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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

ein Bild architektonischer Majestät. Ruhe und Kraft, Würde und Erhabenheit, diese Charaktereigenschaften der wahrhaften Rechtsprechung beherrschen auch den Bau. Der Schöpfer desselben, Regierungsbaumeister Ludwig Hoffmann, an dessen Seite hervorragende deutsche Künstler wie der Glasmaler Linnemann, die Bildhauer Otto Lessing, Giesecke, Nicolaus Geiger, Felderhoff, Magr, Lehnert, Seffner und Pfannschmidt, die Maler Woldemar Friedrich, Max Koch und andere erfolgreich wirkten, hat ein Werk geschaffen, das bei aller klassischen, vornehmen Einfachheit doch einen Gedankenreichtum aufweist, wie er nur wenig anderen Bauwerken der Neuzeit eigen ist. Ueberall tritt uns bei der Betrachtung des Gebäudes wohlthuend die klare, künstlerische Harmonie entgegen. Es ist eine geniale Schöpfung, die hier zu Ehren des deutschen Reiches und Rechtes entstanden ist.

Abschlußwand in der westlichen Korridorhalle.

Der Plan des Gebäudes stützt sich auf drei Hauptteile. Der mittlere Teil enthält die Sitzungssäle und alle Räume, welche dem Verkehr des Publikums offen stehen. Im nördlichen Teil stoßen wir auf die eigentlichen Arbeitsräume der Beamten und im südlichen auf die Wohnung des Präsidenten. Der Flächenraum des Gebäudes ist etwas kleiner als der des Reichstagsgebäudes in Berlin, etwa um 10 Meter geringer nach beiden Richtungen hin. Auch die Höhenentwicklung ist geringer. Das Gebäude, mit seinen vier Fronten an der Simsonstraße, Wächterstraße, Wilhelm-Seyfferthstraße und Beethovenstraße gelegen, weist eine Breite von 127 Metern und eine Tiefe von 76 Metern auf. In seiner Mitte erhebt sich die weithin sichtbare, riesige Kuppel bis zu einer Höhe von 68,5 Metern. Der Bau enthält insgesamt 391 Räume, drei Hauptvestibüle und neun Treppenhäuser. Der Haupteingang befindet sich auf der Ostseite, an der Simsonstraße. Das große Giebelfeld über den mächtig aufstrebenden Säulen ist reich mit Figuren geschmückt. In der Mitte thront die Justitia. Die Gruppen zu ihrer Rechten und Linken stellen die strafende, verdammende und die befreiende, erlösende Justiz dar. Zur Seite des Haupteinganges sind in Nischen die Standbilder Kaiser Wilhelms I. und Kaiser Wilhelms II., über denen sich mächtige Kaiserkronen befinden, angebracht.

Der große Sitzungssaal, von der nördlichen Loge aus gesehen.
Nach einer Originalzeichnung von A. Liebing.

Auch die Eingänge an der Nord- und Südseite sind durch wirkungsvolle Skulpturen sinnreich geschmückt. Bei den seitlichen Bauteilen ist der Schmuck sparsamer verwendet. Reichskronen, Löwenköpfe, Rollen mit Lorbeerzweigen, Gesetzbuch und Eule, Flammenträger und weibliche Gestalten, die Tugenden des Richters darstellend, geben hier den gewaltigen Steinmassen Schönheit und symbolische Bedeutung. Durch mächtige, schmiedeeiserne Thore kommt man an der Hauptfront in das gewaltige Hauptvestibül. Ernst, feierlich ist der Eindruck, der hier den Besucher ergreift.

Breite Granittreppen führen nach den seitlichen Hallen und dem Innern des Hauptgebäudes. Tritt man in das letztere hinein, so befindet man sich in der großen, mittleren Wartehalle, dem Repräsentationsraum des Reichsgerichts, von dem aus man in die verschiedenen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 750. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_750.jpg&oldid=- (Version vom 21.7.2023)