Seite:Die Gartenlaube (1895) 614.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Um die große Tafel, auf welcher sich ein Haufen kleiner Münzen türmte, saßen Klingelbeutelväter, Kastenknecht und Bedienter.

Der Hausherr, in sein Rechnungsbuch vertieft, schüttelte ihm stumm die Hand.

Die Hausfrau kam ihm sichtlich erfreut entgegen, nahm ihm Hut und Stock ab uud sagte herzlich: „Der Gotteskasten wird gestürzt; will Er helfen?“

Sein Blick suchte Lenchen. Unter den langen Wimpern hervor sahen ihre Augen zu ihm auf: still, verschlossen, und doch lag ein Ausdruck darin, als rücke sie ihm die kleine Bachin und Justizienraths Christelchen vor.

Sein gutes Gewissen empörte sich gegen den Blick. Doch nein! Heute wollte er sich nicht aufreizen lassen; er wollte wie ein Mann unbeirrt auf sein Ziel losgehen.

In heiterem Tone erklärte er seine Bereitwilligkeit. „Aber zuerst möchte ich die Demoiselle bitten, von mir diese unwürdigen Blumen anzunehmen,“ sagte er und bot seinen Strauß dar.

Magdalene erhob sich, machte einen Knix und legte die Blumen neben sich.

Fieke, die man zum Auslesen des Geldes mit berufen hatte, steckte sofort bewundernd ihr Näschen hinein.

„Rückt zusammen, Ihr Mädchen!“ ordnete die Hausfrau an. „Setze Er sich neben die Lene.“

Fieke rückte eiligst mit ihrem Schemel von Magdalene fort, um ihm Platz zu machen; aber Magdalene rückte sogleich nach, daß er zwischen sie und einen der alten Klingelbeutelväter kam.

„Das falsche Geld,“ fuhr die Mutter fort, „– leider Gottes trägt jeder seine verschlagenen Heller in den Klingelbeutel – kommt auf diesen Haufen; es wird an den Kupferschmied verkauft; das gute Geld nach seinem Wert hier sortiert.“

Struve machte sich schmal, schob seinen Schemel heran und begann mit auszulesen.

Dazwischen glitt sein Blick nach seiner Nachbarin. Wie war sie lieblich zu schauen mit dem schwarzen Sammetband um den Hals! Wie flink ging ihren Fingerchen die Arbeit von statten, und wie sorglich schob sie das häßliche unsaubere Geld von seiner Seite weg. Ganz von selbst nahm sie die Mühsal für sich - eine echte Frau.

Aber er sah auch, daß der ernste Blick nicht aus den Rehaugen wich.

Fieke hatte die Aeuglein auf alle die rollenden kleinen Münzen gerichtet. Jedes grünspanüberzogene Scherflein prüfte sie darauf, ob es wohl ein Heckepfennig sei, in welchem Falle sie es für sich zu erwerben gedachte.

„Da ist ein Thaler aus unserer eigenen Münze. Den hat der Fürst bei seinem letzten Kirchgang in den Gotteskasten gelegt,“ sagte ehrfurchtsvoll der Kastenknecht.

„Und da ist ein kursächsischer Dukaten,“ rief ein Klingelbeutelvater. „Der Erbprinz Günther aus Sondershausen legte ihn in meinen dargehaltenen Sammelbeutel, als er nach Gehren zur Hirschjagd hier durchreiste und zum erstenmal die Kirche besuchte.“

„Das letztemal – das erstemal – gebt acht, das hat ’was zu bedeuten,“ sagte Fieke.

„Fiekchen, bei einem Geistlichen wird keine Zeichendeuterei getrieben,“ verwies sie die Hausfrau.

Als das Geklapper eifrig wieder einsetzte uud laut gezählt wurde – Hundert Heller, funfzig Pfennige, rückte Struve ein wenig näher an Magdalene heran und flüsterte: „Gedenkt die Demoiselle noch zuweilen an die Hochzeit des Herrn Diakonus, wo Ihr das Halskettlein zerriß, und ich Ihr helfen durfte, die kostbaren Perleu aufzulesen? Das dunkle Eckchen des Saales, in dem wir nebeneinander knieten, dünkte mich herrlicher als das Paradies, und wie segnete ich die gute Brautmutter, die mit ihrem großen Reifrock so eifrig die Gavotte vor unsrem Winkel tanzte! Ich konnte doch endlich einmal der Demoiselle sagen, in wie hoher Wertschätzung Sie bei mir steht. Aber auf eine beglückende Antwort harre ich noch immer.“

Sie sah nicht auf von ihrem Geschäft; aber ihre Wangen waren unter seinem Geflüster aufgeglüht wie Pfingströslein.

