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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

er in hochmütigem und oberflächlichem Ton, während er abermals rot wurde:

„Es liegt nichts daran. Man schreibt einmal so allerlei nieder.“

Seine keusche Seele ertrug es nicht, daß laut von Dingen gesprochen ward, die er in stiller Stunde und besonderer Stimmung seiner Verschlossenheit abgerungen hatte.

Magda stand noch zu sehr unter dem beglückenden Einfluß des Briefes, um sich sehr verletzt zu fühlen, sie dachte nur, wie unbegreiflich seltsam er sei, und vermied an den folgenden Tagen wieder von seinem Brief zu sprechen.

Am Sonnabend der Woche fragte eine ihrer Schülerinnen in der Malstunde plötzlich: „Magda, seit wann kennst Du denn René Flemming so genau?“

„Ich?“ fragte Magda entgegen und fühlte sich erschrecken.

„Ja, neulich hat meine Tante Laura Dich mit ihm vorm Schloß gehen sehen und gestern, sagt Papa, seid Ihr im Wald spazieren gegangen.“

Nun lächelte Magda wieder ganz heiter. „Freilich. Ich habe ihn bei Frau von Eschen näher kennengelernt,“ sagte sie, „und es ist sehr anregend, mit ihm über Kunst zu sprechen.“

Die Malschülerinnen wechselten einen Blick.

„Du, Dein Flemming läßt ja bald ’was aufführen,“ sagte Sibylle Lenzow.

Das war Mädchenunart. Sibyllens Freundinnen sagten zu ihr auch „Dein Wallwitz“, und sie sagte zu den Freundinnen „Dein X!“, wenn eine einmal viel mit einem Herrn getanzt oder gesprochen hatte.

Magda geriet in tödliche Verlegenheit; sie konnte die Ungehörigkeit nicht zurückweisen, nicht sagen „er ist nicht mein Flemming“ und „dergleichen schickt sich nicht“. Es wollte nicht von ihren Lippen.

Sie konnte nur thun, als hörte sie nichts, und sich eifrig mit der verpfuschten Malerei einer andern Schülerin beschäftigen.

Am nächsten Mittwoch aber thaten die jungen Damen das äußerste, sie zu quälen. Abends vorher war der Ball bei der alten Gräfin Wallwitz gewesen. Magda hatte mit sehnsüchtiger Vergnügungslust dahin gedacht, wo sie René wußte, und hätte so viel, so viel darum gegeben, mit ihm tanzen zu dürfen. Nun klatschten die Mädchen das ganze Fest durch. Die kleine Sibylle Lenzow mußte sich die unerhörtesten Neckereien gefallen lassen wegen ihres Benehmens mit dem Lieutenant Wallwitz.

„Du warst wie ein Trabant um den Mond, immer um ihn ’rum,“ sagte Johanna von dem Busche, „Großmutter Wallwitz saß da wie ’ne geladene Wetterwolke, denn Du weißt doch, diese Wallwitze, der Lieutenant und Lilly, haben nicht viel, die müssen Millioneser heiraten.“

So ging das in einem Ton fort.

„Großmutter Wallwitz hätte nur lieber auf ihre teuere Lilly passen sollen,“ rief Sibylle und hielt ihren Stein, auf dem das Edelweißbouquet immer noch nicht fertig war, weit von sich ab, ihn wohlgefällig besichtigend, „wie die mit Flemming kokettiert hat! So ’was ist mir noch nicht vorgekommen.“

Magda verbesserte gerade mit ihrem Pinsel Johannas Rosenstück auf der Leinwand und plötzlich schien es, als stände auf der Leinwand anstatt der Blumen ein Mädchengesicht mit lachendem Mund und einer dunklen Lücke in der weißen Zahnreihe.

„Na,“ meinte Johanna von dem Busche, die sich behaglich rückwärts gelehnt hatte, um Magda Platz zu geben, „René Flemming reagierte aber auch nicht schlecht. Baron Krausneck sagte noch, das kommt davon, wenn man diese Leute in unsern Salons zu sehr verzieht, sie vergessen jede Grenze.“

„Baron Krausneck sollte sich glücklich schätzen, mit René Flemming in demselben Haus verkehren zu dürfen“ sagte Magda mit blassen Lippen.

„Ach so –“ machte Johanna gedehnt.

„Das finde ich auch,“ rief Sibylle eifrig, „Dein Krausneck ist ein … na, nur immer parlamentarisch, sagt Papa, wenn ich mich mit den Brüdern prügle. René Flemming ist ein großer Künstler und ein himmlischer Mensch und wenn er eine Dame so auszeichnet, wie er Lilly Wallwitz auszeichnete, so ist es ein Ruhm und eine Ehre für sie. Und schließlich wird eine Lilly Wallwitz auch noch lieber einen Mann heiraten den sie liebt, und der vielleicht mal unsterblich werden kann, als irgend einen greulichen Millionär.“

Das Gelächter der andern schnitt der Verteidigerin Renés das Wort ab.

