Seite:Die Gartenlaube (1895) 720.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

0 Nachdruck verboten.
Alle Rechte vorbehalten.

Sturm im Wasserglase.

Roman aus dem Anfang des 18. Jahrhunderts.
Von Stefanie Keyser.

 (8. Fortsetzung)

Die Sonne brannte schon am Morgen heiß auf den Schloßgarten hernieder.

Der Kies der Wege blendete grell; von dem mit leichtem Dunst überzogenen Himmel hoben sich dunkel der Walpurgisberg, die graue Kevernburgruine ab. Durch die entlegensten Gänge stürmte Eichfeld. Hier kam doch zuweilen ein frischer Hauch über die Mauer von der Feldluft, durch das schmiedeeiserne Gitterthor drang das Flüstern der Erlen und Weiden, die draußen den kleinen Graben begleiteten, der die Wässerchen entführte, die drinnen in Bassins und Grotten ihre Künste machen mußten.

Er hatte diese Nacht gemeint, ersticken zu müssen. Und dabei sich nicht rühren dürfen, ohne die Witze des neben seinem Zimmer wohnenden Kammerherrn zu wecken.

Von seinen Gefühlen hin und hergeschleudert, glaubte er dem Wahnsinn nahe zu sein.

Die Lösung des Rätsels, das ihm Kiliane einst aufgegeben, hatte ihn wie ein Donnerschläg getroffen. Bei dem Gedanken daran stieg ein heißer Quell von Liebe in seinem Herzen auf.

Reue übermannte ihn wegen seiner Roheit gegen sie. Er mußte ihre Verzeihung zu erflehen suchen.

Dann sah er wieder die blitzenden schwarzen Augen des Husaren im koketten Spiel mit ihrem Lächeln und Fächerwinken – wie konnte sie ihm das thun, wenn sie je einen Funken von Neigung für ihn gehabt hatte? O nein; nie gab sie ihm einen kleinen Beweis von Liebe, nie! Verspottet, verhöhnt hatte sie ihn, sein Herz mit Füßen getreten!

Sein Fuß stockte. Hölle und Teufel! Dort vor dem Marstall führt ein Reitknecht einen Schimmel umher. Das Blut schießt ihm in den Kopf, daß er einen Augenblick alles rot sieht. Die Hand ballt sich.

Mit ein paar Sätzen ist er im Schloß, fliegt die Treppe hinauf nach den Wohnungen der Hoffräulein.

„Mort de ma vie!“ tönt ihm die Stimme des Husarenoffiziers entgegen, „glaubt das Fräulein den Rittmeister von Krainsberg an der Nase führen zu können?“

„Aber das Frölen leidet am Herzschlag,“ wehrt Fieke ab, „und kann den Herrn nicht sprechen.“

„Mille tonnerres! Ich habe mich gestern angemeldet und gedenke, nicht lange zu antichambrieren,“ lautet die ungeduldige Entgegnung. „Sage Sie dem Fräulein, der Rittmeister von Krainsberg werde – “

„Sofort dem Kammerjunker von Eichfeld Rechenschaft geben, was er hier im Schloß zu kommandieren hat,“ fällt der auf der Treppe auftauchende Konrad atemlos vor Wut ein.

Krainsberg fährt herum! „Was hat der Herr hier hinein zu reden?“

Sie stehen sich gegenüber, glühend, mit den Blicken sich durchbohrend.

Die Thür von Kilianes Zimmer geht auf. Sie erscheint, verweint, noch im weißen Morgenkleid, die Hände erhebend.

Die jungen Männer sehen sie gar nicht, stieren nur einander an.

Sie wirft sich zwischen sie; doch die Wütenden stoßen sie zurück, daß sie taumelt, stürmen fort, den Korridor entlang.

Kiliane will ihnen nach.

Da klafft plötzlich die Wand. Ein Schatten wie ein schwarzer Strich liegt über ihrem Weg.

Severin steht vor ihr. „Da spießen sich Zwei dem Fräulein zu Ehren auf.“ Die sonst so bestrickende Stimme klingt ihr wie scharfes Schlangenzischen.

Und doch ringt sie in der Todesangst die Hände zu ihm empor. „Kann niemand helfen?“

„Helfen kann nur das Fräulein selbst,“ flüstert er.

„Wie? um der Barmherzigkeit willen, wie?“

„Wenn Sie dem Beispiel der frommen Gertrudis folgen,“ ist seine Antwort.

