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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Nächstenliebe geprägt war: „Ja, es ist ein wahres Vergnügen, einen Menschen, wie René Flemming, loben zu dürfen.“

Sie sandte aber sofort am andern Morgen zu Magda und René und ließ sie zum Frühstück um ein Uhr laden, die einzige Stunde, wo man Wochentags ganz sicher war, von René keine Absage zu empfangen.

Magda kam zuerst, blaß und gedrückt.

„Nun, Liebe, was ist das, Du läßt Dich seit langen Tagen nicht sehen? Du hast wohl Renés wegen keine Zeit mehr für Deine alte Freundin,“ sagte Hortense liebevoll.

Es lag natürlich nicht in ihrer Absicht, die zarte Seele Magdas durch Mitteilung des Klatsches zu kränken. Diesen dachte sie aber René nicht vorzuenthalten und hatte vor, ihm, beim Abschied etwa, einiges darüber zu sagen. Beiden zusammen aber wollte sie klar machen, daß eine heimliche Verlobung in Leopoldsburg doch ein größeres Unding sei, als man sich damals in den Bergen vorgestellt hatte.

Auf Hortensens Anrede hin erwiderte Magda leise: „Ich habe René seit vierzehn Tagen, seit Deiner Soiree, nicht gesehen. Er schrieb mir einmal und sagte es mir dann noch bei Dir, daß er mit der ,Zenobia‘ sehr beschäftigt sei. Gottlob, morgen abend endlich wird sie aufgeführt. Aber siehst Du, Hortense, ich war so albern, ich dachte, am Ende spricht er doch einmal vor – ich wäre ja mit fünf Minuten zufrieden gewesen – deshalb ging ich gar nicht aus.“

Ueber Hortensens Gesicht ging eine Bewegung – es huschte darüber hin wie Bitterkeit. Sie kniff die Augen zusammen.

Vierzehn Tage bescheidenen, aufreibenden Wartens lagen hinter Magda. Vierzehn Tage lang hatte sie bei jedem Tritt, der auf der Treppe knarrte, gedacht: er ist es! Bei jedem Glockenton freudig gebebt. Und war jeden Abend müde, enttäuscht, mit ungeweinten Thränen in den brennenden Augenlidern auf ihr Bett gesunken, mit dem klammernden Gedanken: vielleicht morgen!

„Ach ja,“ sagte sie mit leichtem Ton, „der Beruf der Männer ist der Todfeind von uns Frauen. Da heißt es eben, sich gedulden. Aber je weniger man ihnen darüber vorklagt, je weiter kommt man. Das ist bei allen egal: Offiziere, Beamte, Künstler – erst kommt immer die Berufspflicht – dann wir. Aber siehst Du, Herzchen, da sie die Resultate ihrer Arbeit doch der geliebten Frau zu Füßen legen, da sie es ist, die den Ruhm, das Avancement, das erhöhte Einkommen mitgenießt, und alles ihrerseits ohne weitere Sorge als das bißchen Alleinsein genießt, so darf es im Grunde gar nicht schwer für sie sein, auf die liebe Gegenwart des Mannes zu verzichten.“

Die gescheiten Worte, der heitere Ton wirkten sehr wohlthätig auf Magda. Es klang so wahr und schien jetzt, da René gleich bei ihr sein würde, so leicht zu glauben.

Und da war er auch schon. Eine leise Röte flog über sein Gesicht, als er Magda sah. Aber er kam heiter auf sie zu, im Innersten erfreut, sie zu sehen.

Er nahm ihre Hand, streichelte sie und sagte: „Ich bin ganz unartig gewesen. Du mußt mir vergeben. Aber siehst Du: wenn ich nur denke, es wartet jemand auf mich, das erscheint mir wie ein Zwang und macht mich nervös. Es war lieb und gescheit von unserer verehrten Freundin, uns heut’ zusammen einzuladen.“

Er war sehr froh. Er hatte gedacht, in Magdas Nähe würde ihm unbehaglich sein, er würde sich bedrückt fühlen. Denn auf der Soiree bei Hortense war ihm ein fürchterliches Gefühl gekommen, als er die beiden, die ihn liebten, so nahe bei einander gesehen, und da er sich nicht eingestehen wollte, daß dies Gefühl Beschämung sei, hatte er es vor sich selbst verdecken wollen und war ungeduldig, feindselig geworden gegen – die Unschuldige. Hier aber, heute, that ihre Gegenwart ihm geradezu wohl. Er hatte keine Anwandlung von Schuldbewußtsein, sondern ihm war beinahe wie jemand, der von einer Reise nach Hause gekommen ist.

Vor allen seinen drolligen Erzählungen über die Schrecknisse der „Zenobia“-Zeit kam Hortense gar nicht dazu, von Verlobung zu sprechen oder auf die Unterbringung des alten Ruhland in eine Anstalt hinzuwirken.

