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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

muß. Und dann geht’s nochmals hinaus in den Garten, wo die freundliche Lehrerin mit den Mädchen einen Reihen macht, während sich die Jungen auf ihre Weise unterhalten. Das Auge des Menschenfreundes hat hier oft genug Gelegenheit, mit wahrer Befriedigung das sichtliche Aufblühen der blassen, oft recht verkümmerten Stadtkinder wahrzunehmen, die auffallende Veränderung in Haltung und Bewegung, den glücklichen Gesichtsausdruck der kleinen Menschen, die hier zum erstenmal Wald, Vogelsang und Wiesengrün kennenlernen. Wer weiß, ob nicht diese tiefempfundenen Natureindrücke bei manchen den stillen Grund legen zu einem künftigen „Zug aufs Land“ im Gegensatz zu dem unseligen Zug in die Städte, der heute so viel Enttäuschung und Elend schafft. Das wäre denn auch noch eine Wirkung der Ferienkolonie und wahrlich eine sehr erwünschte! Bn. 

Auf der Alpenreise. (Zu dem Bilde S. 561.) Man sieht, es sind gute Freunde, die hier voneinander Abschied nehmen. In manchem früheren Herbst erschien der lustige Maler mit Skizzenbuch und Feldstaffelei, um wochenlang von dem gemütlichen tiroler Wirtshäusel aus seine Streifzüge zu machen, und sie hatten ihn alle gern, die Wirtin samt ihren Buben und Mädeln. Heuer nun brachte er statt des Malgerätes ein liebliches junges Frauchen mit und jetzt geht es nach eintägiger Rast weiter, über die Paßhöhe dem Süden zu. Für die zarte Städterin, die übrigens mit etwas mißtrauischem Blick die harmlose Vertraulichkeit ihres jungen Eheherrn mit seinen schmucken Wirtsleuten betrachtet, mußte ein Maultierchen geschirrt werden, der älteste Bub’ wird es führen, während der junge Gatte auf derben Nägelsohlen nebenher marschiert und ihr all die Schönheit zeigt, die ihn früher entzückte und heute doppelt entzückt. Auf dem Rastplatz kommt dann der vom alten Hausknecht sorglich gefüllte Proviantsack zu Ehren und dort auf luftiger Höhe bei Tannenrauschen und Quellgeriesel mit dem weiten Ausblick über Thal und Berghöhen würde das junge Paar nicht mit den Größten und Reichsten dieser Welt tauschen. Wer einmal ähnliche Glückszeiten erlebt hat, wird das hübsche Bild mit besonderem Anteil betrachten, aber auch andere dürften sich an dem Anblick dieses gemütlichen Bergidylls abseits von dem Getöse der großen Verkehrsstraßen erfreuen. Bn. 

Ansicht von Krems von der Ostseite.
Nach einer Photographie von Franz v. Prandtstetter in Krems a. D.

Das Bildnis der beiden Söhne des Rubens. (Zu unserer Kunstbeilage.) Nach einem Ausspruch Michel Angelos gehört die Kunst keinem Lande an, sie stammt vom Himmel. Drei Städte: Köln, Antwerpen und Siegen, haben sich um die Ehre gestritten, der Geburtsort Peter Paul Rubens’, des Hauptmeisters der Brabanter Malerschule, zu sein. Siegen, eine seiner Zeit nassauische, heute westfälische Stadt hat den Sieg davongetragen. Streit und Sieg haben die Welt nicht sonderlich bewegt, denn auch das Genie gehört keinem Lande an, sein sonnenhaftes Leuchten umfaßt nicht bloß ein begrenztes Stückchen Erde, es hat sein Vaterland überall da, wo es verstanden und geschätzt, wo es geliebt wird. Und so dürften wir den Großmaler der Renaissance auch dann den unserigen nennen, wenn die Wiege des einer Antwerpener Familie entsprossenen Knäbleins auch nicht zufällig am Ufer der Sieg gestanden hätte. In allen Galerien finden sich Werke des fleißigen und vielseitigen Künstlers, der mit dem Instinkte des Genies die Besonnenheit des Talentes und eine nie versagende Schaffenskraft in wunderbarer Weise vereinigte. Die Dresdener Galerie allein besitzt 31 Bilder, die mit einigen wenigen Ausnahmen ausschließlich von Rubens’ eigener Hand gemalt sind. Hinsichtlich der beiden ausgezeichneten Kniestücke „Bildnis eines Herrn, der seine Handschuhe anzieht,“ und „Bildnis einer Dame mit einem Kinde“ herrscht jetzt in Kennerkreisen allerdings die Ansicht, daß sie nicht von Rubens, sondern von seinem besten Schüler, Anton van Dyck, herrühren. Die „Dame mit einem Kinde“ ist wahrscheinlich Jsabella Brant, Rubens’ erste Gemahlin, mit dessen erstgeborenem Sohne Albert. Die bereits etwas spitz gewordenen Züge haben unverkennbare Aehnlichkeit mit dem runderen schönen Frauenantlitz, das Rubens selbst auf dem in der Münchener Pinakothek befindlichen Bilde „Rubens und seine Gemahlin Jsabella“ und dem in den Uffizien zu Florenz hängenden Bildnisse seines jungen Weibes in wunderbarer Feinheit wiedergegeben hat. Den großen, schönen Augen des Kindes, welche denen der Mutter gleichen, begegnen wir auf jenem um 1627 entstandenen Doppelbildnisse der Dresdener Rubensabteilung wieder, das als die Perle derselben und zugleich als eine der herrlichsten Schöpfungen des Meisters bezeichnet werden darf: „Rubens’ Söhne Albert und Nikolaus.“ Aus den liebenswürdigen und durchgeistigten Zügen des den Bruder zärtlich umfassenden älteren Knaben leuchten sie uns wie geheimnisvolle dunkle Sterne entgegen, während der jüngere Knabe seine Blicke auf das Spielzeug in seiner Hand, einen gefesselten Stieglitz, gerichtet hält.