Sie zuckt zusammen. Da ist das Schicksal, das sie umgarnt hatte, und nun seine Ringe zusammenschließt. Wie bei einer Ertrinkenden ziehen in einem Augenblick alle Erinnerungen an ihr vorüber, die ihr heilig sind: die Mutter, die ihr am Martinsabend ein buntes Lichtchen anbrannte; deutlich hört sie die ehrwürdige Stimme ihres Vaters singen: „Erhalt’ uns Herr bei Deinem Wort.“

„Ich kann nicht,“ ächzt sie.

Severin lauscht hinab, während seine Augen sie wie in eisernen Klammern halten. „Sie stürmen in den gelben Saal. Sie haben es eilig, sich den Garaus zu machen.“

„Nehmt das Opfer hin,“ schreit sie auf. „Ich kann, ich will Konrad nicht sterben sehen.“ Und wie tot fällt sie vor ihm nieder. – Besinnungslos vor Zorn hatte Eichfeld die Thür zum gelben Saal aufgerissen.

Sie fuhren hinein. Nur allein sein, nur so schnell als möglich die Sache zur Entscheidung bringen.

Sie standen sich gegenüber, über die Schulter die Blicke einander zugewendet, die Hand am Degengriff – es war schon die Fechterstellung.

„Hat der Herr Kammerjunker ein Anliegen an mich?“

„Hat das der Herr Rittmeister endlich begriffen?“

„Herr!“

„Herr!“

Die Klingen sausten aus der Scheide. Keiner dachte mehr daran, wo er war.

Da blendete plötzlich ein Lichtstrahl ihre Augen. Er kam vom Spiegel, der sich herumwirbelte. Fieke stürzte aus der dunklen Höhlung.

„Um Gotteswillen, zu Hilfe! Das arme Frölen! Ja, sehen die Herren mich nur an! Sie sind schuld daran, daß das arme gute Herz eingesperrt wird. Eben hat sie der lange Schwarze fortgeführt. Sie geht ins Kloster, weil sie ihren Konrad nicht sterben sehen will.“ Sie weinte laut auf.

„Was sagst Du da?“ schrie Konrad, sie am Arm schüttelnd.

„Weil sie Ihn nicht sterben sehen will,“ wiederholte Fieke. „Laß Er mich los. Ich bin nicht verrückt und habe es selbst gehört. Aber Er ist verrückt und der rote Krebs da. – Ach, ich fürchte mich gar nicht, nicht einmal vor Märten, und was ist das für ein Kerl! – Der lange Severin hat mich in die Wand geschoben und gezischt: ,Die Treppe hinab! Wo Sie wieder mit der Nase vor die Wand rennt, dreht sich der Spiegel im gelben Saal. Da haben sie sich am Kragen. Bring’ Sie die Botschaft den beiden Narren‘ – mit Respekt zu vermelden. Dann faßte er sie an der Hand: ‚Folge das Fräulein mir zur Frau Fürstin!‘“

„Ins Kloster, weil sie mich nicht sterben sehen will,“ murmelte Eichfeld, der sich, noch ganz betäubt, auf seinen Degen stützte.

„Ins Kloster?“ rief Krainsberg, starr vor Staunen.

Die Thür öffnete sich. Hofdamen und Herren glitten herein, wunderlich noch in Pudermänteln, ohne Perücken. In den Gesichtern neben der gebotenen höfischen Bestürzung: Neugier, Schadenfreude.

„Endlich hat sich der Plagegeist selbst gefangen,“ sagte voll unverhohlener Bosheit der erste Kammerherr. „Nun wird man ihr die langen blonden Haare abschneiden, mit denen sie bis Mittag herumkokettierte.“

Die Oberhofmeisterin keuchte atemlos herein. „Sie ist eben in die Kapelle geschlossen worden und soll dort bis morgen im Gebet bleiben.“

Der Stallmeister flog an der offenen Thür vorüber. „Ich muß den Reisewagen in Bereitschaft setzen,“ rief er halblaut in den Saal; „morgen geht’s ins Kloster nach Erfurt.“

Eichfeld fuhr empor. „Niemals,“ kam es hallend von seinen Lippen, „so lange ein Atemzug in meiner Brust ist.“

„St!“ klang es ringsum, und alle Reifröcke machten eine Achtelsschwenkung von ihm fort.

Eichfeld lachte auf. „Was frage ich nach der Ungnade?“

„St!“ ging es wieder durch den Saal. Rings erhobene Hände, entsetzte Gesichter.

Verstört sagte Krainsberg, dessen Eifersucht durch den unerhörten Vorgang niedergeschlagen worden war: „Ich werde um Verzeihung bitten, daß ich mich hier im Schloß vergessen habe

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 720. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_720.jpg&oldid=- (Version vom 27.3.2023)