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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)


heute von Bozen ab über den herrlichen Mendel-Paß in den „Sulzberg“ (Val di Sole) zum Dorf Dimaro führt, von diesem Orte aus nach Campiglio vervollständigt sein, so werden nicht wenige Besucher dieser Hochalpen sich entweder auf dem Hin- oder Rückwege dieser letzteren Strecke bedienen. Sie stellt zugleich die kürzeste Verbindung zwischen Bozen und dem Gardasee dar. Schon heute kann man bis Dimaro fahren und dann den Saumweg über den Paß Campo Carlo Magno benutzen. Verweilen wir bei ihm einen Augenblick; denn sein Name weckt geschichtliche Erinnerungen. Die alten Ureinwohner der Thäler Südtirols, die Etrusko-Rhäter, wurden durch die Flut der Völkerwanderung aus ihrer Ruhe aufgerüttelt; germanische Scharen kamen über die Berge und germanisches Blut mischte sich mit dem romanischen. Heidnisch blieb aber das Land, und als später christliche Bekehrer in das Rendenathal kamen, erlitten sie hier den Märthrertod; denn zäh und hartnäckig hielt das Volk an seinen alten Göttern und ihrem düstern Dienst. Da zog, wie die Sage berichtet, König Karl mit 4000 Lanzen durch die Val camonica über Campiglio in das Rendenathal. Er bezwang die Hochburgen der heidnischen Herzöge und Herren, taufte die Besiegten und gründete Gotteshäuser … Doch wer vermag die Wahrheit der Sagen noch zu verbürgen? Aus einer viel späteren Zeit, aus dem 12. Jahrhundert fließen die ersten geschichtlich verbürgten Nachrichten über Campiglio. Danach war der Ort ehemals ein Hospiz, das im Zeitalter der Kreuzzüge von einem gewissen Raimund zur Pflege der Kranken und zum Schutze der Reisenden „in dieser einsamen und unwirtlichen Gegend“ gestiftet wurde, „woselbst man die Fremden oftmals ausgeraubt und erschlagen hatte“. In jenen Tagen des Mittelalters schlugen die Jtalienfahrer ganz andere Wege ein als jetzt. Weil es dort, wo wir heute eine Eisenbahn oder wenigstens eine Poststraße sehen, nur Wegverbindungen gab, die nicht viel besser waren als die Saumpfade über die Hochgebirge, so fanden sich die Leute nicht veranlaßt, diesen letzteren auszuweichen. Sie pilgerten sozusagen in der Luftlinie, denn die Schwierigkeiten oben und unten waren dem Grade nach nicht sonderlich voneinander unterschieden. Heutzutage machen wir der Bequemlichkeit wegen gern die großen Umwege mit, welche unsere Straßen um die breit ausgelagerten Gebirgsmassive herum einschlagen. So pilgerten damals die Wallfahrer, welche nach Welschland trachteten, vom Fuße des Brenners aus zumeist über das Jaufengebirge, und sodann Dimaro zu, von wo sie durch das „Waldthal“ (Val Selva), welches der Bach Meledrio durchrauscht, zum Hospiz gelangten.

Madonna di Campiglio von Südwesten.

Dabei überschritten sie in geringer Entfernung die etwas über dasselbe erhabene Hochfläche, über die einst Karl der Große in das Rendenathal gezogen war. – Das sind die Anfänge von Campiglio.

Die Jahrhunderte folgen einander, aber sie gleichen sich nicht. Mit der Verbesserung der Wege in den bequemeren Thalsohlen fiel für manchen die Veranlassung weg, einen siebzehnhundert Meter hohen Paß zu überschreiten. Außerdem aber änderten sich auch die Sitten und Meinungen der Menschen in anderer Weise. Die Wallfahrten in dem Umfange, wie sie früher gebräuchlich waren, verringerten sich. Die Brüder und Schwestern des Hospizes mögen sich nicht gut aufgeführt haben und das Kloster wurde zu Anfang des 16. Jahrhunderts aus verschiedenen Erwägungen aufgehoben; Madonna di Campiglio wurde ein einfaches Stift, welches der Bischof von Trient nach Gutdünken verleihen konnte. Aus jenen Tagen der Romantik sind heute nur noch die Kirche und ein Turm übrig.

Mit den sechziger Jahren unseres Jahrhunderts kaufte ein italienischer Holzhändler Namens Righi aus Pinzolo einen Teil der Hochwälder, mit welchen damals die Gegend von Campiglio noch allenthalben dicht bedeckt War. Es waren die Liegenschaften des ehemaligen Hospizes, die er erstand. Um die Wälder entsprechend ausbeuten zu können, legte er auf seine eigenen Kosten von Süden her eine Fahrstraße nach der einsamen Siedelstätte, die nur noch einen Zufluchtsort für arme Hirten, Köhler und Holzschläger der Umgebung bildete. 1872 benutzte dieser unternehmende Holzhändler die Baureste des alten Hospizes, um unter der Aegide der damaligen „Società alpina del Trentino“ ein Gasthaus für Touristen und Sommerfrischler zu bauen. Dasselbe fand auch, namentlich aus den Kreisen des genannten südtiroler Alpenvereins, Zuspruch, brannte aber schon im Jahre 1877 ab, und kaum, als das Gebäude aus den Trümmern neuerstanden war, starb sein Erbauer.

Inzwischen war für jene Gegend eine neue Zeit angebrochen. Bis dahin hatten sich nur wenige Touristen in die herrlichen Einöden gewagt. Nun nahm die Sektion Leipzig des Deutschen und Oesterreichischen Alpenvereins an der Erschließung dieses wunderbaren Hochgebirgs den regsten Anteil; sie legte am Mandrongletscher eine Schutzhütte an, sie lockte Touristen und Sommerfrischler in diese so erhabenen, fast neuentdeckten Berge und Thäler.

Da hatte auch ein Deutscher, Herr Franz Oesterreicher, welcher damals das „Hotel Trento“ zu Trient besaß, die Vorzüge dieser waldigen Berggegend erkannt. Er kaufte, was von der Ansiedlung noch übrig geblieben war, und legte so den Grund zum Entstehen eines Kurorts, der zwar auch heute noch im wesentlichen nur aus Hotelgebäuden besteht, aber bereits seit einigen Jahren an Ruf mit den berühmten Ortschaften des Engadin wetteifert.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 655. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_655.jpg&oldid=- (Version vom 10.3.2023)