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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Eine Person von aufdringlicher Schönheit, stattlich, große Züge, flammende Augen, in der roten, entfesselten Haarflut ein Diadem von zwei sich verschlingenden und emporzüngelnden Schlangen. Das grüne Sammetkleid und der orangefarbene Mantel umwallten sie königlich. Magda dachte nicht daran, daß das rote Haar eine stilvolle Perücke, daß die köstlichen Farben Schminke seien.

Sie kam sich plötzlich selbst unbedeutend und prosaisch in ihrer Erscheinung vor. Was war sie und was hatte sie zu geben, ihm, der täglich mit der Schönheit und dem Talent umging?! Sie beobachtete die Kaspari unausgesetzt. Und da – ja – ganz deutlich, die Kaspari sah zu René hinab mit einem lächelnden Blick.

„Die Kaspari sucht förmlich was drin, daß die Leute merken sollen, wie sie mit Flemming steht,“ flüsterte es hinter ihr.

Und plötzlich schämte Magda sich, daß sie die Sängerin beobachtet hatte, und fühlte so, als habe sie damit eine Indiskretion gegen René begangen.

Von nun an wendete sie den ganzen Abend dem Werke ihre gesammelte Aufmerksamkeit zu.

Im Zwischenakt pflegte Hortense im Foyer „Cercle zu halten“, wie ihre Freunde es nannten. Sie war da immer von jungen Damen und Kavalieren umringt, denn sie liebte und verstand die Jugend wie keine. „Ein Eckchen in meinem Herzen bleibt immer achtzehn Jahr alt,“ sagte sie. Auch heute konnte Magda nur mühsam zu ihr dringen. Ebenso strebte der Lieutenant von Wallwitz nach der Gelegenheit, seine Schwester vorzustellen.

Natürlich konnte Magda aus ihrem übervollen Herzen kein vertrauliches Wort hervorbringen. Sie mußte sich noch das ihr so völlig gleichgültige Fräulein von Wallwitz vorstellen lassen.

Als aber ihr Auge dem Blick der jungen Dame begegnete, erging es ihr rätselhaft. Wie ein unerklärlicher Schreck rieselte es ihr durch die Adern und ein starkes Gefühl, in dem eine Art Neugier mächtiger war als aufkeimende Abneigung, nahm Besitz von ihr. Das Gesicht prägte sich ihr unauslöschlich ein.

Lilly von Wallwitz hatte dunkelblonde Haare und bräunliche Augen, in deren Iris gelbe Pünktchen flimmerten. Ihre Farben waren zart, die Nase gerade und fein, zarte Brauen wölbten sich wie gezeichnet über den lebhaften Augen. Der Mund war ein wenig groß und in der schneeweißen Zahnreihe, die er beim Lachen sehen ließ, befand sich eine auffallende Stelle. Der Augenzahn an der linken Seite endete kurz und mit zackigem Rand, als habe er durch Fall oder Stoß seine untere Hälfte verloren.

Diese eine dunkle Stelle in dem lachenden Mund gab dem ganzen Gesicht einen unharmonischen Ausdruck. Sie war es auch, die Magda immer nachher vor sich sah.

Lilly sprach einige Worte, wie sie einer jungen Dame, welche die Formen beherrscht, natürlich waren. Nur ihr fast nervöses Lachen und ihre helle Stimme, sowie das Umhersuchen der Augen fielen auf.

Für den Rest des Abends war es Magda sehr unangenehm, hinter ihr sitzen zu müssen. Lilly von Wallwitz kümmerte sich auch gar nicht um den ganzen „Lohengrin“, sie besah sich unausgesetzt den Dirigenten.

Die Scene im Brautgemach ergriff Magda wie noch niemals. Sie ward ihr zum Spiegelbild persönlicher Empfindungen.

Alle Sage ist schließlich Symbol. Magda sah in Elsas Verlangen, „Nam’ und Art“ des geliebten, geheimnisvollen Ritters zu erfahren, das allgemein weibliche Verlangen, das Wesen des Geliebten ganz zu ergründen. Ihr fiel in einer blitzartigen Ideenverbindung die Psyche in dem schönen Märchen des Altertums ein, die mit ihrer Lampe den schlummernden Amor beleuchtet, den sie bisher nicht sehen durfte und der ihr entfliehen muß, weil sie ihn sah.

Bang fragte Magda sich, ob es denn so gefahrvoll sei, in die Tiefe männliche Wesens zu dringen – ob das Erkennen auch immer ein Verlieren nach sich ziehen müsse?

Sie konnte sich nicht beherrschen: beim Abschied Lohengrins weinte sie und da floß manche Thräne, die sich in den Erregungen der letzten Zeit aufgespeichert hatte und nun wohlthätig löste.

Beim Aufbruch mußte sie sich für ihre roten Augen einen spöttischen Blick von Lilly Wallwitz gefallenen lassen. Um nicht etwa mit dem Geschwisterpaar und einem ganzen Schwarm von Bekannten die Treppe hinunter gehen zu müssen, zögerte Magda sehr mit ihrem Mantel und Kopfshawl.

Sie befand sich endlich unter den letzten, die das Haus verließen, traf die erwartende Kathi und ging wie im Traum dahin.