Stürmischer, zärtlicher fuhr er leise fort: „Nur eine Huld ist mir hernachmals zu teil geworden. Die Erinnerung daran verwahre ich als den köstlichsten Schatz an meinem Herzensschrein: die Gevatterschaft, zu der uns gemeinsam das Vertrauen des Herrn Stadtschreibers berief.“

Die Worte waren verhaucht. Tiefe Glut bedeckte die jungen Gesichter. Dasselbe Bild stand in beiden gepuderten Köpfen: der Taufstein in der Oberkirche mit seiner vergoldeten Dreieinigkeit unter den Paten, die sich darum reihten, sie als jüngstes Pärchen. Magdalene mit dem Strauß, zu dem ihr Herr Gevatter alle Beete seines Gartens geplündert hatte, er, die Citrone in der Hand, welche die Gevatterin verehren mußte. Beide fast atemlos vor Herzklopfen, während dem neuen Erdenbürger der Teufel ausgetrieben, das kleine Haupt mit dem Taufwasser begossen wurde. Denn nun kam der Segen, dann die Gratulation und dann – der Gevatterkuß. Jeder Gevatter küßte seine Gevatterin.

Ja, ja, der Herr Sekretarius Struve hatte Demoiselle Lenchen wirklich geküßt. Die Erinnerung an den süßen und doch so angsterstickten Augenblick verscheuchte aus Magdalenes Sinn den Groll über seinen unüberwindlichen Hang zur Galanterie.

Die Tafel mit den Pfennigen, die Klingelbeutelväter – alles war ihr entschwunden. Ihre Augen erhoben sich zu ihm.

„Darf ich darauf hoffen,“ flüsterte er, „daß die Demoiselle mir endlich eine beglückende Antwort gewährt?“

Auf ihren Lippen schwebte ein Ja.

Da kicherte Fieke auf. „Den Perlmutterknopf da kenne ich. Er gehört an das lavendelblaue Ueberkleid des Frölen von Heymbrot. Weiß Er, Herr Sekretarius, in dem sie heut’ mit Ihm auf dem Laubengang spazierte und immer den Kopf mit Ihm zusammensteckte? Wir haben es wohl gesehen, bei der Wirtschafterin des Herrn Kanzlers, wo ich die Damasttücher stopfte. Gewiß hat sie einmal in der Kirche den Pfennig vergessen gehabt und den Knopf abgedreht. Geb’ Er ihn mir. Wenn ich wieder draußen bei ihr nähe, kann ich ihn anflicken.“

Niemand achtete auf ihre Schneidergedankengänge.

Magdalene glühte jetzt – „wie ein Drache“, sagte sich ihre Mutter beklommen.

Auch Christian war zuerst vor dem zu so ungeschickter Zeit nach ihm hinrollenden Knopf zurückgezuckt. Aber als Magdalene mit spitzen Fingern denselben von ihrem Pfennighäuschen wegstieß und sagte: „Ich habe nichts mit dem Fräulein von Heymbrot zu schaffen,“ da empfand Struve, dem das bedeutungsvolle Billet an den Kammerherrn in der bordierten Westentasche knisterte, etwas wie Beschämung in Magdalenes Namen. Wie konnte sie so harte Worte brauchen?

Er nahm mit seiner schönen ruhigen Hand den Knopf auf und reichte ihn Fieke. Zu Magdalene aber sagte er eindringlich: „Die Demoiselle hat alle Ursache, dem Fräuleiu eine gute Gesinnung zu bewahren.“

Sie erbleichte. „Ich ehre uud achte, wen ich dessen würdig befinde,“ sagte sie herb.

Er richtete seinen Blick fest auf sie mit dem ernsten Ausdruck, den Kiliane so gern an ihm sah.

Das junge Mädchen saß mit unbewegtem Gesichtchen neben ihm; nur ein leises verächtliches Herabziehen der roten Lippen war zu spüren. Ihr züchtiges Wesen, das ihn immer mit Ehrfurcht erfüllt hatte, zeigte die unschöne Schattenseite, die sittenrichterliche Lieblosigkeit.

Wie stieg dagegen die unter allerhand Tändeleien versteckte warmherzige Sinnesweise Kilianes empor.

Er hatte seine Beschäftigung eingestellt und sich zurückgelehnt.

Nun war die letzte Münze an den richtigen Platz gebracht. Alle erhoben sich.

Magdalene stand auf, und ohne sich weiter um den Strauß zu kümmern ging sie und half die Geldsäckchen zuschnüren.

Er sah ihr mit einem langen Blick nach.

In dieser Stunde, wo er den Verlobungsring, den er verschenken wollte, schon am Finger trug, schmerzte es ihn bis ins tiefste Herz, daß das Mädchen, welches er liebte, einem harmlosen Geschwätz sofort ungeziemende Deutung gab. Auf wen durfte ein Mann bauen, wenn die Frau nicht an ihn glaubte? Und bedurfte er nicht vor allem rückhaltloses Vertrauen in den Kämpfen, die er auf seinem Weg unabwendbar vor sich sah?

Darüber half der Trost nicht hinweg, daß Eifersucht die Ursache des Zwiespaltes war; er milderte nicht die Demütigung, die der Freier statt des ersehnten Glückes heimtrug.

Auf seiner freien Stirn trat eine Ader hervor.

Entschlossen wandte er sich an den Hausherrn. „Gestattet mir Hochehrwürden, daß ich Ihn in das Museum begleite? Ich habe ein paar Worte mit Ihm zu sprechen.“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 614. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_614.jpg&oldid=- (Version vom 6.12.2022)