Seite:Die Gartenlaube (1895) 606.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

45 solcher Selbstentzündungen beobachtet und zwar nicht nur auf den Kohlenlagerplätzen an Bahnhöfen, sondern auch in den Schuppen und Kellern der Kohlenhändler in den verschiedensten Stadtteilen. Ferner wurde auch festgestellt, daß Kohlenzünder, die aus harzigen Massen und Sägespänen bereitet werden, sich von selbst entzünden. Die Fabrikanten der Briquetts und der Kohlenzünder müssen schon in eigenem Interesse auf die Fabrikation dieser Brennmaterialien die größte Sorgfalt verwenden. Das große Publikum sollte jedoch wissen, daß diese Stoffe unter Umständen sich von selbst entzünden können, und sie darum zweckmäßig aufbewahren.

Schließlich sei noch der Kohle in Gestalt von Ruß gedacht. Kienruß und Beinschwarz werden zu vielen Fabrikationszwecken benutzt. Als fein verteilte Kohle saugen sie begierig Gase und namentlich den Sauerstoff auf; sie neigen darum sehr zur Selbstentzündung und werden höchst gefährlich, wenn man sie, mit Oel vermengt, stehen läßt. Im Jahre 1781 fand, um ein geschichtliches Beispiel anzuführen, im Hafen von Kronstadt der Brand der Kriegsfregatte „Marie“ statt. Hier war es die Kaiserin Katharina, welche aus dem Umstande, daß in einer Kajüte mit Oel befeuchteter Kienruß, in Segeltuch eingeschlagen, aufbewahrt worden war, zuerst und richtig auf Selbstentzündung schloß.

*  *  *

Auf chemischem Wege kann der Mensch eine große Anzahl von Stoffen herstellen, die sich von selbst entzünden, sei es, daß sie sich allein überlassen bleiben, sei es, daß sie mit anderen Stoffen gemischt werden. Diese Selbstentzündungen werden namentlich in der Fabrikation von Feuerwerkssätzen gefürchtet. Wir wollen nur ein Beispiel dieser Art anführen. Gemenge von salpetersaurem Strontian oder Baryt, Schwefel und chlorsaurem Kali entzünden sich, wenn sie aus frisch bereiteten und zugleich scharf getrockneten Materialien dargestellt sind, ganz gewiß von selbst innerhalb weniger Stunden, namentlich wenn sie an einem etwas feuchten Orte aufbewahrt werden. Diese Entzündung beginnt mit der Entwicklung eines orangefarbigen Gases; dann zerfließt die Masse an mehreren Stellen; ein zischendes Geräusch wird hörbar, gleichzeitig wird die Entwicklung des Gases stärker und der ganze Satz entzündet sich.

Ein Unglücksfall, der sich jüngst ereignet hat, zeigt, daß auch beim Verschreiben von Recepten mitunter Vorsicht wegen der Selbstentzündung und Explosion nötig ist. Ein Arzt verschrieb ein Pulver, in dem sich auch chlorsaures Kali und Saccharin befinden sollte; der Apotheker rieb die Stoffe, dabei entzündete sich das Pulver und verbrannte dem Apotheker die Hände.

Doch wir wollen noch einige Selbstentzündungen von allgemeinerem Interesse besprechen. Unsere Leserinnen wird gewiß die Selbstentzündlichkeit der Seide befremden. Aber sie besteht in der That. Der Fabrikant kann Seidenstoffe derart zurichten, daß sie zur Selbstentzündung stark neigen. Um Seide schwerer zu machen, pflegt man sie mit Rostbeize zu behandeln, und die Kunst ist so weit gediehen, daß in einem Stück Seidenstoff, das vier Pfund wiegt, nur ein Pfund Seidenfaser, wohl aber drei Pfund Rostbeize vorhanden sind. Diese Beize besteht aus Katechu, Galläpfeln und schwefelsaurem Eisen und neigt, auf Faserstoffe gebracht, zur Selbstentzündung. Eine solche Seide hat schon wiederholt Feuersbrünste in Seidenmagazinen verursacht. Vor längeren Jahren entzündeten sich mehrere Ballen solcher französischer Seide auf dem deutschen Schiffe „Mosel“ und ungefähr zu derselben Zeit ging in einem New Yorker Packhause ein Posten Seidenfabrikat in Feuer auf. Die Untersuchung ergab, daß die beiden feuergefährlichen Seidenposten aus einer und derselben Fabrik stammten. Einmal hat sich auch ein Posten Seidenwaren beim Transport auf der Eisenbahn entzündet; die Untersuchung zeigte diesmal, daß die Ware mit pikrinsaurem Blei gefärbt war. Dieser Körper explodiert leicht; entzündete man die mit prikrinsaurem Blei gefärbte Seide, so brannte sie manchmal mit heller Flamme; durch Reiben an Steinen gelang es oftmals, diese Seide zu entzünden, worauf sie von selbst nicht erlosch, sondern weiter unter Knistern verglomm. Die Fülle von neuen Körpern, mit welchen wir von der Chemie überschüttet werden, gereicht nicht immer zum Vorteil, mancher Stoff muß nach trüben Erfahrungen als giftig oder feuergefährlich verpönt werden.

