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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

„Bhüat Gott auf die längere Zeit!“

Eine bayrische Geschichte von Felix Dahn.
Illustriert von C. Thoma.


1.

Der Herr Lieutenant von Baumhart im königlichen ersten bayrischen Jägerbataillon zu München und sein Bursche, der Gürtler-Franz von der Fraueninsel im Chiemsee, waren – sozusagen – gute Freunde. Das will heißen: als der Herr Lieutenant noch ein Bub’ war wie ein andrer auch, hatten seine Eltern Jahr um Jahr viele Wochen der herbstlichen Freizeit auf jenem poesievollen Linden-Eiland verbracht und der junge Herr hatte beim Fischen – mit der Grundangel auf der „Hachel“ – und bei nicht immer ganz jagdpolizeilichem Jagen auf Stockenten am „Ganszipfel“ jeden Herbst den Gürtler-Franzl als besten Gehilfen, Genossen, Mitschuldigen und so denn als Freund gewonnen und erprobt.

Wie lustig war’s, nach erfolgreichem Fischfang mit dem Senknetz, sich vom Ostwind heimtreiben zu lassen an das Ufer beim Gürtlerhäusel, das, von Kletterrosen und anderm Gerank anmutig umhegt, von den aus dem See gefischten steinernen Bildsäulen des heiligen Petrus und Paulus bewacht wird: – wie es Freund Scheffel so reizvoll beschrieben hat.

Aber auch ernstere Erlebnisse verbanden die beiden Heranwachsenden. Als der Franzl sich beim Besteigen des Hochfelln beinahe „derfalln“ hätte, sprang der junge Theodor rasch bei, warf sich auf die Erde, reichte beide Arme hinab und zog ihn herauf mit äußerster Gefahr, von dem Schwereren hinab gerissen zu werden. Und als im nächsten Jahr der rasende Südwest den Einbaum der beiden Knaben in das Geklipp von Chieming trieb und der Herr Theodor, da sein Ruder brach, kopfüber in den weiß-grün schäumenden Gischt hinausstürzte, da warf sich der Franzl ohne Besinnen nach in die tobende Flut, haschte den Versinkenden und half ihm wieder in den Kahn. So waren sie quitt, vorläufig.

Allmählich waren nun aus den Buben junge Leute geworden: aber die alte Freundschaft blieb unverändert und auch als der Franzl in die Compagnie des Herrn Lieutenants eintrat, seine drei Jahre abzudienen, dauerte unter den nun durch Stellung wie durch Bildung so scharf Getrennten doch eine Art von Kameradschaft fort: – wenigstens unter vier Augen; mußte auch der Offizier, wahrlich nicht aus Hochmut, nur um der Disciplin willen streng darauf sehen, daß in Gegenwart Dritter jedes Zeichen solcher Vertraulichkeit unterblieb.

Dem guten Franzl ward es freilich nie ganz klar, weshalb der „Thedi“, der, wann sie allein waren, selbstverständlich ihn duzte und sich duzen ließ, so zornig ward, falls sein Bursche dies auch in Gegenwart anderer Offiziere oder Soldaten fortsetzte; und noch ärger war ihm, daß der Thedi dann auch ihn mit „Sie“ anredete; oft drehte er sich hierbei um und sah, wer denn eigentlich damit gemeint sei. Auch das „Zu Befehl, Herr Lieutenant“ statt des altgewohnten „Ja, ja, da feit si nix“Da fehlt sich nichts. ging ihm schwer ein, dem Franzl. Und noch manch andere chiemgauische Redewendung kam ihm nicht aus der Uebung.

Eines Abenbs hatte der Herr Lieutenant seine beste Uniform angezogen und sich sorgfältig vor dem Spiegel das braune Haar gescheitelt. Der Franzl stand dabei, machte ein verschmitztes Gesicht und reichte ihm nun den Säbel zum Umschnallen.

„Bhüt Dich Gott, Franzl. Und wenn jemand nach mir fragt, so sag nur, ich sei bei ...“

„Dem Herrn General von Hanberg und Familie.“

„Woher weißt Du das?“ fragte der Offizier verwundert.

„A mei, Thedi! Dumm bin i scho. Aber so dumm, daß i dös nit mirk, so dumm san mer do nit auf der Insel.“

„Wieso? Was moanst? ... was willst Du damit sagen?“ verbesserte sich der Lieutenant, ein wenig rot im Gesicht.

