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verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

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Blätter und Blüten.



Ein deutscher Patriarch im amerikanischen Westen. Ein seltenes Familienfest wurde mn 3. September d. J. in einer entlegenen Farm in Delaware County, Iowa, gefeiert. Der Urgroßvater beging seinen 115. Geburtstag und an der Familientafel vereinte sich ein blühender Kreis von Angehörigen, die ihm Glückwünsche darbrachten. Da war zunächst die achtzigjährige Mathilde, die zweite Frau des hochbetagten Geburtstagskindes, die vor 62 Jahren ihrem Gatten angetraut wurde; und um das Ehepaar scharten sich 11 Kinder im Alter von 35 bis 58 Jahren, 11 Enkel und 34 Urenkel. Christian Conrad heißt der glückliche Patriarch. Seine Vorfahren hatten vor alten Zeiten Deutschland verlassen und sich in Pennsylvanien angesiedelt. Von dort kam Christian vor 60 Jahren nach Iowa; er bedient sich noch heute mit Vorliebe der deutsch-pennsylvanischen Mundart, da Hochdeutsch ihm nur wenig geläufig ist. Wir bringen nebenstehend ein Bildnis des ehrwürdigen Familienhauptes nach einer vor kurzem aufgenommenen Photographie. Der alte Conrad ist trotz der schweren Bürde von mehr als einem Jahrhundert, die auf ihm lastet, noch ein rüstiger Mann, wenn er auch beim Lesen eine Brille gebrauchen muß. Hoffentlich wird ihm vom Schicksal noch ein langer friedlicher Lebensabend beschieden werden; von Herzen wünschen wir dem Manne aus dem achtzehnten Jahrhundert, daß er noch den Anbruch des zwanzigsten erleben möge!

Der 115 Jahre alte Patriarch Christian Conrad in Delaware.

Gerda. (Zu dem Bilde S. 841.)

„Ein Kind mit Frauenaugen, drin verborgen
Ein Rätsel schlummert –“

so schaut uns dieses Mädchenantlitz entgegen, dessen ernste Stimmung für so viele Bilder von Gabriel Max bezeichnend ist, welche der Darstellung weiblicher Schönheit und weiblichen Seelenlebens gewidmet sind. Ein gemeinsamer Zug verbindet sie alle, so verschieden sie unter sich sein mögen; ein Hauch von schwermütiger Sehnsucht bei aller Weichheit und Anmut der Formen. Eine bestimmte historische Erinnerung knüpft sich an dies Mädchenbildnis nicht, aber der nordische Namen beschwört in unserem Gedächtnis so manche Gestalt der nordischen Sage und Dichtung, in welcher sich weibliche Jugend auch mit dem hellseherischen Ernste vereint, der diese Züge beseelt.

Ueberfall im Walde. (Zu dem Bilde S. 844 und 845.) In unseren deutschen Wäldern wird der Reisende von solchen Gefahren, wie sie das wirkungsvolle Bild Kowalskis darstellt, nicht bedroht. An der Grenze des Reichs im Osten und Westen treiben sich noch einige Wölfe herum, aber so frech sind sie nicht, daß sie sich an ein Gespann heranwagen sollten. Die kritische Scene, die der Maler uns vorführt, ist dem Leben in dem fernen Osten Europas entlehnt. Dort liegen die Verhältnisse allerdings anders als bei uns. Laut statistischen Angaben werden in Rußland jährlich gegen 170000 Wölfe erlegt und gegen 200 Menschen von diesen Raubtieren zerrissen. Dort kommen solche Ueberfälle im Walde vor, aber glücklicherweise äußerst selten. Für gewöhnlich ist Isegrim kein Held, der ohne weiteres stärkere Gegner angreift. Er zieht es vor, schwächeres Wild mit List zu jagen, und geht dem Menschen geflissentlich aus dem Wege. Einer der mächtigsten Triebe, die die Welt bewegen, der nagende Hunger, verändert jedoch gänzlich seinen Charakter. In der schweren Winterszeit wird der hungrige Wolf tollkühn; um Beute zu erlangen, scheut er dann keine Gefahr, und er wird zum furchtbaren Gegner, wenn er, zur Meute vereint, auf Jagd ausgeht. Das Bild Kowalskis ist somit keineswegs nach einem Märchen aus längst verklungener Zeit gezeichnet – es ist vielmehr sehr realistisch, giebt die nackte Wahrheit wieder. Die beiden Männer im Schlitten sind fürwahr in einer verzweifelten Lage – ihr Heil ruht auf der Treffsicherheit des Schützen, der, wie der Augenschein lehrt, im kritischen Augenblick das nötige kalte Blut zu bewahren versteht. *     

Ein warmes Plätzchen. (Zu dem Bilde S. 849.) Ja, die sitzt warm, die Burgei, während draußen der kalte Nord alles zu Eis erstarrt. Die beiden Holzknechte, die auf der Heimkehr von der schweren Arbeit im Walde in der wohldurchheizten Stube des Sägmüllers einsprachen, wüßten über die Kälte, die ihnen die rauhen Hände steif gemacht, ein Lied zu singen, aber auf der Ofenbank und neben der Burgei wird’s ihnen bald so warm und wohl, daß sie die Unbill des Wetters, die sie hereintrieb, schnell vergessen und ihnen die Seele auftaut in frohem Behagen. Wenn so Drei beieinander beisammen sitzen und die Burschen bilden die Ueberzabl, wird das Dirndl natürlich zum Stichblatt für allerlei Späße. Aber sie giebt’s ihnen heim. Und während sie die Augen gesenkt hält, als seien ihr die fünf Nadeln im dicken Wollstrumpf etwas ganz Neues, und sie geduldig anhört, was von der rechten wie von der linken Seite her ihr ins Ohr geraunt wird, hält sie die treffende Antwort auf das spaßhaft harmlose Liebeswerben der kecken Burschen schon bereit.

