Seite:Die Gartenlaube (1895) 651.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

„Angefaßt!“ rief er, warf den Rock ab und begann zu schaufeln.

Die Männer sahen sich an, zuckten die Achseln – am Leben konnte er ja doch nicht mehr sein. Aber sie griffen zu.

Fieke lag auf den Knieen. Die geschickten kleinen Hände mühten sich, die Steine wegzuwälzen. Ihre Augen brannten. Zum erstenmal stand das Zünglein still.

Das war nun das Ende. All ihre Lebtage hatten sich ihre Gedanken nur um Märten gedreht.

Sie hätte so gern für ihn gearbeitet und auch gedarbt; ein bißchen Hunger war weiter nichts, wenn man’s trug für einen Menschen, den man so lieb hatte. Und nun sollte alles vorbei sein? Sie sollte nie wieder ihren Riesen lebendig vor sich sehen? Er sollte tot sein? Unversöhnt von ihr geschieden?

Ein Thränenstrom ergoß sich über ihr Gesicht. Ihre Hände krallten sich in den Mörtel.

Da tönte dumpfer Ruf aus dem Trümmerhaufen. – Alle horchten auf – „Sachte, daß die Dachsparren nicht vollends zusammenknicken; ich sitze darunter wie die Ratte in der Falle.“

Nun wurde mit frischem Mut ans Werk gegangen, und bald wühlte sich ein dicker rotblonder Kopf unter dem weiland Festungstürmchen hervor, ein paar breite Schultern folgten, endlich der ganze Riesenkerl.

Er schüttelte sich den Staub und Schutt ab und lachte. „Hab ich’s nicht gleich gesagt, daß ich den Schuß herausbringen wollte?“

Fieke lag noch auf den Knieen. Sie betete ein heißes leises Dankgebet.

Dann richtete sie sich auf, und den Staub von Märtens Wams mit ihrem Schürzchen abwedelnd, sagte sie: „Ich will ja gern die hundert Meißenschen Gülden in Hellern zusammenscharren; aber iß nur meinen Braten wieder.“

Er lachte und nickte versöhnt.

„Vorderhand ißt Du Wasser und Brot im Bürgergewahrsam!“ zankte der durch den Donnerschlag herbeigetriebene Stadtschreiber.

„Dafür, daß Du uns auch noch eine Bresche in die Mauer gelegt hast, durch welche der Feind um so leichter herein kaun.“

Kriegerische Musik schallte vom anderen Ende der Stadt her und schnitt ihm die Rede ab. Knattern folgte – das war, Granatenfeuer!

„Da sind sie!“ schrie das Volk und stob davon.

Der Stadtschreiber eilte ebenfalls dorthin.

„Wo kriechst Du nun unter?“ fragte Fieke ängstlich.

Er streichelte ihre Apfelbäckchen. „Jetzt schläft es sich hinter der Hecke besser als in einem dicken Daunenbette.“

„Wie ein Strolch!“ jammerte sie und hielt ihre andere Wange hin.

„Verfüge Dich in mein Haus, Märten,“ sagte Struve. „Um dieses gesegneten Kanonenschusses willen sollst Du nicht ins Elend geraten. Denn, Kinder! Ich habe mich unter seinem Hall versprochen und bin der glücklichste Mensch unter Gottes Sonne. Der Himmel verzeihe mir die Sünde in der schweren Zeit.“

„Du verdienst es,“ sagte Märten so bestimmt, als sei er sich des Vorrechtes bewußt, welches das Wort verleiht: Volkes Stimme, Gottes Stimme.

Und da Struve durch eine eilige Besichtigung sich überzeugte, daß das Gerümpel die Lücke so gut verschanzte wie vorher der gebrechliche Turm, so verließ er mit den andern die Trümmerstätte, um dem neu heranziehenden Unglück die Stirn zu bieten. –

Der Kanonenschuß hatte der weimarischen Armee nicht so viel Schrecken eingejagt wie den Bewohnern der durch ihn verteidigten Stadt.

Kriegerische Traditionen haften im Leben eines Volksstammes. Der Ruhm des Herzogs Bernhard warf noch seinen verscheinenden Glanz auf die Feldzeichen, unter denen mit Trompeten die Husaren, mit Trommeln und Pfeifen die Grenadiere heranzogen. Sie antworteten sofort durch ein kleines Granatenfeuer, das aber gleichfalls keinen Schaden anrichtete.

Ein junger Husarenrittmeister, der die Avantgarde führte, courbettierte auf seinem Schimmel bis vor das geschlossene Stadtthor. Der Kalpack war über die schwarzen Augenbrauen gedrückt, ein schwarzes Bärtchen mit keck emporgedrehten Spitzen saß in dem bräunlichen Gesicht. Der rote Dolman umschloß eine elastische Gestalt, mit hochmütiger Grazie trug er den Pelz auf der Schulter.