Und wie grausam sie ihn verteidigt hatte – für Magdas Ohren!

Als sie gegangen waren, lächelte Magda in sich hinein.

„Er wird kommen und mit mir über die Mädchen lachen,“ dachte sie.

Und sie wartete.

Aber er kam nicht.


4.

René Flemming verkehrte sonst nicht bei der alten Gräfin Wallwitz, die nur betagte Freunde und Freundinnen zu Whistpartien und kleinen Diners bei sich sah. Aber die Anwesenheit ihrer Enkelin hatte sie veranlaßt, ihrem Enkelsohn, dem Lieutenant Walfried von Wallwitz, zu sagen: alle seine Kameraden und Freunde möchten bei ihr Karten abgeben. Und durch ihre alten Freundinnen hatte sie ein ähnliches Aufgebot an die jungen Damen der Gesellschaft ergehen lassen. Leider hatte sie nicht Hortense von Eschen bei der Organisation des neuen und jungen Lebens in ihrem Hause um Rat gefragt, und auch Herr von Lenzow, Sibyllens Vater, der Magda sehr wohl wollte, hatte zufällig nicht an diese gedacht. So erfuhr René zu seinem Bedauern, daß er Magda auf dem Ball nicht treffen werde, während er es sich sehr reizvoll gedacht hatte, inmitten der Welt das heimliche Einverständnis mit ihr zu fühlen.

Mit mäßigem Vergnügen setzte er sich in den Wagen, denn in seiner beflügelten Arbeitsstimmung schien ihm jeder Abend, den er anderswo als an seinem Schreibtisch und Klavier verbrachte, ein Verlust. Raubte seine Dirigentenpflicht ihm doch ohnehin schon viele Abende.

Aber er hatte es seinem lieben Wallwitz nicht abschlagen mögen, der ihm noch extra gesagt: „Lilly interessiert sich fabelhaft für Dich, Du mußt kommen.“

Walfried und Lilly waren die Kinder eines jüngeren Sohnes, auf den der Grafentitel nicht überging. Das Vermögen der Familie bestand in einem Majorat. Dem jüngeren Sohne hatte die nicht unbemittelte Gräfin ein Gut gekauft – es sollte eine klägliche Scholle sein. Auch hatte sie Lillys Erziehung bestritten und diese war durchaus nicht im Rahmen der väterlichen Verhältnisse. Die Welt sagte, daß die alte verwitwete Gräfin ihren ältesten Sohn nicht sonderlich liebe und ihr gesamtes Privatvermögen bei Lebzeiten für den jüngeren Sohn und seine Kinder aufbrauche.

Nun, René wußte genau, daß wenigstens sein Freund aus der großmütterlichen Tasche eine reichliche Zulage erhielt. Und auch, daß sie ihr ruhiges Leben ganz umänderte der Enkelin zuliebe, mochte ein weiterer Beweis für die Wahrheit der Gerüchte sein.

In den großen kahlen Räumen konnte sich die Jugend breit genug machen. René fand, als er sich ein wenig umsah, daß es den Eindruck machte, als ob die ungenügend vorhandenen Möbel in zwei, drei Räume zusammengetragen waren, die andern Zimmer und Säle aber mehr als dürftig ausgestattet seien.

Er ließ sich von Wallwitz der Dame des Hauses vorstellen, einer großen gebeugten Frau, mit einer Brille vorm knochigen Gesicht und einer unter dem Kinn geschlossenen Haube, die von einer ringsum gleichmäßig dünnen weißen Rüsche umgeben war. An der alterswelken Hand trug die Dame einen sehr auffallenden breiten, vielverschnörkelten Goldring. René sah es, als er die Hand küßte.

Er begrüßte auch Hortense, die wie immer in königlicher Haltung, schön gekleidet, den Mittelpunkt einer Gruppe bildete. Aus diesem Kreis zog Wallwitz ihn fort.

„Lilly will Dich sehen,“ sagte er.

Wallwitz schien auf den ersten Blick der typische Lieutenant, mit seiner schlanken Taille, den breiten Schultern, dem vorschriftsmäßig friserten Blondhaar und dem blonden Schnurrbart im rötlichen Gesicht. Seine blauen Augen waren nicht von Brauen überwölbt, aber das scharf vorspringende und abschneidende Stirnbein ließ doch den Eindruck der Fadheit nicht aufkommen, die fehlende Brauen leicht hervorrufen.

Bei näherem Zusehen bestätigte auch Wallwitz die Thatsache, daß es keine Typen giebt, und daß selbst der gleiche Bildungsgang, der gleiche Ideenkreis, die gleiche Tracht nicht die Spuren der Persönlichkeit zu verwischen vermögen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 714. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_714.jpg&oldid=- (Version vom 25.7.2023)