„Burgel, magst ihn, den Hiesel da?“

„O, beileib nit!“

„Magst nachher mi?“

„Di a nit, Du dalketer Gsell Du!“

„Magst nachher gar koan auf der Welt?“

„Gar koaner ist der Richtige!“

„Nachher is’s schon recht. Wann’s nur dabei bleibt!“ H.     

Mama will heim! (Zu dem Bilde S. 853.) Wundern kann einen das eigentlich nicht, denn alles auf der Welt hat seine Grenzen, also auch die Standhaftigkeit einer „Eismutter“, obwohl diese bekanntlich sonst eine oberste Stufe weiblichen Heldentums einnimmt. Aber schließlich ist sie eben auch nur ein Mensch mit Zehen von Fleisch und Bein, die in stundenlangem Stehen auf der Eisfläche zu schmerzenden Klümpchen erstarren, während fern am Horizonte das Töchterlein mit fliegender Boa, an der Hand des Herrn Lieutenants, des Herrn Doktors, des Herrn Assessors oder des jugendlichen Studiosus vorüberschwebt. Wäre der „Rechte“ darunter, so würde Mama vermutlich mit Todesverachtung noch weiter ausharren, denn sie weiß, daß in solchem Fall Geduld und Zeit notwendig sind, und daß leider! – eine Eisfläche mit zwölf Graden unter Null die Herzen viel sicherer erwärmt als der schönste bestgeheizte Ballsaal. Aber danach sieht es hier nicht aus: keiner der vier Herren denkt daran, den Damen seine Begleitung zum Heimweg anzubieten, sie sind nur empört über das gestörte Vergnügen. Und das zögernd hinter der Mutter dreinschleichende Fräulein teilt ganz und gar diese Verstimmung, wenn sie auch nicht offen zu rebellieren wagt. Wäre sie ein wenig klüger, ungefähr nur halb so viel als ihre resolute Mama, welche mit unverhohlener Genugthuung den Schneepfad entlang und dem warmen Kaffee zu Hause entgegenschreitet, so ginge sie frisch und munter neben ihr her und erwartete die Wirkung dieses strategischen Rückzugs auf die verblüfften Herren Verehrer. Versagtes reizt! das weiß die stattliche Matrone, die auch einmal jung und schön war, ganz genau. Deshalb hält sie das grausame Machtwort unerbittlich aufrecht und wandelt mit einem so vergnügten Gesicht, den Mantel fest anziehend, voraus, als wüßte sie es ganz gewiß, daß die jetzt so aufgebrachte Tochter ihr diesen Mangel an Zuvorkommenheit gegen die Herren später noch einmal von Herzen danken werde! Bn.     

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Kleiner Briefkasten.

F. M. in Soden. Das vom Vaterländischen Frauen-Zweigverein in Nizza daselbst errichtete Pflegehaus ist für deutsche Reichsangehörige bestimmt, die gesundheitshalber den Winter im Süden verbringen sollten und die bisher dafür erforderlichen Kosten nicht bestreiten können. Das deutsche Pflegehaus in Nizza bietet ein sehr gutes Unterkommen zu verhältnismäßig sehr billigem Preis und ist vom 1. November bis 1. Mai geöffnet. Aufnahmegesuche richtet man an die Präsidentin des Vereins Frau von Zelewski-Denzin in Lauenburg, Pommern.

K. L. in Fulda. Sie wollen wissen, wie viel Geld in Gold und Silber auf der Erde vorhanden ist? Auf Heller und Pfennig vermag niemand die Summe anzugeben, aber annähernde Schätzungen sind wohl vorhanden. Eine solche finden Sie in „Hübners Geographisch-statistischen Tabellen aller Länder der Erde“ (Ausgabe 1895, Verlag von Heinrich Keller in Frankfurt a. M.). Der „monetarische Edelmetallvorrat“ aller Länder der Erde betrug demnach im Jahre 1892: an Gold in Münzen und Barren 16 Milliarden 20 Millionen Mark und an Silber in Münzen 17 Milliarden 249 Millionen Mark.


Inhalt: Die Lampe der Psyche. Roman von Ida Boy-Ed (10. Fortsetzung). S. 84l – Gerda. Bild. S. 841. – Ueberfall im Walde. Bild. S. 844 und 845. – Lorenzo Magnifico. Zur Auffindung seiner Grabstätte. Von Isolde Kurz. I. S. 847. Mit Abbildungen und Bildnissen S. 847, 848 und 851. – Ein warmes Plätzchen. Bild. S. 849. – Karl Thiessens Brautfahrt. Eine Heiratsgeschichte von Hans Arnold, S. 852. – Mama will heim! Bild. S. 853. – Blätter und Blüten: Ein deutscher Patriarch im amerikanischen Westen. Mit Bildnis. S. 856. – Gerda. S. 856. (Zu dem Bilde S. 841.) – Ueberfall im Walde. S. 856. (Zu dem Bilde S. 844 und 845.) – Ein warmes Plätzchen. S. 856. (zu dem Bilde S. 849.) – Mama will heim! S. 856. (Zu dem Bilde S. 853.)


Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1895, Seite 856. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_856.jpg&oldid=- (Version vom 19.4.2024)