Seite:Die Gartenlaube (1895) 795.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

vor der Zeit und wider seinen Willen sieht er sich sein ganzes Arbeitsgebiet verschlossen, auf dem er so Gewaltiges, wie kein zweiter, zum Heile Deutschlands geschaffen und vollbracht hat und heute noch wirken könnte.…

In ihren jüngeren Mannesjahren nach ihrem vollen Wert von der Menge nicht erkannt und gewürdigt, haben beide, erst als sie über die Mitte des Lebensweges hinaus waren, ihre Zeitgenossen durch die Kraft ihres Genies und die Größe ihrer Leistungen bezwungen und die frühere Gleichgültigkeit, ja die Gegnerschaft, in Bewunderung und begeisterte Verehrung gewandelt. –

Von dieser Stimmung unseres Volks für ihn hat Fürst Bismarck gelegentlich seines achtzigsten Geburtstages eine überschwengliche Fülle von Beweisen der mannigfachsten Art empfangen. Auch dem um acht Monate jüngeren großen deutschen Künstler gegenüber wird es wenigstens der Teil seiner Nation, welcher seine Ehrung, die ihm indes noch erwiesen werden könnte, würde dennoch den Wert und die Bedeutung derjenigen nicht zu überbieten vermögen, welche dem Meister um die Mitte dieses seines achtzigsten Lebensjahres durch seinen Kaiser und König bereitet worden ist: jene für Adolf Menzel im Konzertsaal Friedrichs des Großen zu Sanssouci durch Kaiser Wilhelm II. veranstaltete Verlebendigung und Realisierung des von dem Meister vor dreiundvierzig Jahren gemalten unvergleichlichen Bildes „Konzert bei Hofe. Sanssouci 1750“ durch das Kaiserpaar, die Herren und Damen des Hofes und die dazu eingeladenen und darin mitwirkenden Musiker. Eine ausgesuchtere, sinniger erdachte, schmeichelhaftere, geistreichere und liebevoller durchgeführte Auszeichnung ist nie zuvor einem großen Künstler durch einen Herrscher zu teil geworden als diese. Was den Kaiser dazu bewog, war – ebenso wie das, was vor zehn Jahren Kaiser Wilhelm I. zu dem unvergeßlichen Schreiben bestimmte, in welchem er den Meister an dessen siebzigstem Geburtstage beglückwünschte – nicht allein die allgemeine künstlerische Bedeutung des so Gefeierten. Beide kaiserliche Ehrungen galten doch in erster Reihe dem „Maler Friedrichs des Großen“, dem Verherrlicher dieses Monarchen, dem Schilderer seiner Persönlichkeit, seines Lebens und Wirkens und seiner unsterblichen Thaten für Preußens Größe und Ruhm im Kriege wie im Frieden. Aber Menzels diesen Aufgaben gewidmete künstlerisch schöpferische Thätigkeit bildet doch nur einen Teil seines allumfassenden kaum noch übersehbaren Lebenswerks. Ein glückliches Ungefähr veranlaßte einst den wenig über zwanzig Jahre alten Zeichner, sich intimer mit jenem königlichen Helden und der durch ihn heraufgeführten Heroenzeit Preußens zu beschäftigen und während einer längeren Reihe von Jahren seine ganze frische Kraft, wenn auch nicht ausschließlich, so doch überwiegend, auf die Lösung der großen künstlerischen Aufgabe der Schilderung König Friedrichs und seiner Zeit zu richten.

Menzels Jugendgeschichte ist ziemlich allgemein bekannt. Man weiß, daß dem ernsten nachdenklichen in sich zurückgezogenen Knaben in Breslau schon keine Beschäftigung lieber, keine von ihm eifriger betrieben war als das Zeichnen; daß er ohne Lehrer und Anleitung selbstkomponierte geschichtliche Scenen in der Weise des Linienstichs, Porträtköpfe und die Teile des menschlichen Körpers nach der Natur zeichnete und darin frühe bereits sein großes Talent bekundete. Durch die Uebersiedlung des Vaters mit der Familie im Jahr 1830 nach Berlin, wo er ein lithographisches Institut errichtete, erhielt der junge Zeichner die Möglichkeit, seine Begabung weiter auszubilden. Die damalige Berliner Kunstakademie mit ihrem verzopften Unterricht konnte ihm das, was er brauchte und suchte, nicht bieten. Seine Lehrer waren die lebendige Natur, die Werke der alten Meister in den Museen und die Nachbildungen der in den Galerien anderer Städte enthaltenen, die er an den Schaufenstern und in den Mappen der großen Kunstläden sah. Die damals zumeist gepriesenen Sterne der Düsseldorfer und Münchener Schule imponierten ihm wenig und vermochten keinen Einfluß auf ihn zu gewinnen. Ueber ihre innere Unwahrheit konnten sie sein in der steten Beobachtung der Natur geschärftes Auge nicht täuschen. In der lithographischen Anstalt seines Vaters und der des Hofkunsthändlers Sachse übte er sich gleichzeitig in der Technik des Steinzeichnens mit der Feder und der Fettkreide. Unberaten durch andere, versuchte er zu malen und im zähen tapferen Kampf mit allen Schwierigkeiten sich aus eigener Kraft die Beherrschung auch dieser Technik zu erobern. Des Vaters früher Tod, welcher dem kaum zum Jüngling Gereiften die heilige Pflicht der Sorge für die des Hauptes und Ernährers beraubte Familie, die Mutter und zwei Geschwister, auferlegte, nötigte Menzel zur Uebernahme von Brotarbeiten, von Zeichnungen und Lithographien jeglicher Art. Aber in seinem stetigen Vorschreiten zu den hohen Zielen echter Kunst ließ er sich dadurch nicht hemmen. Von den während der dreißiger Jahre erschienenen zahlreichen, teils mit der Feder, teils mit der lithographischen Kreide auf Stein gezeichneten Werken eigener Erfindung, vor allem den Tisch- und Festkarten, Titelblättern und Randzeichnungen, Illustrationen, Einzelbildern und Bilderfolgen, in denen sich das ganz originelle Genie, das eindringende Naturstudium und das so früh schon erworbene außerordentliche Können des jungen Künstlers glänzend bekundeten, nenne ich hier nur die am bekanntesten gewordenen Kompositionen von phantasievoller, sinniger Erfindung und bewundernswürdiger Gestaltung. Es sind die Bilderfolgen „Künstlers Erdenwallen“, „Die fünf Sinne“, „Das Vaterunser“, Titelblatt und Randzeichnungen zu dem „Gedenkbuch“, die Meisterbriefe der Maurer und Zimmerleute (sämtlich Federzeichnungen auf Stein), die Bilder aus brandenburgisch-preußischer Geschichte – mit der Kreide auf Stein gezeichnete Blätter, in denen eine Größe, Kühnheit und innere Wahrhaftigkeit der geschichtlichen Auffassung und der Zeichnung zu Tage tritt, wie wir sie vergebens in den Werken der gleichzeitigen deutschen Historienmalerei suchen würden; ferner sind hervorzuheben die ersten der von Menzel für den eben damals wieder zum Leben erweckten Holzschnitt auf den Stock entworfenen Zeichnungen: die Illustrationen zu „Peter Schlehmihl“, der Tod des Franz von Sickingen und das herrliche Gedenkblatt zur Feier der Erfindung der Buchdruckerkunst vor 400 Jahren.

