahm er mit in den Palast und hieß sie in einem Nebengelaß warten, während er selbst zu der geforderten Unterredung bei dem Gonfaloniere[1] eingeführt wurde. Aber die Aufregung und das seltsame Betragen des Besuchers, der etwas Verwirrtes von einem päpstlichen Auftrag an die Signoria daher redete und dabei unruhig nach der Thüre blickte, als ob er jemand erwartete, machte den Gonfaloniere stutzig. Er eilte rasch zum Ausgang, stieß auf einen der Verschworenen, der eben herein wollte, warf diesen an den Haaren zu Boden und rief die Wache zusammen. Die im Nebenzimmer versteckten Begleiter wollten herausbrechen, allein sie saßen in einer Falle fest, denn die Thür, die hinter ihnen zugeschlagen war, hatte ein Geheimschloß, das nur die Beamten zu öffnen verstanden. Sie wurden samt dem Erzbischof, der zu entfliehen versuchte, festgenommen, und da die außen stationierte Mannschaft in den Palast eindrang, verteidigte die Signoria das obere Stockwerk mit Steinen und was ihnen zur Hand kam; selbst das Küchengeschirr mußte als Waffe dienen.

Francesco de’ Pazzi hatte sich mit seiner schweren selbst geschlagenen Wunde nach Hause geschleppt und versuchte noch zu Pferde zu steigen, um den Aufruhr in der Stadt zu leiten. Doch er war so erschöpft vom Blutverlust, daß er sich entkleidet aufs Bett werfen mußte. Statt seiner eilte der alte Messer Jacopo mit etwa hundert Mann auf die Piazza, um dem Erzbischof zu Hilfe zu kommen. Aber die Sache der Pazzi war schon verloren. Als er das Volk zur Befreiung von der mediceischen Herrschaft aufrufen wollte, wurde er mit Steinwürfen und mit dem Ruf: Palle! Palle![2] Nieder mit den Verrätern! empfangen. In allen Straßen rottete sich die Menge zusammen: das kleine Häuflein, das den Palast besetzte, mußte weichen und viele wurden auf der Flucht erschlagen.

Jetzt erst erfuhr die Signoria Giulianos Tod und Lorenzos Verwundung und nun gab es auch drinnen keine Schonung mehr. Man hieb die Gefangenen, und wessen man sonst von den Eindringlingen habhaft wurde, nieder oder stürzte sie durch die Fenster auf die Piazza hinab. Der Erzbischof mit seinem Bruder und andere Häupter der Verschwörung wurden an den hohen Kreuzstöcken des Palastes aufgeknüpft; man ließ ihm nicht einmal Zeit, sich des geistlichen Ornats zu entkleiden. Gleichzeitig erlitt Francesco de’ Pazzi, den man, wie er war, aus dem Bette gerissen und unter dem Wutgeschrei des Volks nach dem Palast geführt hatte, an der Seite des Erzbischofs dieselbe Strafe. Auf alle Schmähungen, mit denen er überhäuft wurde, antwortete er nur durch finstere Blicke und tiefe Seufzer und der wilde Trotz verließ ihn auch im Tode nicht. Von dem Erzbischof wird erzählt, daß er im Augenblick des Sterbens sich wütend mit den Zähnen in Francescos nackte Brust verbissen habe.

Draußen hatte unterdessen die Volksjustiz ihr grausiges Werk begonnen. Man sah zerstückte menschliche Glieder durch die Straßen geschleift, die beiden Priester, die Lorenzo angegriffen hatten, wurden von der Menge aus ihrem Klosterversteck herausgezerrt,

  1. Gonfaloniere = das nominelle Staatsoberhaupt.
  2. Feldgeschrei der mediceischen Partei, auf die Kugeln des Wappens bezüglich.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 863. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_863.jpg&oldid=- (Version vom 20.4.2024)