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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

und Fürsprache einlegen für das Fräulein“ – er hielt innc und horchte auf.

In die augenblickliche Stille tönte ein dumpfes fernes Rollen. Er stürzte an das Fenster. „Diantre! In der Stadt wird Lärm geschlagen. Was ist los? Und ich bin nicht im Quartier. Wo ist mein Pferd?“ Jetzt war er nur noch Soldat.

Er rannte fort. Ein paar Herren folgten ihm.

Er trug ihnen auf, seinen Abschied der Frau Fürstin zu vermelden. Wenn es möglich wäre, wollte er wiederkommen, für das Fräulein Fürbitte einlegen, dem Kammerjunker jede Satisfaktion geben.

Die letzten Worte verschlang der rasende Hufschlag des davonjagenden Schimmels.

Eichfeld ging festen Schrittes der Thür zu.

Da öffnete sie sich, und der Oberhofmeister trat herein mit strenger Miene, den Stab in der Hand: er kam im Dienst. „Ihre Durchlaucht befehlen dem Kammerjunker von Eichfeld, sich sofort auf der Neidecke in Arrest zu melden.“

Er neigte steif den Kopf und ging wieder, und wie Gespenster entschwanden auch die heiteren Kavaliere, die graziösen Dämchen: denn Ungnade steckt an wie die Pest.

Mit trotzig zusammengezogenen Brauen hatte Eichfeld dem Oberhofmeister gegenübergestanden. Als er aber jetzt nachwollte, hielt ihn Fieke fest.

„Sei Er kein Narr! Wenn Er auch die erbärmliche Hofschranze zusammenkuranzen kann, so rufen sie die Gardisten und machen Ihn gar zum Mönch. Denn Er ist kein Märten! Der freilich schert sich um keine Hofordnung, hätte den Hofmarschallstab mit zwei Fingern zerbrochen, den Mönchen den Hals umgedreht – nur so! Nee, und wenn ich mir denken sollte, Märten ginge ganz schafig in Prison, nur weil es die alte Hopfenstange gesagt hat!“ Sie lachte höhnisch auf. „Geh Er lieber statt in Arrest mit mir zu Superintendents! Vielleicht weiß Hochehrwürden Rat. Und das muß ich sagen: wir auf dem Pfarrhof haben Courage. Ich will die Hinterthür im Garten auflassen, damit Ihn niemand sieht. Also packe Er sein Felleisen! Ich muß auch fort. Wenn ich auch um den Polterabend gekommen bin, die Hochzeit kann ich nicht im Stich lassen.“ Sie schnürte ihr Bündel und machte sich auf den Weg.

Eichfeld stürmte nach seinem Zimmer. In seinen Schläfen hämmerte das Blut. Noch vermochten seine fiebernden Gedanken nirgends einen Ausweg zu finden.

In halber Betäubung packte er seinen Mantelsack; die ihm noch übrig gebliebenen Goldstücke barg er in der Brusttasche; achtlos flogen die Karten zu Boden, zwischen denen sie herumrollten.

Dann warf er sich auf ein Pferd und jagte gleichfalls der Stadt zu. – Durch die Fenster des Treppenhauses sahen Timotheus und Severin ihm nach, während sie langsam zu ihren Zellen hinaufschritten.

In Severins Augen funkelte Triumph.

Timotheus schüttelte den Kopf. „Lieber Bruder, wir sind hierher gesendet, um einer fürstlichen Frau geistlichen Beistand zu leisten, Du insbesondere, um ihrer harmlosen Beschäftigung die Weihe Deiner Kunst zu geben. Aber nicht liegt uns ob, um eines profanen Frauenzimmers willen uns in die Händel eines Husaren und eines Kammerjunkers zu mischen und vielleicht darob die ganze Landschaft in Aufregung zu versetzen. War es klug, wie Du gehandelt hast?“

„Darf man in solchem Falle nach der Klugheit fragen?“ erwiderte Severin schroff.

Ruhig, jedoch mit einem Blick, unter dem Severins Augen abirrten, fuhr Timotheus fort: „Wenn nicht nach der Klugheit, dann nach den Gründen, welche Dich und sie zu dieser Handlungsweise trieben. Werden sie bestehen vor dem Herrn? Es ist nicht das Schicksal der frommen Gertrudis, das sich hier wiederholt. Was dort ein reines Opfer war, ist hier eine Lüge um irdischer Leidenschaft willen. Und vermagst Du zu behaupten, daß Dein Thun von der menschlichsten Schwäche, der Eigensucht, frei war?“

„Eigensucht?“ fuhr Severin auf.

„Es ist auch Eigensucht,“ entgegnete Timotheus fest, „wenn wir etwas, das wir selbst nicht besitzen dürfen, einem andern nicht gönnen, ihm zu entreißen trachten.“

Das bleiche Gesicht des jungen Mönches wurde aschfahl. Er wandte sich mit einer zuckenden Bewegung ab.

