Seite:Die Gartenlaube (1895) 699.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

von Mark bezahlt werden, hat selbst gebunden. Heinrich IV. von Frankreich dagegen und die Geistlichkeit, in deren Händen die Herstellung von Büchern so lange gewesen ist, hat die Buchbinderei fort und fort und auch dann noch gepflegt, als dieselbe längst ein bürgerliches Gewerbe geworden war. Der Abbé du Seuil betrieb diese edle Kunst unter Ludwig XIV. als Liebhaber. Ludwig XV. dagegen war Setzer: er band keine Bücher, las keine Bücher, schrieb keine Bücher, druckte aber Bücher. Er verstand sich auch auf die Zubereitung von Ragouts und Saucen und setzte seinen Ehrgeiz darein, für den ersten Koch Frankreichs und, da die französische Kochkunst damals auf ihrer Höhe stand, für den ersten Koch der Welt zu gelten. Diesen Geschmack haben manche Fürsten mit ihm geteilt.

Sein Enkel, Ludwig XVI., war ebenfalls ein Setzer. Schon als Prinz hatte er in Versailles eine eigene Buchdruckerei, aus welcher im Jahre 1766 die „Maximes morales et politiques, tirées de Télémaque“, eine Auswahl von Sprüchen aus Fenelons „Telemach“, in einer Auflage von 25 Exemplaren hervorgingen. Er zählte damals 12 Jahre. Bei ihm trat der Handwerkergeist besonders deutlich hervor; er spielte nicht mit Szepter, Krone und Stern, er spielte mit Hammer und Feile, denn die Schlosserei ward später seine Lieblingsbeschäftigung. Und er hätte am Ende die Schlosserei wirklich brauchen können. Wer weiß, ob er nicht zum Handwerk gegriffen hätte, wenn die Flucht in der Juninacht des Jahres 1791 gelungen wäre. Dafür kam er im nächsten Jahre selbst hinter Schloß und Riegel, in den finstern Turm des Temple, den er mit aller seiner Geschicklichkeit nicht sprengen konnte.

Die Familie der Bourbonen scheint sich nachgerade in eine Familie von Handwerkern aufzulösen. Bekaantlich ist in den dreißiger Jahren ein Deutscher, Karl Wilhelm Naundorff, als der Sohn Ludwigs XVI. und der Königin Marie Antoinette und somit als der wahre echte Ludwig XVII. aufgetreten. Dieser Mann war Uhrmacher in Spandau, später in Brandenburg, zuletzt in Crossen, Vater einer zahlreichen Familie, unter aaderm einer Tochter, die mit Marie Antoinette wirkliche Aehnlichkeit besaß. Er hatte auch einen Sohn Ludwig Karl, der augenblicklich als „König Karl XI.“ in den Niederlanden, in der Nähe von Delft lebt. In Delft liegt sein Vater, der Uhrmacher, begraben. Er ist ein ältlicher korpulenter Herr mit weißem Haar und Schnurrbart, ein unverkennbares Bourbonengesicht. Er spricht von der Profession seines Vaters als von etwas Selbstverständlichem: sie kann die Ansprüche seiner Familie nur unterstützen und glaubhaft machen. Sein Vater war eben Uhrmacher, wie sein Großvater Schlosser war, und wie er selbst, er, Louis Charles de Bourbon, Herzog der Normandie, Holzschnitzer ist. Das Handwerk kennzeichnet die Könige von Frankreich und Navarra. Ehrt andere Könige nur die Würde, ehret sie der Hände Fleiß.

Nun, jede redliche Arbeit ehrt den Mann: das Wort den Redner, die Feder den Schriftsteller, der Besen den Straßenkehrer. Das ist der hohe Standpnnkt der mächtigen Republik der Vereinigken Staaten; das mag den Königssohn trösten, der nicht mehr bloß zum Spaße ein Handwerk treibt. Er mag an den Schwager Ludwigs XVI., an den menschenfreundlichen Kaiser Joseph denken, der aus Ueberzeugung das Schuhmacherhandwerk erlernte, die Gesellen um sich versammeln und ihnen die Abzeichen ihres Gewerkes in Silber überreichte, ein Ereignis, zu dessen Andenken noch gegenwärtig in Prag alle Ostern das Schusterfest, die sogenannte Fidlowatschka gefeiert wird. Fidlowatschka ist auf böhmisch der Name des Holzes, mit dem die Absätze, Ränder und Sohlen der Schuhe geglättet werden. Er denke an den Grafen Leo Nikolajewitsch Tolstoi, der so weit geht, die Handarbeit gleichsam für die Moral selbst zu erklären, der die Ausübung eines Handwerks wie eine Pflicht von jedem freien Manne fordert und der ebenfalls das Schusterhandwerk gewählt hat. Er arbeitet tagtäglich vier Stunden mit dem Knieriemen. Als er zu dieser Ueberzeugung gelangt war, ließ er einen Schuhmachermeister zu sich aufs Schloß kommen; derselbe mußte ihm zeigen, wie man eine Sohlennaht näht, mit der Ahle einen Stich durchs Leder macht und die mit Schweinsborsten verdrehten Spitzen eines Fadens durchsteckt. Alles Notwendige hatte er angeschafft. Zwei Wochen lang nahm der Graf in seinem Schlosse täglich von Mittags bis 5 Uhr nachmittags Unterricht bei dem Meister, ängstlich um dessen Zufriedenheit bemüht und begierig, Fortschritte zu machen. Und dabei ist der Graf schon alt, gegenwärtig bald ein Siebziger, sein Augenlicht schwach, seine Hand zitterig. Uebrigens arbeitet er nur für sich und seine Tochter, der er ein Paar Knöpfstiefel aus Glacéleder mit russischem Kalbslederbesatz und Kappe gemacht hat.