Die Fülle der neuen chemischen Körper bereitet auch dem Sachverständigen vor Gericht mitunter schwere Sorgen. Da wird z. B. ein Kranker mit irgend einem stärkenden Spiritus eingerieben und der Unglückliche geht dabei in Flammen auf und stirbt an Verbrennung. In der darauf folgenden Gerichtsverhandlung kann nicht festgestellt werden, daß jemand mit brennendem Lichte oder Zündholz in die Nähe des Kranken gekommen ist; nun entsteht die Frage, ob eine Selbstentzündung vorliegt. Es ist uns nicht bekannt, daß reiner Spiritus sich jemals von selbst entzündet hätte, aber es ist schwierig, mit Bestimmtheit zu erklären, wie sich eine mit verschiedenen Stoffen versetzte Spiritusmenge beim Verreiben verhalten kann. In Anbetracht solcher schwierigen Fragen ist es oft lehrreich, von der Höhe unserer Zeit in die Tiefen der Vergangenheit zurückzublicken. Und so möchten wir nunmehr im Verlauf dieser gedrängten Mitteilungen den Lesern über ein zwar veraltetes, aber doch in geschichtlich-wissenschaftlicher Hinsicht höchst lehrreiches Kapitel, das der Selbstverbrennung des menschlichen Körpers berichten.


Aus dem Familienleben der Kraniche.

Der Wirklichkeit nacherzählt von Joachim von Dürow.

Dem Rittergutsbesitzer v. K. auf S. in Ostpreußen wurde eines Tages ein flügellahm geschossener Kranich eingebracht und die Familie, die für allerlei Getier stets ein offenes Herz hatte, empfing den Ankömmling mit Freuden. Man setzte ihn in den umfriedeten Park, in dem das Tier in möglichster Freiheit seine Genesung abwarten konnte, während für die Ernährung in der Art gesorgt war, daß den Jungen des Dorfes für jeden Frosch ein Pfennig zugesichert wurde. Da nahte sich denn manch’ einer, in dessen leinener Hosentasche es bedeutungsvoll krabbelte!

Anfangs vor jeder Annäherung ängstlich fliehend, begann der von Natur so scheue Vogel bald dem Vertrauen in die Menschheit Raum zu geben. In immer engeren Kreisen nahte er sich den Hausbewohnern, und bald fand man es natürlich, daß, sobald die Familie sich in der Veranda versammelte, der Kranich an der zu derselben führenden Treppe Posto faßte. Er nahm Brot und Fleisch ohne Umstände aus der Hand, wobei der scharfe Blick, mit dem er denjenigen fixierte, der sich bei der Fütterung etwa saumselig zeigte, peinlich berührte. –

Nachts über hielt sich der Kranich, der übrigens wie so viele zahmen Haustiere auf den Namen „Hans“ hörte, auf einem Beine stehend im Teiche auf, diesem tagsüber als Pferdeschwemme benutzten Gewässer im Verein mit Mondschein und Wasserrosen zu einer etwas trügerischen Poesie verhelfend. –

Ein geräumiger Verschlag im Schafstall diente als Winterquartier, und mit behaglichem Schnarchen begrüßte der Kranich den täglichen Besuch der Töchter des Hauses, während er sich dem diese begleitenden Teckel oder einem sich etwa vordrängenden Schaf durchaus nicht wohlgesinnt zeigte, insofern ein scharfer Schnabelhieb derlei Leute sofort belehrte, daß sie hier durchaus nichts zu suchen hätten.

Wenn nun auch ein ungewöhnlich zeitiges Frühjahr bald wieder den Aufenthalt im Garten gestattete, so war es mit dem ersten Zug Wandervögel doch um Ruhe und Frieden des Kranichs geschehen; als gar eines Tages ein Kranichzug in der bekannten Dreiecksform über den Garten hinstrich, stürzte der Vogel wie rasend von einer Seite des Parkes zur andern; – er rief, er lockte in Tönen, wie man sie noch niemals von ihm vernommen hatte – bald lang gezogen, bald scharf hinausgestoßen – und siehe da, es kam eine Antwort aus der Luft.

Die Feldarbeiter beobachteten, daß ein Vogel sich von der Kette löste und zurück blieb. Man sah ihn sich auf das hinter dem Garten liegende Brachgefild niederlassen, worauf andern Tages der Gärtner mit der Meldung kam, daß zwei Kraniche sich in den einsamen Gartenpartien ergingen. Der eine sei wegen kleinerer Statur und wegen weniger lebhafter Färbung der Wangen augenscheinlich ein Weibchen.

Der Fremdling blieb da. Jeden Tag sah man ihn, immer von dem alten gelockt, dem Bereiche des Hauses näher kommen, worauf es wie ein Jubelruf durch die Familie ging, als eines Morgens beide Kraniche vor den Stufen der Veranda standen – der Gast jedoch um einige Schritte zurück.

Wie gewöhnlich empfing Hans sein Futter aus der Hand der Hausfrau, warf aber die Fleischstückchen sofort nach rückwärts der Gattin zu, umkreiste sie mit leise lockendem Tone, und erst wenn er sich überzeugt, daß sie nach langem Zögern das Futter aufgenommen, machte er sich selber an die Mahlzeit.

Dieses ritterliche Benehmen hielt Hans übrigens fest, denn niemals war sie zu bewegen, das Futter direkt aus der Hand zu nehmen oder ohne Zureden seinerseits zuzulangen.

Das Zusammenleben beider Tiere wurde nun zu einer Idylle, deren Beobachtung den Sommer für die Familie in angenehmster Weise ausfüllte. – Täglich flog das Weibchen für einige Stunden fort und der Gatte fand sich, dem Freiheitsdrang der Gefährtin Rechnung tragend, geduldig in das Unvermeidliche. Sobald sie sich aber länger als gewöhnlich da draußen aufhielt, bemächtigte sich eine furchtbare Unruhe des

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 606. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_606.jpg&oldid=- (Version vom 21.7.2023)