Sie waren an ihren Zimmern angelangt.

Timotheus blieb stehen. Eindringlich sprach er: „Wenn Du der Frau Fürstin sagen wolltest, daß Dir Zweifel an dem Beruf des Fräuleins zum geistlichen Stand gekommen wären, so würde sie sich überzeugen lassen. Es ist weiser, einen übereilten Schritt zurück zu thun, als weiter eine Bahn zu verfolgen, auf welcher uns statt Segen Unheil erwachsen kann.“ Er begab sich in seine Zelle.

„Niemals!“ kam es zwischen den zusammengebissenen Zähnen Severins hervor, während er mit hartem Griff seine Thür zudrückte.


Je näher Krainsberg der Stadt kam, um so lärmender schallte ihm das Trommelwirbeln entgegen.

Schon sah er einzelne Züge der Grenadiere abziehen.

Der Major hielt auf dem Sammelplatz. „Zum Teufel! Wo steckt Er? Der Befehl zum Rückzug, den wir kommen sahen, ist eingetroffen. Die Agnaten des fürstlichen Hauses haben Einspruch gegen die Besetzung erhoben und ihre guten Dienste zu neuen Verhandlungen angeboten. Wir müssen heute noch die Landschaft räumen. Die Artillerie rückt jetzt aus. Er mit den Husaren bildet die Nachhut. Aber Er hat einen Herrn des Geheimen Rates mitzubringen als Geisel, einen in schwarzburgischen Sachen erfahrenen Mann, von dem Auskunft zu erlangen ist. Nach den Informationen, die ich eingezogen habe, ist der Sekretarius Struve geeignet dazu. Da ist das Schreiben, das Ihn legitimiert. – Allons, Kinder!“ wandte er sich an die nach und nach abziehenden Kanoniere.

Krainsberg war bei dem Namen Struve zurückgefahren. Aber Widerspruch gab es nicht.

Er jagte nach dem Halteplatz der Husaren. „Eine Kutsche requirieren! Ein Wachtmeister und sechs Kerls folgen mir!“

Am Struveschen Haus, das sie eben verlassen hatten, ritten sie wieder vor.

Da that sich die Thür auf, und der Herr Sekretarius trat heraus im Bräutigamsstaat mit goldbrokatener Weste und Sammetrock angethan, Hals und Hände von Spitzenwerk umkräuselt, den Hut in der Hand, auf der Allongeperücke den grünen Kranz. Er begab sich zur Hochzeit.

Dem jungen Offizier war es ganz zuwider, daß er die genossene reiche Gastfreundschaft auf solche Weise vergelten mußte. Aber wie ging es ihm?

Die reizende Kiliane war ihm aus den Händen gespielt worden, er wußte nicht, wie, eine Beleidigung hatte er einstecken müssen, der Major hatte ihn angeschrieen.

Und da ging ganz geruhig der Umstandsrat und wollte Hochzeit machen mit der stöckischen Demoiselle, die ihn so obstinat behandelt hatte!

Er schwang sich ab und klirrte auf ihn zu.

„Pardon! Wenn ich dem Herrn Sekretarius ungelegen komme, schreibe Er es Seiner Herrschaft zu, die Ihn nicht schützt. Er soll mir sofort nach Weimar folgen als Geisel.“

Struve sah ihn, eine Erklärung fordernd, an.

Der Blick peinigte Krainsberg. „Mille tonnerres! Ich bin selbst nicht genau informiert. Aber schon gestern wurde davon gesprochen, daß in Weimar ein Bote angekommen sei von dem Erbprinzen Günther, der sich zu Verhandlungen anbietet, um einen gütlichen Vergleich mit annehmbaren Vorschlägen zustande zu bringen. Da er der nächste Erbe ist, hofft man auf seine Vermittelung und zeigt sich ihm willfährig.“

Einen Augenblick stand Struve sprachlos. Er hatte sich gesagt, daß sein eigenmächtiger Schritt für ihn schlimme Folgen haben könnte. Und er war nach der Warnung, die gestern durch den Kantor Bach an ihn gelangte, gefaßt auf hereinbrechendes Mißgeschick. Aber das Schicksal knüpft die Fäden immer so, daß es auch einen mit Voraussicht begabten Menschen überrascht. Am Tage, da das Land durch die Hilfe frei wurde, die er mit Ueberschreitung seiner Befugnisse herbeigerufen hatte, wanderte er in die Gefangenschaft.

An seinem Hochzeitstage! Sein Opfermut wurde auf eine starke Probe gestellt.

Aber Magdalene! Preisgegeben dem ungeheuren Aufsehen, verlassen, da sie schon den Kranz auf dem Haupt trug!

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 722. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_722.jpg&oldid=- (Version vom 27.3.2023)