Rubens war nicht bloß ein großer Künstler und ein bedeutender Diplomat, sondern auch ein edel veranlagter, liebenswürdiger Mensch, ein vortrefflicher Gatte und Vater. An seinen Kindern aus erster und zweiter Ehe – vier Jahre nach dem Tode der trefflichen Jsabella Brant, 1630, vermählte sich der Dreiundfünfzigjährige nochmals, und zwar mit einer Verwandten, der sechzehnjährigen, reizenden Helene Fourment – hing er mit einer tiefen und zärtlichen Liebe, doch scheint der hochbegabte Albert seinem Herzen ganz besonders nahe gestanden zu haben. Am 29. Dezember 1628 schreibt er aus Madrid, wohin ihn seine diplomatische Thätigkeit gerufen, an seinen bewährten Freund, den als Historiograph Kaiser Ferdinands III. bekannten Antwerpener Stadtschreiber Gevaerts, welchem er seinen ältesten Sohn anvertraut hatte: „Mein Albertchen bitte ich Dich, wie mein Bild, nicht in Deiner Betstube oder dem Hausgötterheiligtum, sondern in Deinem Wissenschaftstempel zu halten. Ich liebe den Jungen und ernstlich empfehle ich Dir, Fürst meiner Freunde und Führer der Musen, daß Du die Sorge für ihn bei meinen Lebzeiten und nach meinem Tode gemeinschaftlich mit meinem Schwiegervater und meinem Schwager Brant übernimmst.“ Albert Rubens hat die hohen Erwartungen, welche der Vater an seine Geistesanlagen knüpfte, nicht getäuscht. Er stand erst im 17. Lebensjahre, als ihn Philipp IV., hingerissen von der Gewecktheit und Klugheit des liebenswürdigen Künstlerkindes, zum Nachfolger seines Vaters in der Würde eines Sekretärs des geheimen Rats bestimmte. Seine Gelehrsamkeit bekundete er später namentlich als Altertumsforscher. Das Alter des Vaters erreichte er nicht: er starb in seiner Geburtsstadt Antwerpen, erst 43 Jahre alt, am 1. Oktober 1657. Von Nikolaus Rubens’ Lebenslauf ist so gut wie nichts bekannt. Wir wissen nur, daß er bereits im Alter von 37 Jahren vom Tod dahingerafft worden. Das berühmte Doppelbildnis, welches die „Gartenlaube“ mit der vorliegenden Nummer in ausgezeichneter Wiedergabe ihren Lesern vorführt, ist von Rubens bis auf den letzten Strich mit der gleichen künstlerischen Hingabe ausgeführt worden wie die zahlreichen Porträts seiner beiden Gattinnen; in alle diese herrlichen, besonders in der Licht- und Farbenwirkung unübertrefflichen Bilder hat er recht deutlich die Liebe zu den Seinen hineingemalt. Wie mächtig, und fruchtbringend er auch übrigens auf die Kunst der Niederländer gewirkt, von den vier Söhnen des unsterblichen Meisters ist ihm keiner in seinem Künstlerberufe gefolgt; auch lebt sein großer Name nur in seinen Werken fort. Schramm-Macdonald. 


manicula Hierzu Kunstbeilage IX: „Die beiden Söhne des Rubens.“ Von Peter Paul Rubens.

Inhalt: Vater und Sohn. Wahrheit und Dichtung. Von Adolf Wilbrandt (Schluß). S. 549. – Vergebliche Mühe. Bild. S. 549. – In der Ferienkolonie. Bild. S. 553. – Als Deutsche in Paris. Erinnerungen aus dem Kriegsjahr. Von Klara Biller (Fortsetzung). S. 554. – Die kaiserliche Matrosenstation bei Potsdam. Von Johannes Wilda. S. 557. Mit Abbildungen S. 557 und 558 – Freiheit. Novelle von A. von Klinckowstroem (1. Fortsetzung). S. 559. – Auf der Alpenreise. Bild. S. 561. – Blätter und Blüten: Die neunhundertjäbrige Jubelfeier der Stadt Krems. Von R. v. Enderes S. 563. (Mit Abbildung S. 564.) – Parfümierte Früchte. S. 563. – Vergebliche Mühe. S. 563 (Zu dem Bilde S. 549.) – In der Ferienkolonie. S. 563. (Zu dem Bilde S. 553.) – Auf der Alpenreise. S. 564. (Zu dem Bilde S. 561.) – Das Bildnis der beiden Söbne des Rubens. Von Schramm-Macdonald. S. 564. (Zu unserer Kunstbeilage.)


Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig.
Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 564. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_564.jpg&oldid=- (Version vom 20.7.2023)