Ueber den Nutzen solcher Beschäftigung nicht für den Lebenserwerb sind die Ansichten verschieden. Sie hat aber zweifellos einen hohen erzieherischen Wert. Die gründliche Kenntnis eines Handwerks schärft unsere Sinne und macht uns zu Meistern über die größte Gehilfin des Menschen, die Hand. Darum lernen heute nicht nur Prinzen nebenbei ein Handwerk. Ueber die meisten Kulturländer hat sich der Handfertigkeitsunterricht verbreitet und in wohlgeleiteten Schulen werden Tausende und Abertausende von Knaben aller Stände mit den Anfangsgründen irgend eines Handwerks vertraut gemacht. Ob aus der Schar der Dilettanten einige Meister hervorgehen werden? Wer weiß es! Jedenfalls werden unter diesen Umständen in Zukunft „Handwerker von Stande“ nicht mehr so selten sein wie bisher.


Nachdruck verboten.
Alle Rechte vorbehalten.

Sturm im Wasserglase.

Roman aus dem Anfang des 18. Jahrhunderts.
Von Stefanie Keyser.

 (7. Fortsetzung)

Sobald der Rittmeister sporenklirrend auf der Schwelle erschien, ertönte ein Schrei. Bärbchen Marei, die der Thür zunächst stand, erkannte den kecken Kriegsmann, der sie attackiert hatte, und flüchtete. Die anderen Mädchen folgten ihr, in der fernsten Ecke der Stube drängten sie sich ängstlich zusammen.

Und er war doch so schön in der ganzen Pracht seiner Ausrüstung: mit dem rotea goldbetroddelten Dollmann, dem Säbel und der gestickten Säbeltasche, den bequasteten und bespornten Reiterstiefeln.

„Pardon! o Pardon!“ rief er, halb lachend, halb bestürzt über den Erfolg seines Sturmlaufes. „Meine Intention ist nur, sabmissest der Demoiselle Braut meine Gratulation zu Füßen zu legen.“

Seine Augen musterten den Knäuel junger Mädchen. Verdammt! da war auch die kleine Kantorin. Und das Schätzchen des riesenhaften Grobians. Aber welche mochte die Braut seines Hauswirtes sein? Sie waren alle bildhübsch.

Die Mädchen sahen ihn wieder an, aber nur mißirauisch, höchstens neugierig. Alle die kleinen Festungen hinter den Fischbeinleibchen waren ja schon besetzt; der Subkonrektor hatte sich sogar in zweien derselben verschanzt. Unglaublich für einen roten Husaren!

Aus dem Nebenkabinett, wo die Dreifußterrine stand, drang ein Wispern.

Herr Struve war durch eine Seitenthür dort eingetreten und obgleich er sich innerlich empörte über den Husarenstreich, war doch in seiner Zusprache ebenfalls von guter Miene die Rede.

Die Rehaugen seiner Braut sahen klagend zu ihm auf. Sie war entrüstet, daß sie sich so zur Schau stellen sollte. Dann kam ein Zug von unbeugsamer Entschlossenheit in ihr Gesicht.

Sie ergriff mit der ihr eigenen Zierlichkeit den Zinnteller, auf den ihre Mutter ein hohes Glas voll schäumenden Glühweines stellte, und ging kerzengerade in die Visitenstube auf den Gast zu, der bereits etwas betroffen auf die junge Mädchenschar blickte.

„Die Braut bittet, ein Glas auf ihr Wohl zu trinken,“ sagte die Hausfrau, ihre Tochter vorstellend. Bei dem Aufleuchten der schwarzen Augen des Fremden flog ein Lächeln befriedigter Muttereitelkeit über ihre immer gefaßten Züge.

Mit Staunen haftete der Blick des jungen Mannes auf der reizenden Gestalt im hellgleißenden halbseidenen Kleid, dessen eingewebte Mohnblüten nicht träumerischer aussahen als das unbewegte Gesichtchen, nicht röter waren als der süße Mund. Und diesen kleinen Mund durfte der trockene korrekte Sekretarius küssen, wann und so viel er wollte? Mille tonnerres!

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 699. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_699.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2023)