Seite:Die Gartenlaube (1895) 709.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Nr. 42.   1895.
Die Gartenlaube.

Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.
Abonnements-Preis: In Wochennummern vierteljährlich 1 M. 75 Pf. In Halbheften, jährlich 28 Halbhefte, je 25 Pf. In Heften, jährlich 14 Hefte, je 50 Pf.



Die Lampe der Psyche.

Roman von Ida Boy-Ed.

     (2. Fortsetzung.)

Bald nach vier Uhr schickte Hortense das Brautpaar fort; man hatte verabredet, daß René unter dem Vorwand, Magda des Sonntagspublikums wegen heimbegleitet zu haben, mit zur alten Excellenz hinauf gehen sollte. Er konnte in Nicolais Gegenwart dann den Kaffee dort mit trinken und so sich harmlos in die Nähe des Leidenden schmuggeln.

Durch die Stadt und in der Ringstraße gingen sie nebeneinander her. Hier und da hatte man Durchblick auf den gelbroten Wald, der sich hinter den Gärten der Ringstraße hügelan zog.

In ihnen beiden ward die Sehnsucht groß, hinaus zu können, denn hierin waren sie vollkommen gleich, daß ihnen die Natur die besten Stimmungen gab. Und ganz zugleich sagten sie: „Könnten wir doch in den Wald!“

Die drollige Gleichzeitigkeit des Ausrufs machte sie beide glücklich.

„Das heißt soviel als: es soll so sein. Nur eine halbe Stunde lang,“ bat er.

Magda dachte gar nicht daran, daß es für fremde Beobachter befremdlich sein konnte, wenn sie allein mit René Flemming im Walde spazieren ging. Die Unschuld ihres Herzens war so vollkommen, daß sie nie an Mißdeutungen dachte. Den ersten Weg, der sich zwischen zwei Villen waldwärts zog, schlugen sie ein. Vor dem klarblauen Himmel stand die ansteigende Wand des Waldes, in welcher sich neben den dunkelgrünen Tannenwipfeln gleich schaumig gebauschten Farbenflecken die gelbroten Buchenkronen erhoben. Höher und ferner waren die Tannenwipfel von dunkelblauen Bogenlinien wie durchzogen – den Schattentiefen zwischen den Baumreihen. Ein kräftiger Geruch von welkendem Laub machte die Luft herbe und charaktervoll. Das Unterholz, das sein sperriges Gezweig zwischen grauen und roten Stämmen breitete, war noch grün, so daß diese wie von Frühlingsschmuck umspielt schienen.

Sie schritten auf einem sacht und schnurgerade ansteigenden Weg dahin, dessen Waldesmauern sich in der Perspective droben fast zusammenschlossen und nur ein kleines weißes Rund des Lichts offen ließen, welches von weitem dem Auge wie eine Verheißung von möglichem Ausblick in die Ferne erschien.

Ihnen begegneten einige Bekannte, die ein wenig erstaunt grüßten, was indes weder Magda noch René bemerkten. Sie gingen fast

Vom Münchener Volkstrachtenfest: der Bandeltanz der Kirchanschöringer.
Nach dem Leben gezeichnet von Fritz Bergen.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1895, Seite 709. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_709.jpg&oldid=- (Version vom 23.7.2023)