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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Nr. 34.   1895.
Die Gartenlaube.

Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.
Abonnements-Preis: In Wochennummern vierteljährlich 1 M. 75 Pf. In Halbheften, jährlich 28 Halbhefte, je 25 Pf. In Heften, jährlich 14 Hefte, je 50 Pf.



Sturm im Wasserglase.

Roman aus dem Anfang des 18. Jahrhunderts.
Von Stefanie Keyser.


Thüringen lag tief in Schnee gebettet.

Auf den altersgrauen Ringmauern der schwarzburgischen Residenzstadt, die den Aar in Namen und Wappen führt, bauschten sich weiße Kissen; die spitzen Giebel der Häuser, die Türme trugen flockige Hauben.

Alle scharfen Ecken verschwanden unter der weichen Hülle; über die Gassen breitete sie sich als reines leuchtendes Tuch.

Das freundliche Bild verriet nichts von den dunklen Fäden, die darunter zu schicksalsvollen Schlingen und Knoten für Menschenlose sich verwebten.

So munter die glitzernden Sternchen das Schloß Neidecke umstäuperten – es war ein ernster stiller Mann, der darin hauste. Dem Grafen Anton Günther hatte sich der größte Wunsch seines Lebens, den Fürstentitel zu besitzen, nur erfüllt, damit er erkannte, daß jedes noch so heiß begehrte Ziel von seinem Glanz und Zauber verliert, sobald es erreicht ist. Kein Sohn sproßte neben ihm auf, dem er die erlangte Würde hätte vererben können. Einsam lebte er in dem stolzen Bau. Von seiner Gemahlin Augusta Dorothea war er, der lutherische Fürst, getrennt, seit sie ihrem geliebten Vater, dem Herzog Anton Ulrich von Braunschweig, in die katholische Kirche gefolgt war. Außerhalb der Ringmauern seiner Residenz hatte sie sich ihren Fürstensitz erbaut.

Jedoch nicht nur die Sorge um die wachsende Entfremdung zwischen dem Fürstenpaar furchte die Stirnen der vertrauten Räte. Der Herzog Johann Wilhelm von Weimar, dem die Lehnsoberhoheit über das Land zustand, erhob Einspruch gegen die Standeserhöhung, durch welche er sein Recht gefährdet glaubte. Hinter den Fenstern des Kanzleigebäudes, die der Frost allnächtlich mit zierlichen Kreuzen zeichnete, türmten sich Berge von Aktenstücken über die unliebsame Sache. In das Federgekritzel klang allmählich drohendes Waffengeklirr.

Und wenn auch der damaligen Regierungskunst entsprechend die Unterthanen in Unkenntnis über die Maßregeln ihrer Herrschaft belassen

Sommerlust.
Gemälde von E. Bischoff-Culm.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 565. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_565.jpg&oldid=- (Version vom 30.10.2022)