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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

„Morgen, immer morgen,“ murmelte Struve, sichtlich Kilianes Gegenwart vergessend.

Sie brachte sich wieder in Erinnerung.

„Ich war in der Superintendentur,“ neckte sie, neben ihm dem Hause zuschwebend. „Hätte Ihm gern ein Kompliment mitgebracht; aber mein Erbieten wurde nicht angenommen.“

Einen Augenblick stockte sein Fuß. Die schönen braunen Augen sahen sie vorwurfsvoll an. „Warum verschwendet das Fräulein seine Zuvorkommenheit an Personen, die sich derselben durchaus nicht würdig fühlen?“

Sie lachte laut auf. „Das heißt: die sie nicht verlangt haben. Ist das der Dank für mein Bemühen, Ihm bei Seiner Amourschaft Beistand zu leisten?“

Jetzt wurde sein regelmäßig geschnittenes Gesicht fast streng. „Ich bitte gehorsamst, an einen bürgerlichen Mann nicht das Maß eines Hofkavaliers zu legen. Von einer Amourschaft ist nicht die Rede, sondern von meinem aufrichtigen Streben, für meinen bescheidenen Herd eine liebe Hausfrau zu gewinnen.“

Sie hielt sich die Ohren zu. „Mon Dieu! Wäge Er nicht jedes Wort! Er scheint heute keines guten Humors zu sein – ah! Da steht ja unser Bärenschlitten! Ist vielleicht in ihm eine Verstimmung von der Augustenburg hereingefahren worden?“

Struve schüttelte bekümmert den Kopf, während er sie die Treppe hinauf geleitete. „Wenn uns nichts anderes nagte als die Forderungen der Frau Fürstin, die der Herr Kammerjunker von Eichfeld überbracht hat!“

Ein helles Rot stieg bei dem Namen in Kilianes Gesicht auf; aber wie gewaltsam bekämpft, verflog es im Nu.

Struve bemerkte es nicht.

Auf dem Gang, der nach dem die Amtsstuben enthaltenden Flügel führte, steckten die Räte die Köpfe zusammen. Der Sekretarius geleitete Kiliane rasch hindurch, offenbar bestrebt, die geflüsterten Reden vor ihr zu verheimlichen.

Aber ihr feines Ohr fing doch auf: „Weimar – Ultimatum“ – und als sie schon auf der Schwelle zum Zimmer des Kanzlers stand, noch den Schall eines letzten Wortes, das ihr die Verstörung erklärte.

Struve schloß, nach ihr eintretend, schleunig die Thür.

Gravitätisch wie immer lehnte Herr von Heymbrot an seinem Schreibpult, stattlich sich abhebend von dem hohen Bücherbrett, unter dessen zurückgeschlagenem goldbefransten Vorhang die juristische Weisheit der Zeit in schweinsledernen Einbänden sich zeigte.

Der Kammerjunker von Eichfeld stand vor ihm in brokatener Bratenweste, goldgesticktem Atlasrock, den dreieckigen Hut unter dem Arme.

Seine Augen leuchteten auf, als Kiliane erschien.

Sie blinzelte durch die krausen goldigen Wimpern flüchtig nach ihm hin, während sie zu dem Kanzler eilte. „Ich komme, nach dem Wohlbeanben meines gnädigen Oheims –“

„Man schweige,“ unterbrach sie dieser. Dann auf ein Bündel Rechnungen deutend, die auf dem Tische lagen, sprach er zu Eichfeld weiter: „Also: Ihro wünschen, daß wir diese Kramzettel bezahlen. Silberborten und Goldposament für das Monpläsir – hm – hm.“

„Zum zweiten: der Malaga geht zur Neige,“ fügte Eichfeld hinzu.

„Zum dritten: wir brauchen mehr Pferde,“ ergänzte Kiliane. „Bei den Ausfahrten von dem Gefolge reicht die lange Kutsche nicht aus für die Reifröcke.“

Der Kanzler nahm umständlich eine Prise aus der Dose, die das Bild seines fürstlichen Herrn in Perlenfassung zeigte, und stäubte mit spitzen Fingern den Schnupftabak vom Spitzenhalstuch.

Struve kam seiner Antwort zuvor. Er schlug sein Aktenstück auf und sagte ehrerbietig aber bestimmt: „Laut dieser Rechnungslegung ist der Etat für die Augustenburg bereits überschritten. Es wäre ratsam, Ihro Durchlaucht vorzustellen, daß unnütze Geldausgaben gerade in jetziger Zeit zu vermeiden sind.“

„Da der Krieg vor der Thür steht,“ setzte Kiliane hinzu, die erlauschten Worte gebrauchend.

„Krieg?“ rief erregt der Junker, und seine Hand ballte sich trotz der Spitzenmanschette kräftig um den Griff des Galanteriedegens.

„Man schweige!“ rief erschrocken der Kanzler.

