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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)


Unterdrückten von damals in Deutschland ein Rächer entstanden sei. Daß der Haß bei dem leidenschaftlichen Volke sich ungeschwächt durch Generationen erhalten hatte, war mir bereits von meinem Aufenthalt in den Provinzen Altkastilien und Leon bekannt. Dort hatte man verschiedene halbeingeäscherte Brandmauern nur deshalb nicht abgetragen, damit sie Gedenkzeichen blieben an die Missethaten der Sieger von damals!

Um sechs Uhr früh lief der Zug in Madrid auf dem Bahnhof ein; drei Studen später erst ging der nach Paris ab. Selbst für intimere Besuche war die Morgenstunde nicht recht geeignet; ich war überhaupt nicht besuchslustig. Nur von Einem sehnte ich mich, Abschied zu nehmen, ehe ich Spanien, vielleicht auf immer, verließ. Der liebe Eine aber saß bis um zehn Uhr hinter festen Riegeln, er war im Museum aufzusuchen und hieß – Velasquez. Ich schwankte schon, ob ich ihm nicht einen ganzen Tag opfern und erst am nächsten reisen sollte, aber die Zeit drängte. Ueberdem kannte ich meine Spanier und wußte, daß sie in besonderen Fällen die angenehme Eigenschaft besitzen, vernünftige Ausnahmen von der Regel zu machen. Bald nach sieben Uhr stand ich am Thor des Museo del Prado und zog die Glocke. Der Kastellan, ein alter ausgedienter Militär, war gefällig und billigte meine Passion; er hatte mich zwei Monate hindurch beinahe täglich mit meinem Malkasten vor den spanischen Meistern gefunden. Daß ich des Krieges wegen – der ihn lebhaft interessierte – nach Deutschland zurückkehrte, begriff er. Aber er gönnte mir vorher die stille Stunde der Betrachtung und schloß willig die Säle auf, die so viel Herrliches enthalten.


Fatale Unterbrechung.
Gemälde von Karl Gebhardt.


Auf dem Rückwege sah ich auf einem menschenleeren Platze – erinnere ich mich recht, war’s im Schloßhof, wo allerdings jetzt kein Kronenträger zu beschützen war – zwei Wachen Ball miteinander spielen. Wären meine Gedanken damals nicht mit Krieg und Soldaten beschäftigt gewesen, würde mir der Mangel an Disciplin nicht aufgefallen sein – so machte er mir Eindruck.

Auf dem Bahnhof wurde der „Cascabel“, der spanische „Kladderadatsch“, ausgeboten. Er brachte einen spanischen „Brief Napoleons des Großen aus dem Fegefeuer an seinen Neffen Napoleon den Kleinen“, worin ersterer dem letzteren derbe Vorwürfe über seine thörichte Kriegserklärung machte und ihm für den Fall der Niederlage Verhaltungsregeln für das Klima in St. Helena anbot . . .

In Hendaye, der Grenzstation, wurde mein Paß kaum angesehen. Als Kennzeichen der „Barbaren“ galten blaue Augen und gelbe Haare, die besaß ich nicht. Ueberhaupt kam von Spanien wohl wenig Verdächtiges. Dagegen war ich bald sicher, daß mein Nachbar im Waggon – die dritte Klasse war hier ohne Abteilung für Frauen – der bei der Revision hinter mir stand, meinen Paß über die Schulter gelesen hatte. Kaum setzte der Zug sich in Bewegung, so fing er an – noch dazu mit deutschem, das heißt elsässer Accent – auf die Preußen zu schimpfen. Es konnte natürlich nur auf mich gemünzt sein, denn die eingestiegenen Spanier, einfache Leute, unterhielten sich in ihrer Sprache und verstanden offenbar sein Französisch nicht. Um ihm den Mund zu schließen, bemerkte ich, daß ich selbst eine Preußin sei. Damit machte ich es nur schlimmer.

„So, so!“ spottete er, „nun Ihre Landsleute werden sich nächstens gefallen lassen müssen, daß wir ihnen einige Lektionen in der Kriegsführung geben, wenn wir uns auf dem Wege nach Berlin befinden.“

Natürlich hätte ich schweigen sollen. Aber ich war auch bereits vom Kriegsfieber gepackt und es schien mir unmöglich, dem „Feinde“ so etwas durchgehen zu lassen.

„Es könnte auch umgekehrt der Fall sein,“ entgegnete ich so ruhig als nur möglich; „der Weg nach Paris ist unsern Soldaten von früher her bekannt!“

Jetzt fuhr er giftig auf.

„Sie werden doch nicht etwa behaupten wollen, daß die Preußen in Paris gewesen wären? Russen, Engländer und Oesterreicher – ja! Meinetwegen in der Gesellschaft auch ein paar Preußen – allein aber hätten sie sich nie dahin gefunden!“

Da bereute ich, ihn überhaupt eines Wortes gewürdigt zu haben, und schwieg hinfort beharrlich. Glücklicherweise stieg er aus, ehe die Nacht anbrach – eine klare, sternenhelle, die wir nur leider in einem bis auf den letzten Platz gefüllten Wagen nicht genießen konnten.

In Bordeaux, wo unser Zug ein paar Stunden Aufenthalt

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 541. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_541.jpg&oldid=- (Version vom 31.10.2019)