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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Nr. 46.   1895.
Die Gartenlaube.

Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.
Abonnements-Preis: In Wochennummern vierteljährlich 1 M. 75 Pf. In Halbheften, jährlich 28 Halbhefte, je 25 Pf. In Heften, jährlich 14 Hefte, je 50 Pf.



Die Lampe der Psyche.

Roman von Ida Boy-Ed.

     (6. Fortsetzung.)

7.

Unter all den vielen Gaben, welche die Natur so verschwenderisch in Renés Wiege gelegt, befand sich eine ganz prosaische. Und doch war sie es vielleicht, dank deren er in immer gleicher Frische und Fröhlichkeit seine anderen entfalten konnte. Er besaß einen köstlichen Schlaf! Ob er nach lustigem Gelag spät nachts heimkam, ob er beim Morgengrauen erst sich von seinem Schreibtisch erhob, ob er im Coupé der Eisenbahn saß oder in dürftigen Sennhütten nächtigte – sowie er sich hinlegte und die Augen schloß, schlief er felsenfest und traumlos.

In der Nacht aber, welche der Unterredung mit Magda folgte, fand er zum erstenmal in seinem Leben keine Ruhe.

Er grübelte immer wieder über ihr Benehmen nach. Seine energische Natur konnte nicht fassen, daß man so stillzuhalten vermochte, daß Magda sich nicht wild aufgebäumt, daß sie ihm nicht Worte der heftigsten Anklagen gesagt.

Zuweilen zog etwas durch seine Gedanken, was einer leisen Geringschätzung gleichkam, und er sagte sich: welch eine Passivität!

Aber dann wieder wuchs eine unbestimmte Angst in seinem Innern. Der Schlag war so jäh für Magda gekommen, daß er sie vielleicht nur betäubt hatte. Aus der Betäubung erwachend, würde sie die Kraft zum Zorn, ja zum Haß finden!

Nicht nur die Gedanken, auch die Gefühle mancher Menschen leiden an „Treppenwitz“. In einer ersten Großmutsaufwallung können solche Naturen vergeben, was sie nachher doch mit immer wachsenden Bitterkeit erfüllt. Oder die Ueberraschung, das völlig Unerwartete erstickt zunächst die richtende und kritisierende Stimme, die sich nachher um so lauter erhebt. So konnte es auch Magda geschehen. Mit stillem Duldermut, ohne Anklage, ohne Schmähwort hatte sie das für sie Unerhörte hingenommen. Wer wußte, ob die Bitterkeit nicht nachwuchs und ob nicht jetzt schon ihr Herz voll von Anklagen und Mißachtung für ihn war?

Die Vorstellung, daß sie gering und feindlich von ihm denken könne, glich einer Demütigung für ihn.

Er war gewohnt, ungerechter Feindschaft und wirklichen Antipathien keck die Stirn zu bieten. Sie freute ihn, denn er hätte gar kein Mensch sein mögen, der von jedermann verstanden und „nett“ gefunden worden wäre.

Aber gehaßt zu werden, geringer geachtet zu werden, wo er geliebt worden war, das ertrug er schwer, von Männern wie von Frauen. Von Magda, schien es ihm, würde es ihm so unerträglich sein, daß es ihm das Dasein vergiften könne.

Ihre herzzerreißende Bitte klang ihm im Ohr nach: „Laß es schnell sein – schnell.“

Und diese Mahnung machte ihm sein Vorhaben nicht leichter und freudiger. Er hatte geglaubt, Magda in furchtbaren Kämpfen seine Freiheit abringen zu müssen und von ihr allmählich zu ertrotzen, daß sie die Notwendigkeit seiner Vermählung mit einer andern begriff. Dadurch, daß sie selbst ihn nun

Sigrid Arnoldson
als Nedda in Leoncavallos „Pajazzi“.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 773. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_773.jpg&oldid=- (Version vom 21.7.2023)