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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

gefestete, charaktervolle künstlerische und menschliche Persönlichkeit hatte sich in dieser glänzenden Welt des Hofes, wo sonst der Schein oft sehr viel mehr gilt als die Wahrheit, den ihr gebührenben Respekt, ohne sich darum besondere Mühe zu geben, zu erringen verstanden. Die Hochschätzung und Gunst des königlichen und des kronprinzlichen Paares wandte sich dem Meister zu. Er sah sich in jene höchsten Gesellschaftskreise gezogen und – fand in diesen eine Fülle von Anregungen und Motiven zu einer Reihe von größeren und kleineren Oel- und Aquarellgemälden, Farbenskizzen und Zeichnungen, in denen sich der schärfsten, oft fein satirischen und treffendsten Charakteristik eine überraschende Grazie und Eleganz, der Strenge der Zeichnung Reichtum und Reiz der Farbengebung und eine hohe Vollendung der malerischen Durchführung gesellt.

Zu dieser Gruppe von Gemälden gehören das bezaubernde Aquarellbild „Auf dem Hofball“, „Ballpause“, das vielbewunderte „Ballsouper“, mit der überströmenden Masse glücklich erfundener, dem Treiben auf einem solchen Fest am Berliner Hof abgelauschten Gruppen, Gestalten, Farben- und Beleuchtungseffekte, „Kaiser Wilhelm, Cercle auf einem Hofball haltend“, die Federzeichnung „Im Salon der Gräfin Schleinitz“ u. a. m.

Wo unser Meister sich auch befinden mag, sein Auge erfaßt und beobachtet alles. Die Bilder der ihn umgebenden Wirklichkeit prägen sich unauslöschlich seinem Gedächtnis ein und treten in jedem Moment, wo er dessen bedarf, in voller Klarheit und Bestimmtheit hervor. Und alles und jedes wird – von ihm angeschaut und dargestellt – zum fesselnden reizvollen Bilde: ein Anderen gleichgültig und nicht des Ansehens wert erscheinendes Stück Straße, eine kahle Hauswand, ein Gartenwinkel, ein Zaun an einem Rasenfleck, jede Gestalt und Gruppe auf der Gasse, in der Kirche und Sakristei, in der Werkstatt, im Theater, im Konzertsaal, im Biergarten und Weinkeller, im vornehmen Salon, im Eisenbahnwagen, auf der Brunnenpromenade, auf dem Markt, in Wald und Wiese, jeder Vorgang des alltäglichen Menschendaseins wie des Tierlebens, der wilden großen Bestien, der Vögel und Vierfüßler unserer Zoologischen Gärten, wie der in der Freiheit lebenden scheuen Geschöpfe und unserer gezähmten Hausgenossen! Wer will sie alle nennen und schildern, die in unabsehbarer Reihe an unserem inneren Blick vorüberziehen, wenn wir Seiner gedenken – jene Wunderwerke der Beobachtung der Wirklichkeit und der jeder Schwierigkeit spottenden Darstellungskraft, die Bilder, die den Mann der rauhen Handarbeit am Werke darstellen, wie die humorvolle 1885 in der „Gartenlaube“ (S. 809) wiedergegebene „Kunstpause“ und das machtvolle „Eisenwalzwerk“, das die „modernen Cyklopen“ vor der Glut der Schmelzöfen zeigt, wie sie das erweichte Eisen recken und schmieden; die Schilderung des vom buntesten Leben überwimmelten Marktplatzes zu Verona, und wieder die kleinen lieblichen Idyllen, die Tierbilder, Garten- und Straßenscenen in dem Album, das er ursprünglich als Bilderbuch für die beiden Kinder seiner Schwester angelegt hatte! Nicht minder groß an Zahl und nicht minder bewundernswert sind die einzelnen in der Reihe der reinen Phantasieschöpfungen, der Gouache- und Oelbilder novellistischer Scenen aus dem 16., 17. und 18. Jahrhundert und die in Aquarell ausgeführten, ebenso beziehungs- und gedankenreichen wie schönheitsvollen, farbenprächtigen Gedenkblätter und Adressen für hervorragende Männer und jubilierende Institute. Ich nenne nur die im Auftrage des Berliner Magistrats ausgeführte Illustrierung des Begrüßungsgedichtes Scherenbergs an König Wilhelm beim Einzuge der Sieger von 1866 in Berlin; die Ehrenbürgerbriefe für Moltke und Bismarck; das Jubiläumsblatt der Heckmannschen Fabrik; die Adresse der Berliner Akademie an Kaiser Wilhelm nach den Attentaten; das Widmungsblatt Hamburgs für den Oberbürgermeister Peters. In diesen Kompositionen läßt er „Phantasie mit allen ihren Chören, Vernunft, Verstand, Empfindung, Leidenschaft“, wie es in Goethes „Faust“ heißt, dazu reizenden Humor und holde Anmut aufspielen in wundervollen Harmonieen.