In ihrem Herzen brannte das Verlangen, jetzt allein und im seligen Schweigen mit dem Geliebten zusammen das Gehörte in sich nach- und ausklingen zu lassen. Wie schwer war es doch, auf die volle Zusammengehörigkeit zu warten. Sie malte sich aus, wie sie als Mann und Weib nach solchen Abenden in ihre trauliche Häuslichkeit einkehren würden. Und er?! Empfand nicht auch er sicherlich jetzt dieselbe Sehnsucht nach lösender Gefühlsstille und nach ihrer lieben Nähe?

Magda hörte hinter sich ein Lachen. Die Stimme kannte sie, den männlichen Wohllaut dieses herzlichen Lachens. Sie übertönte jetzt lautes Sprechen anderer Stimmen. Auf dem Fahrdamm, neben dem Bürgerstieg hergehed, um die vielen langsam schlendernden Menschen zu überholen kamen vier Herren von rückwärts her neben Magda vorbei. Zwei in Civil, zwei in Uniform.

„Kommen Wallwitz und Bohrmann auch noch in den ‚Wilden‘?“ fragte die eine Stimme. Ein anderer antwortete etwas mit dem Namen Bohrmann Zusammenhängendes, das Magda nicht recht verstand, denn sie hörte nur die eine Stimme und sah nur die eine hohe Gestalt im Kragenmantel und weichen Filzhut, die nun schon an ihr vorbei war. Die Antwort, die Magda nicht verstanden hatte, erregte das schallende Gelächter der drei Hörer.

Er ging mit Freunden in ausgelassener Stimmung in den „Wilden“, damit war, wie Magda wohl erriet, das bekannte Weinrestaurant „Zum wilden Mann“ gemeint, wo, nach den Schauergeschichten der jungen Malschülerinnen, die jungen Herren der Residenz oft Nächte hindurch zechen und spielen sollten. Vielleicht war das albernes Geschwätz.

Aber dies eine blieb doch, Magda hatte es mit eigenen Augen gesehen, mit eigene Ohren gehört: René ging mit lustigen Freunden in ein Weinhaus und hatte durch sein Lachen übermütige Fröhlichkeit verraten.

Und sie – sie hatte gewähnt, er sehne sich gleich ihr jetzt nach schweigendem Glück! Wie war es nur möglich, wie war es zu begreifen, daß zwei Menschen, die sich lieben, die ihr ganzes Leben einander angehören wollen, zur selben Stunde, nach den gleichen Eindrücken, so ganz, ganz verschieden empfanden?

Drang die Kraft ihrer Sehnsucht denn nicht geheimnisvoll zu ihm und zwang ihn, zu fühlen wie sie?


3.

Hortense schickte Sonntag früh sowohl zu René als zu Magda, die Herrschaften möchten schon um zwei Uhr zu Tisch kommen, sie sei für den Abend zur Herzogin befohlen. Und wenn Hortense zur Herzogin mußte, stärkte sie sich vorher durch einige Stunden der Ruhe. Die hohe Dame war ein Engel an Güte, jedermann konstatierte es mit Ehrfurcht und auch Hortense bewunderte sie aufrichtig. Aber platonisch, so wie man ein klassisches berühmtes Gemälde bewundern kann, das man aber zu erwerben und täglich zu sehen keine Lust hat.

Hortense hatte so gar kein Interesse für Suppenanstalten, Mägdeheime, Krankenpflege. Die Herzogin sah sie als ein arges Weltkind an, doch von der bestrickenden Persönlichkeit der ungewöhnlichen Frau immer neu angezogen, gab Hoheit die Hoffnung nicht auf, hier eine Bekehrung ins Werk zu setzen.

Da Hortense sonst in vollkommener Freiheit alles zu sagen pflegte, was ihr durch den Sinn kam, so ward die bei der Herzogin nötige Beherrschung ihr immer ein bißchen sauer, denn wehthun und die gute Fürstin verletzen wollte sie auch nicht.

Sie „kalmierte“ sich daher immer erst, ehe sie ins Schloß ging, d. h. sie las ein wenig in irgend einer bezüglichen Broschüre, um die Herzogin durch Kenntnis der Kosten und Erträgnisse der Volksküche in N., der Krankenpflegerinnen-Bildungsanstalt in N. N. zu erfreuen. Dies mußte aber unmittelbar vor dem Beginn des herzoglichen Theeabends geschehen, sonst vergaß Hortense alles wieder.

Und darum wurde das heimliche Brautpaar auf zwei anstatt auf fünf Uhr bestellt.

Magda hatte ihren Tag mit dem Vorsatz begonnen, einen Besuch Renés nicht zu erwarten, denn er würde bei Hortense erst die Form eines solchen mit ihr besprechen wollen.

Aber sie hatte sich ausgedacht, daß er ihr ein Briefchen oder ein paar Blumen schicken werde und ungeduldig anfragen würde, ob sie gestern abend stolz und glücklich gewesen und seiner gedacht habe. Sie malte sich aus, was er ihr wohl schreiben werde.

Als aber dann die Stunden rannen, ohne daß ein Zeichen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 695. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_695.jpg&oldid=- (Version vom 24.7.2023)