Aber Kiliane kicherte weiter: „Krieg mit Weimar, das die stattlichen Greuadiere hat und o! rote Husaren.“

In dem Junker regte sich das Blut der kampflustigen Streithähne, die seit Jahrhunderten aus der Eichfeldburg hervorgebrochen waren. „Mit den Husaren und Grenadiers wollen wir es wohl aufnehmen,“ sprach er zuversichtlich.

Kiliane funkelte ihn spöttisch an. „Wolle der Herr Kammerjunker nur wenigstens einen Husaren am Leben lassen! Diese angenehmen Tollköpfe, die hinfliegen wie der Wind – die wären nun mein Vergnügen!“

Eichfeld stampfte leise mit dem elastischen Fuß auf.

„Man schweige!“ gebot der Kanzler. „Ich werde seinerzeit und bei günstiger Gelegenheit die Wünsche Ihrer Durchlaucht vor das hohe Ohr Seiner Durchlaucht bringen. Bon soir!“

Die beiden jungen Hofleute waren entlassen.

Kiliane eilte die Treppe hinab, indem sie trällerte.

Wer nicht wohl tanzen kann, soll sich vom Reigen scheiden,
Wer saget, was er denkt, der soll den Hof vermeiden.“

Eichfeld wollte ihr nach.

Da tönte es von einer ernsten treuherzigen Stimme an sein Ohr: „Guten Abend, Herr Junker Konrad.“

Aus dem Winkel neben der Treppe trat ein Mann in grobem Rock, Lederhose, eine große Peitsche in der Hand. Es war der Hofmeier des Eichfeldhofes. Unter den buschigen Brauen, den in die Stirn hängenden Haaren schauten ehrliche runde Augen wie die eines treuen Pudels den Junker an, in dessen Wangen bei seinem Anblick ein dunkles Rot schoß.

„Ich habe den Junker einfahren sehen und gebeten, hier warten zu dürfen.“

„Du bringst Geld, Hannjörg?“ sagte Konrad, seine Befangenheit unter barschem Ton verbergend.

Hannjörg seufzte. „Ja, ich briuge noch ein paar Thaler, wie der Junker es verlangte. Aber,“ raunte er ihm zu, „es sind die letzten.“

„Das kann nicht sein,“ war die betroffene Antwort.

„Es ist nichts mehr da als das Saatkorn und Futter für das Vieh,“ beteuerte der Hofmeier. „In den fünf Monaten seit der Junker bei Hofe lebt, ist mehr draufgegangen als sonst in fünf Jahren.“

Eichfeld sah finster vor sich hin, die Lippen zusammengepreßt.

Der Hofmeier trat ihm zutraulich uäher. „Wenn der liebe Herr Junker doch wieder zu uns auf das väterliche Gut kommen, das tägliche Brot bauen und in Frieden auf der eigenen Scholle essen wollte! Es hat nie einen leeren Geldbeutel bei uns gegeben, bis der stockbeinige Hofmarschall den Herrn aufspürte.“

Dem Junker riß die Rede Hannjörgs am Herzen. Seine Augen wandten sich von dem gefurchten Gesicht des treuen Knechtes. Sie trafen Kiliane, die in der Hausthür stand und lässig mit ihrem winzigen Muff den dicken Mops des Kanzlers neckte. Hatte sie gehört? Es lag wie Spannung in ihren Zügen, es zuckte um die roten Lippen – wieder Spott?

Sein Weh schlug in Ungeduld um. Er lachte rauh. „In dem grauen Eulennest hausen, dem das Dach wie eine spitze Zipfelmütze auf die Fensterchen drückt?“ sagte er leise aber heftig. „Nur die vier Eichen vor der Nase, die zerzaust darum stehen? Die Schafherden blöken hören, die langweiligen Aehren nicken sehen den langen Tag? Fällt mir nicht ein!“

Auch der alte Knecht wurde jetzt zornig. „In dem Haus haben die Väter des Herrn Junker mit Ehren, ohne Schulden gewohnt. Die Eichen sind zerzaust von den Blitzen, die sie getreulich von dem hohen Dach auf sich ablenkten. Die liebe Feldfrucht ist die beste Gabe unseres Herrgotts, und die Herden des Eichfeldes sind ein schöner Besitz. Aber ich sehe schon: es ist itzt vergeblich, dem Junker vernünftig zuzureden. Ich habe dem Herrn den Schlüssel zu seinem Eichfeldhof mitgebracht, damit Er Tag und Nacht Zuflucht unter Seinem Dach suchen kann. Denn einmal knaxt es doch mit der Hoffart.“

Er hatte einen großen Schlüssel in Konrads Hand gedrückt, ging, und gleich darauf hörte man den Trab eines schweren Kleppers sich entfernen.

Konrad warf einen mißtrauisch forschenden Blick auf Kiliane. Kein Zweifel! sie sah ihn jetzt mit Geringschätzung an. Machte sie sich lustig über seinen Schlüssel, der so groß war wie ein Pistol? Sollte er ihn wegwerfen? Da schien ihm das rostige Werk plötzlich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 570. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_570.jpg&oldid=- (Version vom 10.11.2022)