„Nun siehst Du wohl, Magda,“ sagte er einmal, „ich bin der Sklave dieser barbarischen Königin gewesen und hatte mit dem allerbesten Willen keine Zeit, Dich zu besuchen.“

„Aber Zeit, zum Ball und zum Offiziersthee zu gehen, hattest Du,“ sprach Magda herb.

Es entfuhr ihr so. Sie hatte es in den langen Tagen des Wartens hundertmal gedacht. Es war ihr wie eine Formel geworden, die in ihren Gedanken mechanisch immer wieder kehrte.

„Soll das ein Vorwurf sein?“ fragte René und sah sie an.

Vor der Feindseligkeit, die jäh erwacht aus seinem Blick sprach, erschrak sie so, daß es ihr war, als fühlte sie körperlichen Schmerz.

„Bitte,“ sagte Hortense herzlich, „keine Erörterungen.“

Sie nahmen sich zusammen, René unterdrückte seinen Zorn, dessen blinde Ungerechtigkeit er erkannte und den er dennoch gähren fühlte; Magda bereute sogleich, das Wort gesagt zu haben, obgleich sie fühlte, es war nur gerecht gewesen.

„Gottlob,“ sprach Hortense weiter, „ist mit morgen abend die Last abgeschüttelt. Nach der Vorstellung ist noch große Soiree im Schloß. Der hohe Vetter will die Begeisterung von uns gleich brühwarm genießen.“

„Das ist mir nun furchtbar, daß ich mich da morgen abend im Zwang der Etikette bewegen soll: ich lechze nach Einsamkeit oder Ungebundenheit nach großen Anstrengungen. Kann ich mich nicht drücken?“ fragte René.

„Um keinen Preis.“

„Und das ist nun schön,“ sprach Magda, „daß ich, solange Du in Leopoldsburg bleibst, als Papas Tochter bei solchen Gelegenheilen mit Dir zu Hof geladen werden werde. Ich weiß aber ganz gut, daß dies nur bei unserem kleinen, so von persönlicher Anteilnahme bestimmten Hofleben der Fall ist. Wenn Du später in einer ganz großen Residenz bist, werde ich einfach die nicht hoffähige Künstlersgattin. Aber das soll mich nicht anfechten. Es wird so beglückend sein, unbeachtet nur Dir zu leben.“

Sie hatte es so liebevoll gesagt und glaubte sicher, in ihren Worten könne nichts, aber auch gar nichts liegen, das ihn zu verletzen imstande wäre.

Und doch sah sie ihn erblassen und sah eine gewisse nervöse Bewegung seiner Lippen, die sie schon oft beobachtet hatte. Dieser kurzen Unruhe folgte dann ein Ausdruck wahrhaft eiserner Verschlossenheit.

Von diesem Augenblicke an war es nicht möglich, mit René noch ein Gespräch zu führen. Er antwortete zerstreut und hatte merklich nie zugehört.

Die Frauen begriffen nicht, was in ihm vorging.

„Ich muß es ihr sagen, ich muß es ihr sagen,“ das war der einzige, bohrende Gedanke, der sich plötzlich bei René festgesetzt hatte, als Magda so harmlos von ihrem künftigen Zusammenleben sprach.

„Uebermorgen oder Sonnabend komme ich zu Dir,“ sprach er beim Abschied und vermied ihren Blick.

Hortense ging mit ihm durch den Salon, während Magda, wie erstarrt von unbestimmter Angst, am Eßtisch sitzen blieb.

„Ich muß Ihnen sagen, René,“ begann Hortense, „daß man sich schon mit Magda und Ihnen beschäftigt. Sie sind ein paarmal am hellen Tag spazieren gegangen. Natürlich verlobt man Sie.“

„Die verwünschten Leopoldsburger,“ sprach er und ballte die Faust.

Hortense zuckte die Achseln.

„Sie sind so, wie alle Welt ist, unsere guten Leopoldsburger,“ sagte sie. „Ein Spaziergang im Sonnenlicht vor aller Augen wird mißliebig besprochen. Das Unrecht, das verschleiert im Dunklen geht, bleibt eben verborgen.“

Er sah ihr fest in die Augen. Wußte sie? Nein. Denn herzlich fuhr sie fort: „Und deshalb, René, laßt die doch einmal beschlossene Sache publik werden. Heiratet! Ich werde alles thun, Magda zur Trennung von ihrem Vater zu bestimmen. Denn, daß Ihre Jugendfröhlichkeit, die Ihnen ungetrübt für Ihr Schaffen nötig ist, nicht durch das Zusammensein mit einem solchen Kranken gestört werden darf, versteht sich von selbst.“

„Lassen Sie uns selbständig unsere Angelegenheiten entscheiden,“ sprach er mit harter Stimme. „Ich liebe hierin keine Einmischung, auch von Ihnen duld’ ich keine.“

Sie sah ihm traurig nach. Ihre klugen Augen schauten bis auf den Grund seiner Seele.(Fortsetzung folgt.)


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