„Oeffnet das Thor!“ rief er zu dem Wachttürmchen hinauf. „Und ich rate Euch: laßt das Schießen mit Kanonen sein, widrigenfalls Ihr Euch die Folgen selbst zuzuschreiben haben werdet!“

Der alte Stelzfuß fragte zu der Luke hinaus: „Wer da?“

Der Husar lachte. „Gut Feind.“

Der Alte schüttelte den Kopf. Das war ihm im Dreißigjährigen Kriege nicht vorgekommen.

„Wir müssen erst den Bürgermeister fragen,“ entgegnete der Stadtwachtmeister und zog seinen Säbel, wie er es bei dem Husaren sah.

Dieser blitzte die beiden Knasterbärte mit seinen schwarzen Augen an. „Euer Bürgermeister hat unserem Herzog an erster Stelle zu gehorchen. Wir sind geschickt worden, Euch das einzutränken. Also aufgemacht! Oder wir hauen das Thor ein! – Die Sappeurs vor!“

Die Milizen murrten: „Lieber gar! Das schöne neue Thor, das kaum so viel Geld gekostet hat!“

„Ob wohl je ein Bürgermeister auf der Stätte sich befindet, wo er gerade nötig ist?“ seufzte der Stadtwachtmeister.

„Besser ist’s, man ergiebt sich auf Gnade und Ungnade, als man wartet den Sturm ab, wie Magdeburg zeigt,“ riet der Stelzfuß.

Und da niemand Einspruch erhob, schloß er das Thor auf.

Die Kriegsvölker ergossen sich in die Stadt.

Aber es waren nicht zuchtlose Franzosen, grausame Spanier, wilde Türken; es waren nachbarliche Thüringer, die einzogen.

Der die Truppen kommandierende Major gab dem Bürgermeister und Rat der Stadt, die dem Gewalthaufen entgegengingen, die Versicherung, daß gute Manneszucht gehalten werden solle.

Der Schrecken begann sich zu legen.


Struve begab sich heim.

In alle Häuser drängte die Soldateska, die Quartierbillets in den Händen; vor den Bäcker- und Metzgerläden hielten bereits Fouragewagen; vor den vergitterten Fenstern des Rathauses, hinter denen die Stadtkasse sich befand, zog eine weimarische Wache auf Posten.

Er nickte ernst vor sich hin: die Aussaugung der Landschaft hob an. Er erreichte gerade sein Haus, als der junge Rittmeister der Husaren von dem Schimmel sprang und die Zügel seinem Burschen zuwarf. Er war mit einem ganzen Reiterzug in das Struvesche Besitztum einquartiert.

„Von Krainsberg, Rittmeister bei des Herzogs von Weimar Leibhusaren,“ stellte er sich vor, damit kund gebend, daß er Offizier von Familie, nicht von „Fortune“ sei. Dabei flogen seine Augen erwartungsvoll an alle Fenster. Blankgeputzt, mit feingefältelten weißen Vorhängen halb verhüllt, sahen sie ehrbar, öde auf ihn hernieder. Und es war nur Gesinde, das zur Hausthür herausschaute.

„Der Herr Rittmeister muß mit der Wirtschaft eines Junggesellen fürlieb nehmen,“ sagte Struve, der den Blick erriet. „Wenn selbige auch zum längsten gedauert hat, und ich verhoffen darf, in nicht ferner Zeit Hochzeit zu machen,“ fuhr er fort. Wes sein Herz voll war, ging sein Mund über.

„Hochzeit?“ riefen Köchin und Bediente und vergaßen die Husaren.

„Eine Hochzeit?“ riefen auch diese und drängten vergnügt heran.

„Ciel!“ sprach Krainsberg, „eine heitere Aussicht, daß Er eine fröhliche Hochzeit auszurichten gedenkt! Es wird mir hoffentlich bald vergönnt sein, der Demoiselle Braut meinen Respekt zu bezeugen.“

Eine leichte Röte flog über das Gesicht des Sekretarius bei dem Gedanken, daß diese dreisten Augen sein schönes Lenchen mustern sollten. Aber jetzt kam ihm zum erstenmal die diplomatische Schule seines Herrn zu statten, der über unliebsame Dinge hinwegzugleiten pflegte.

Ohne auf die erbetene Visite weiter einzugehen, lud er durch eine höfliche Handbewegung den Offizier ein, in das Haus zu treten, wies die Leute an, wo ihre Pferde unterzubringen waren in den weitläufigen Stallgebäuden, befahl, die große Unterstube und Kammer für die Husaren herzurichten, und bedeutete seine Dienstboten, den Tisch mit massivem Silbergeschirr zu decken. Er gedachte zu zeigen, daß auch er Geheimsekretarius von Familie, nicht von Fortune war.

Nachdem Krainsberg sich seiner Wehr und Waffen entledigt hatte, stopfte er eine der Thonpfeifen, welche auf zinnernem Teller

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 651. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_651.jpg&oldid=- (Version vom 8.2.2023)