Seite:Die Gartenlaube (1895) 805.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Nr. 48.   1895.
Die Gartenlaube.

Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.
Abonnements-Preis: In Wochennummern vierteljährlich 1 M. 75 Pf. In Halbheften, jährlich 28 Halbhefte, je 25 Pf. In Heften, jährlich 14 Hefte, je 50 Pf.



Die Lampe der Psyche.

Roman von Ida Boy-Ed.

 (8. Fortsetzung.)

Die Zeit schlich hin. Nicolai malte, so lange das Licht ins Fenster schien, und schon stand die erste Skizze, mit ihren dunklen und doch durchsichtigen Farben wunderbar anzusehen, fertig auf der Staffelei.

Am Morgen, wo Sibylle Lenzow bei Magda war, begann er auf einer großen Leinwand nach der kleineren Skizze die Umrisse mit Bleistift hinzusetzen. Er brauchte nie Kohle und ließ die feinen Bleilinien ruhig zwischen den dünn aufgelegten Farben stehen. Er hörte nebenan Stimmengemurmel. Mehr drang nie durch die dicken Mauern. Er erinnerte sich, daß heute Malstunde sei, und hoffte, daß diese für Magda Zerstreuung bedeute.

Sein Ohr horchte manchmal auf den Wind, der draußen schneidend pfiff.

Ihm war ganz besonders schlecht heute zu Mute, aber doch auch ganz anders wie sonst. Er begriff seinen Zustand gar nicht. Es war, als läge etwas Hartes, Heißes, Schweres in seiner Brust.

Sein Arm fiel schlaff nieder – es war ihm unmöglich, ihn in der ausgestreckten Stellung zu halten.

Lange saß er still und wartete, ob ihm nicht wieder wohler werden möchte. Er setzte den Schwankungen seiner Gesundheit eine unendliche Geduld entgegen.

„Es ist der böse Ostwind,“ sagte er sich.

Nebenan wurde es still. Er hatte aber gar nicht den gewohnten Lärm gehört, den die jungen Damen beim Fortgehen machten, ja es schien ihm, als sei nur ein schneller Schritt an seiner Thür vorbeigekommen, anstatt ihrer vier.

Merkwürdig; auch in der Ruhe ward ihm nicht besser.

Er wollte doch klingeln und Frau Böhmer um etwas heiße Milch mit Emser Wasser bitten, denn er hatte das Gefühl, als säße da etwas, das hinuntergespült werden müsse.

Er stand auf. Vor seinen Augen ward es schwarz. Schwankend kam er bis an die Klingel. Kurz schrillte die auf.

Ein Fall erschütterte den Estrich und ward als dumpfer Ton unten und nebenan gehört.

Zwei Minuten vergingen.

„Fräulein Ruhland – Fräulein – –“ gellte die Stimme der Frau Böhmer durch das ganze Stockwerk.

Magda hatte am Fenster gestanden, die Stirn gegen die kühlende Scheibe gepreßt.

Aufschreckend lief sie dem Rufe nach, kam in des Freundes Atelier und stand erstarrt.

Da lag er und aus seinem Munde quoll ein Blutstrom.

Das Ende war da, das der Arzt und das er sich selbst immer prophezeit hatte.

„Nicolai!“ schrie sie auf und kniete neben ihm nieder.

Sein Gesicht war bläulich, aber während Magda es noch bang anstarrte, erlosch die unheimliche Färbung langsam und machte einer tödlichen Blässe Platz.

Drei Tage Kasten!
Nach dem Gemälde von K. Müller.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 805. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_805.jpg&oldid=- (Version vom 18.4.2024)