Im achten Jahrzehnt pflegen bei anderen Menschen die Sinne an Schärfe, die Hände an Geschicklichkeit mehr und mehr einzubüßen. Wenn man Menzels Kunstschöpfungen, die Zeichnungen und Aquarelle betrachtet, welche er in seinen siebziger Jahren ausgeführt hat, so könnte man zu dem Glauben verleitet werden, bei ihm hätte sich der entgegengesetzte Prozeß vollzogen. Alle diese unschätzbaren, meist in Gouachefarben gemalten Genrebilder, deren Motive größtenteils auf seinen sommerlichen Ausflügen nach Süddeutschland und während seines alljährlich wiederholten Badeaufenthalts in Kissingen von ihm gesammelt wurden, sie zeigen in der Durchführung eine Delikatesse, eine miniaturartige Vollendung bis in das geringste Detail, eine Präzision und unfehlbare Sicherheit der Pinselzeichnung, die uns selbst in Gemälden eines Meisters im frischesten Mannesalter ans Wunderbare grenzend erscheinen würde. Die volkstümlichsten dieser lebensvollen Bilder hat die „Gartenlaube“ ihren Lesern in vortrefflichen Holzschnitten vorgeführt, wir erinnern an die „Brunnenpromenade in Kissingen“ (Jahrg. 1891, S. 413), den „Biergarten in Kissingen“ (1893, S. 345), „Auf der Fahrt durch die schöne Natur“ (1894, S. 452), und auch die dieser „Menzel-Nummer“ beigegebene Kunstbeilage „Das Morgenbüffett der Feinbäcker in Kissingen“ gehört zu dieser Gruppe.

Alle höchsten Ehren, die in unserem Zeitalter einen Künstler lohnen und auszeichnen können, sind Menzel in vollem Maße zu teil geworden. Nach ihnen hat er nie gestrebt. Die That war ihm immer alles – nichts der Ruhm. Was er einzig suchte, war stets nur die Befriedigung seines unbestechlich strengen künstlerischen Gewissens. Er ging einsam seine eignen Wege, lange weit vorauf der Kunst seiner Zeit, den Blick auf seine hohen Ziele gerichtet. Er machte dem Geschmack des Tages und des großen Publikums keine Konzessionen. Er hat nie einem Modegötzen gehuldigt, kam der Menge keinen Schritt entgegen. Aber schließlich sind die Künstler und das Publikum zu ihm gekommen und blieben in seinem Kreise willig festgebannt. Wie jenen Frommen, die zuerst nach dem Reich Gottes trachten, alles andere von selbst zufällt, so ist es ihm ergangen, der unentwegt und unbeirrt nur nach dem trachtete und strebte, was er in der Kunst als das Wahre und Rechte erkannte.

Der modernen Kunst hat er die Wege dahin gewiesen und gebahnt. Ueberholt hat ihn noch keiner. Aber immer wird sich auch in der Zukunft das von ihm gegebene Beispiel segensreich erweisen – dies Beispiel der Wahrhaftigkeit, der Gewissensstrenge, der sittlichen Energie in der Kunst wie im Leben, der Freiheit von allem, was Phrase, Lüge, schwindelhaftes Scheinwesen heißt, das über die innere Leere und Schwäche durch falschen Aufputz verblenden will, dies Beispiel des immer vorwärtsstrebenden Fleißes, des heiligen Respektes vor der Meisterin der Meister, der Natur!


Wie Meister Menzel lebt.

Von Agnes Schöbel. Mit Abbildungen von Georg Schöbel.

Wer sich unter Menzels Heim und Atelier Prunkräume, wie sie sich Lenbach, Makart, Herkomer oder Alma Tadema schufen, vorstellt, der würde verwundert vor dem schlichten Hause in Berlins Westen, Sigismundstraße 6, stehen bleiben und dann kopfschüttelnd drei Treppen hinaufsteigen, bis er die Thür erreicht hat, neben der ein einfaches Porzellanschild ihn belehrt, daß hier „A. Menzel“ wohnt. Kleinbürgerliche Räume thun sich auf, das Licht fällt durch oft gewaschene Gardinen, durch Musselinvorhänge mit eingedruckten Bouquets auf Urväter Hausrat, auf längst aus der Mode gekommene Polstermöbel mit ein paar verschossenen Tapisserien, auf eine Servante, hinter deren Glaswänden allerhand Familienraritäten aufgestellt sind. Die Wände schmücken einfach gerahmte Bilder, zum teil von des Meisters Hand herrührend. Das einzige Prunkstück inmitten all dieser Schlichtheit bildet ein kostbarer Flügel, der auf Menzels musikalische Neigungen hindeutet.

Jener unbeschreibliche Hauch, wie er Großmutter- oder Altjungfernstübchen durchschwebt, liegt über diesem friedlichen Heim. Hier lebt der große Maler seit Jahren mit seiner Schwester, der Witwe des Musikdirektors Krigar, deren Kinder er als die seinen betrachtet. Als er vor Zeiten in Albrechtshof (der jetzigen Rauchstraße) wohnte, konnte man ihn morgens beobachten, wie er in dem poesieerfüllten, buschumhegten und blumendurchblühten Garten seine goldköpfigen Neffen im Kinderwagen umherkutschierte.

Der Eingang zum Atelier, das eine Treppe höher als die Wohnung liegt, ist für Besucher vom Hofe aus gelegen. Der Meister selber erreicht es von seinen Privaträumen aus, über einen langen Gang, zu dessen linker Seite ein mit grünen Ripsmöbeln ausgestattetes Zimmer voller Studien liegt.

Der hohe, durch eine unvergleichliche künstlerische Persönlichkeit

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 798. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_798.jpg&oldid=- (Version vom 12.5.2023)