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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

diese Thea ... „Sie taugt nicht zur Schwiegertochter“, sagtest Du mir neulich. Mit was für Worten aprachst Du von ihr. Jetzt scheu’st Du Dich nicht, ihr Deine Hand – fürs Leben –!

Soll ich denn nicht an sie glauben wie Du? „Eine große Dummheit“ hat sie Dir gebeichtet; alle anderen leugnet sie. Du warst überzeugt, sie sagt Dir die Wahrheit. Bist Du das nicht mehr?

Rudolf zögerte; dann errötete er über dieses Zögern und warf hastig die Worte heraus: Doch, Vater, doch. Warum sollt’ ich nicht ... Aber Du –!

Was bin ich denn anders als Du? – Ein Mensch. Ein Mensch, der nach Glück verlangt. Und der gerne glaubt, wo sein Herz – – Kurz, ich bekenne mich jetzt zu Deiner Meinung. Aber ich sag’ noch einmal, was ich Dir da schrieb: nur mit Deiner Zustimmung will ich glücklich werden. Nur wenn Du die Kraft hast, mir dieses Opfer zu bringen ... Das ist meine Bitte an Dich. Das ist meine Hoffnung!

Still jetzt! flüsterte er, da er klopfen hörte. Er rief Herein; seine Schwester Sophie öffnete die Thür. Es sei Besuch für ihn da; ein Kollege von der Universität.

Also morgen mehr! sagte Volkmar gelassen, als hätte er mit seinem Sohn von ruhigen und guten Dingen gesprochen, und ging mit Sophie hinaus.


10.

Rudolf, sonst einer der besten Schläfer unter seinen Altersgenossen, fand in der Nacht, die diesem Tage folgte, stundenlang keinen Schlaf. Seine Augen brannten; ihm war, als hätte er Feuer im Kopf; die Decke lag ihm schwer auf der Brust, er schob sie weit zurück und atmete tief und laut. Er hatte ein Gefühl, wie wenn er das Atmen verlernt hätte; die Brust that ihm weh von dieser „schweren Kunst“. Endlich ward ihm völlig klar, daß seine Gedanken, wie Kobolde auf ihm sitzend und alpdrückend, ihn nicht atmen ließen. Es traten ihm Thränen in die Augen, er wußte nicht warum; eine unendliche Sehnsucht ergriff ihn, zu seinem Vater zu sprechen ... Der schlief aber; im Hinterhaus. Es war tiefe Nacht. Er sah es auf seiner Uhr, denn er hatte die Lampe wieder angezündet, die Finsternis quälte ihn. Er stieg aus dem Bett. Was thun? – Aus dem großen Kachelofen kam noch etwas Wärme. Sich in seine Decke wickelnd, wie er als Knabe so manches Mal gethan hatte, ging er mit der Lampe zum Schreibtisch, nahm ein Blatt, das auf der Mappe lag, und fing an zu schreiben:

„Mein geliebter Vater! Der Tag ist so hingegangen, wir haben uns gesehen, aber nicht mehr gesprochen; ich meine über das, was mein ruheloses Herz erfüllt. Immer fremde Menschen; Gäste den ganzen Tag ... Ich kann nicht mehr schweigen. Ich muß Dir wenigstens auf dem Papier sagen, wie mir ist. Bitte, hör’ mich an!

Nur mit meiner Zustimmung, hast Du mir geschrieben und gesagt, willst Du „glücklich werden“. O Vater! O glaub’ mir, aus Selbstsucht würd’ ich das nicht hindern wollen, was Dich glücklich macht; ich würde schweigend vergehn ... Ich hab’ mich diesen ganzen Tag behorcht, befühlt. Ich weiß, ich bin nicht so gut, wie ich mir wohl eingebildet habe daß ich werden könnte; aber mir ist, als könnt’ ich Dir jedes Opfer bringen; als liebt’ ich auch Thea schon nicht mehr so leidenschaftlich, so mit ganzem Herzen, seit ich weiß, mein Vater sieht in ihr sein Glück. Du hast mir auch die Stellen aus dem Tagebuch doch nicht umsonst vorgelesen, nein, glaub’ das nicht; auch die „verliebten“ mein’ ich; sie gehen mir heute nach, sie flüstern und lächeln förmlich, ich hör’ sie. Ich lag diese Nacht da und ich dachte mir: ja, so sind deine „Leidenschaften“! so kann auch noch diese vergehen. Thu’ nur nicht so tragisch! Dein Herz wird nicht brechen!