„Geh, g’stell Di do nit so, Herr Leitnampt. Schau, alleweil,. bal’s di gar so schö scheitelst, nacher gehst zu den saubern Generalstöchterl mit de schena blau’n Augn und die gelben Haar. Is a schön’s Dirndl. G’wiß is wahr. Und bal’s zu der gehst, nacha bhüat Di Gott auf die längere Zeit!“

Jetzt sehr erhitzt im Gesicht, fuhr der Herr den Burschen an: „Franzl, Du sakrischer Kerl, i sag Dir, ich rate Ihnen, daß Sie sich wie viele andre unpassende Reden auch dies verfluchte ‚bhüat Gott auf die längere Zeit‘ abgewöhnen. Es ist das höchst unpassend für Sie und mir gegenüber.“

„A mei, Herr Thedi. Das D’ jetzt a so sagst! Es hört’s ja koa Mensch da! Und auf der Hachel hamm mer ...“

„Wir sind nicht auf der Hachel! Und schau, Franzl,“ schloß er gutherzig, „wenn Du Dir’s nicht abgewöhnst, wann wir allein sind, kannst Du’s auch vor andern nicht lassen. Und das geht doch nicht. Sixst es denn gar nit ein?“

„Ja, ja, dös sich i scho. Da feit si nix ...“

„‚Zu Befehl‘, mußt Du sagen. Erst neulich hat’s der Herr Hauptmann gehört, wie Du Du zu mir gesagt hast, und hat mich gescholten, daß ich’s leide, und Dir Arrest gedroht. Also nimm Dich zusammen!“

„Ja, ja, is ja recht. Feit si ... Zu Befehl, Herr Leitnampt.“


2.

Lange waren die drei Dienstjahre des Franzl um. Er hatte geraume Zeit auf der Insel dem Vater geholfen beim Fischen, ja zuletzt dem alten Mann, dem die Gicht in den Beinen und in den Händen stak, die Arbeit ganz abgenommen: die im See und die zu Land in der Feldwies, wo das Gürtlerhaus ein paar saure Wiesen besaß.

Aber so viel Zeit ließ Fischen und Mähen dem Franzl doch, daß er gar oft am Abend in das Metzgerhäusl in Hoamgarten ging und dort am Herdfeuer seine alten Netze flickte, während die nußbraune Metzger-Nanni neben der alten Basen am Spinnrocken saß.

Und wenn die Waben[1] manchmal in die Kuchl ging, nach der magern Brennsuppen für das Nachtmahl zu sehen, und wieder herein kam, dann war es sonderbar, daß weder der Flachswocken am Spinnrad kleiner, noch das Loch im Senknetz schmaler geworden war: wohl aber hatte die Nanndl einen Kopf so rot wie die Nelke hinter ihrem Ohr.

Aber einmal an einem schwülen Julinachmittag kam der Franzl zu ganz ungewohnter Stunde an das Metzgerhaus gelaufen und schrie laut – gegen seine sonstige Weise: – „Nanndl! Waben! Metzger! Gschwind geht’s außi. Gschwind!“

Und als die drei Gerufenen hastig und erschrocken auf der Steintreppe, die zur Hausthür hinanführt, erschienen, sprang der Bub’, seinen Stock und sein Packl, das er zusammengeschnürt hatte, fallen lassend die Stufen alle mit Einem Satz hinan, packte die Nanndl mit beiden Händen an beiden Wangen und küßte sie dreimal rasch nacheinander auf den Mundt – zum sprachlosen Erstaunen ihres Vaters, und allerdings zu geringerem der Waben.

„Ja, Franzl, hat Di der Deifi?“[2] grollte der Alte.

„Wird scho so sein, Metzger. Krieg is, der Napoleon, der Sakraschwanz, hat angfangt. Eingrufn sam mer alle samm. Alls muaß fort, auf Mincka[3]. Das Dampfschiff ... hörst es? Da pfeift’s scho. Woaß Gott, i muaß lafn. Aber – i hab’s do der Nanndl sagen müassen. Und Dir a, Metzger, bal i g’sunt hoam kimm, na wirt glei gheirat. Jetzt, Nanndl, bhüat Di Gott auf die längere Zeit!“

  1. Walpurga.
  2. Hat Dich der Teufel?
  3. München.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 716. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_716.jpg&oldid=- (Version vom 21.7.2023)