Alle diese Schöpfungen voller Leben und Geist hatten die Aufmerksamkeit der einsichtigeren Kunstfreunde auf ihren Zeichner gelenkt. Unter diesen wurde besonders Franz Kugler, der Dichter und Kunstgelehrte, mit der höchsten Meinung von Menzels Künstlerschüft erfüllt. Als er in buchhändlerischem Auftrage eine populäre Geschichte Friedrichs des Großen schrieb, die mit 400 Illustrationen geschmückt werden sollte, verlangte er, daß keinem anderen als Menzel die Ausführung dieser in Holz zu schneidenden Zeichnungen übertragen werde.

Dieser von ihm übernommene und in unvergleichlich vollendeter Weise durchgeführte Auftrag war es, welchem wir es danken, daß Menzel „der Maler Friedrichs des Großen“ geworden ist. Nie hatte ein Künstler vor ihm dieser ganzen Epoche ein so umfassendes und so tief eindringendes Studium gewidmet, das sich auf alle ihre Lebensäußerungen, ihre Menschen, vornehme und geringe, ihre Sitten, ihre Einrichtungen, ihre Paläste, Kirchen, Bürgerhäuser und Dorfhütten, ihre Kriegs- und Friedensgebräuche, Trachten und Waffen, ihre Architektur und gewerblichen Erzeugnisse bezog. So erwarb er sich die vollständigste lebendigste Anschauung dieser Vergangenheit. Nur so konnte es ihm gelingen, sie mit ihrem großen Könige und den Seinen, mit dessen Feinden und Gegnern in voller Realität und überzeugender Wahrheit aus ihrem Grabe in seinen Zeichnungen und seinen späteren Gemälden wiedererstehen zu lassen. Die bei diesem Anlaß erworbene intimste, vertrauteste Kenntnis des Zeitalters Friedrichs und dies tiefe Versenken in den Geist und das Wesen des großen Königs befähigten Menzel dann auch zur vollkommensten und fesselndsten Lösung jener noch schwierigeren Aufgabe, die ihm König Friedrich Wilhelm IV. nach dem Erscheinen des Kuglerschen Friedrichbuches stellte: die auf königlichen Befehl unternommene große Prachtausgabe der sämtlichen Schriften Friedrichs mit Holzschnittillustrationen zu schmücken. Im Schneiden der Menzelschen Zeichnungen zu Kuglers Buch hatte sich eine Anzahl deutscher Xylographen zu einer Höhe der Meisterschaft im Faksimileschnitt entwickelt, die ohne Beispiel war; Kretzschmar, die beiden Vogel und andere bewährten dieselbe in vielleicht noch gesteigertem Maße in der Ausführung dieser bewundernswerten Zeichnungen mannigfachster Gattung – Bildnisse, Darstellungen geschichtlicher Vorgänge, Sittenbilder, symbolischen und ornamentalen Kompositionen – zu den Werken Friedrichs. So danken wir Menzel mittelbar auch den neuen glanzvollen Aufschwung der deutschen Holzschneidekunst.

Einen Hauptgegenstand seiner das Zeitalter des Großen Königs betreffenden Studien bildete dessen gesamtes Heerwesen. Mit wahrhaft staunenswertem Fleiß und unermüdlicher Ausdauer durchforschte er alle darauf bezüglichen Dokumente, die Montierungskammern und Zeughäuser, maß die vorhandenen Uniformen, Waffen und

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 795. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_795.jpg&oldid=- (Version vom 12.5.2023)