„Aber – – Du, Vater! Du! – – Du wolltest mich heut’ nicht verstehn. Oder was war es sonst? Du, Vater, dieses Mädchen ... Es liegt mir eine entsetzliche Last auf der Brust; eine Gewissensangst. Sie ließ mich im Bett nicht mehr atmen; darum sitz’ ich hier. Du „glaubst nun an Thea wie ich“, hast Du mir gesagt ... O Gott! – Mein Glaube an sie – wenn er nun leichtfertig war. Wenn ich wie ein junger Mensch, so obenhin, ohne viel zu fragen – – Was liegt auch an mir? Wer bin ich? Hatt’ ich viel zu verlieren oder zu gewinnen? Ein Mensch, der nicht recht weiß, was er soll und will ... Aber Du! mein Vater! Du, der mir so hoch steht, über allen Menschen; der wie ein Vorbild ist, im Wirken und im Wesen; – ich finde nur die Worte nicht. Du, in dessen Liebe ich so glücklich bin; – „ach Du mein Vater, daß ich Dich hab’“; – kennst Du diese Verse noch? Das Gedicht, das ich zu Deinem Geburtstag machte, im vorigen Jahr. Es kam mir heut’ in die Hand, unter alten Blättern. Ein holperiges, schlechtes Gedicht, für Deinen Sohn schauderhaft schlecht; aber wahr ist jedes Wort. O, und heute Nacht ist’s so wahr wie je! – Ich muß Dir’s herschreiben, ganz; es verfolgt mich so; es läßt mich nicht schlafen ...

Ach Du mein Vater, daß ich Dich hab’!
Wenn auch die ganze Welt
Heut noch in Trümmer fällt, –
Ich lach’ und pfeif’ darauf
Bleibt nur ein Stückchen, drauf
Du bei mir stehst!

O Stolz, Dein Sohn sein, Dein deutscher Knab’!
Das Schwerste lerne
Ich mutig und gerne,
wenn Du, mein Vater,
Bester Berater,
Nie von mir gehst!

Du bist mein Leitstern, bis an mein Grab!
Dir folg’ ich voller Dank
Das ganze Leben lang,
Dir sag’ ich alles ja
Als meinem Freunde, da
Du mich verstehst!

„Dir sag’ ich alles ja“ ... Darum hatt’ ich auch keine Ruhe im Bett. Ich muß Dir heute Nacht noch sagen, was mir am schwersten wird ... Ich glaube nicht so fest an Theas Tugend, wie ich Dir damals beteuerte. Ach, ich belog Dich nicht, ich bildete mir ein, fest an sie zu glauben; um ihr zu helfen und um sie zu haben, machte ich mich blind. Aber nun, da Du – – O Gott. Mein „Leitstern“, mein „Freund“ – und ich sollte zusehn, wie Du diesem Mädchen, das mit Fellenberg so gut ist, das mit – – Mir schwimmt es vor den Augen; ich sehe kaum, was ich schreibe. Nein, Du darfst nicht, Vater. Lieber möcht’ ich sterben!

O höre auf Deinen Sohn! – – Was für ein Brief ist das, vom Sohn zum Vater; die verkehrte Welt. – Aber mein Gott, was thut das, wenn’s nur das Rechte ist. Ich fühle, es ist das Rechte; mir wird schon ein wenig leichter ums Herz, ich kann wieder atmen, diese gräßliche Angst läßt nach. Vater, liebster Vater, hör’ auf Deinen Sohn! Vor einer Woche – oder vor sechs Tagen – nahmst Du mir das Versprechen ab, eine Woche lang Thea nicht zu sehn. Ich hab’s gehalten. O versprich Du mir auch – verzeih’ mir diese Bitte, Vater – thn vor dem nächsten Sonntag nichts! Gönn’ mir diese Frist! Laß einmal die Welt so verkehrt sein .... Ich will Dich überzeugen, daß Thea für Dich – – daß Du sie nicht heiraten darfst; Du nicht. Wie? Das weiß ich noch nicht. Gott wird mir schon helfen!

„Er wird mir schon helfen! – Als ich noch halb Kind war, zwischen dreizehn und vierzehn, – wenn ich da Abends im Bett das Licht ausblies, dachte ich immer erst an Gott, mit dem kindlichen Vertrauen: nun wird das Licht gleich ausgehn! Und bis auf einmal geschah es auch; während ich früher oft mehrmals blasen mußte. Ich hatte aber doch schon von Dir „philosophieren“ gelernt; und so lag ich und überlegte bei mir: ‚Ob wohl Wunder geschehen können? Ich glaube, es ist so, daß, wenn man Gott fest vertraut, Gott in uns vollbringt, daß wir es richtig machen; daß wir durch eine gewisse höhere Begeisterung, ein unbestimmtes Etwas, unsere Kräfte richtig konzentrieren; und so läuft es doch darauf hinaus, daß ein festes Gottvertrauen sehr viel vermag!‘ – Ja, so will ich auch heute denken – wenn ich auch kein Kind mehr bin. Ich richte all meine Liebe, all meinen Willen, all meine Kraft auf Dich; und das wirst Du spüren – und der Vater wird thun, was der Sohn so mit allen Kräften seines Herzens bittet. Und mir wird ein Gedanke kommen, ein „rettender“. Vater, gute Nacht! – –

„Diese letzten Worte schreibe ich im Bett. Mit dem allerletzten blas’ ich das Licht aus.       Dein Rudolf.“

(Schluß folgt.)


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 538. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_538.jpg&oldid=- (Version vom 30.3.2023)