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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

drüben („das langweilige!“ dachte sie), oder kaute am Federstiel. Für diesen zweiten Akt hatte sie kein Herz: Arabella kam nicht drin vor; welcher Unsinn! Dagegen lauter Politik, Verschwörung, Pläne; nicht ein Wort von Liebe. Sie blies endlich ein mißvergnügtes „Poh!“ durch die Lippen.

Nein, Toni, so mußt Du nicht sein, sagte Helene, die sich schon eine Weile im Stillen abgeärgert hatte. Wenn man was unternimmt, mein liebes Kind, muß man es auch durchführen; das ist ja doch Ehrensache!

Werd’ Du nur nicht kulig, antwortete Toni. Ja, ich werd’s auch durchführen … Aber diese alten Ekels, die drei Bürgermeister von Brügge, die interessieren mich nicht! „Wollet ein wenig Platz nehmen“ … Und dann reden sie so dumme Sachen. Und wie dann Franz von Sickingen kommt, wird es auch nicht besser. Eine ganze Seite lang setzt er ihnen auseinander, wie sie den Kaiser Max gefangennehmen wollen; – „jetzt habt ihr meine Pläne, nun sprecht, habt ihr etwas dagegen oder seid ihr einverstanden?“

Nun, sagte Helene, darauf antwortet der erste Bürgermeister doch kurz und feurig: „Wir sind bereit, Dir zu folgen, sei es zum Sieg oder zum Tod!“

Aber wo bleibt Thea? Die sitzt in ihrer Garderobe und langweilt sich den ganzen Akt! Ich hab’s gleich gesagt: Arabella muß in diesem Akt mitspielen –

Aber wie kann sie das! rief Helene aus. Sie kann doch nicht von Aachen so ohne weiteres nach Brügge reisen; hat sie einen Grund? Und wer soll sich in Brügge in sie verlieben; das sind ja alles alte Leute –

Ach ja! seufzte Toni. Wir haben zu viel alte Leute im Stück. Auch dieser Franz von Sickingen – ich hatt’ mir gedacht, Donnerwetter, so ein berühmter deutscher Ritter, der wird Leben in die Bude bringen! Aber nun ist der auch schon ein alter Knacker! Denn er hat ja die Kaiserin Maria geliebt, die alte Dam’ mit ihrem erwachsenen Sohn, dem Philipp. Und wegen dieser alten Liebe will er sich an dem Kaiser rächen –

Aber das ist’s ja grade! fiel ihr Helene ins Wort, mit dem Federstiel über den Tisch fahrend. Jetzt kommt ja die Rache! Und in seinem großen Monolog, wenn er nun allein ist, erzählt er, wie es ihm damals gegangen und wie das alles gekommen ist; das wird ja furchtbar interessant! Du mußt nur nicht das Köpfchen gleich so hängen lassen. Im Wallenstein und im Egmont langweilt man sich auch; das haben alle historischen Schauspiele!

Na, dann meinetwegen, seufzte Toni. Dann schick’ aber nun endlich die alten Bürgermeister und die Ratsherren fort, damit Sickingen sich aussprechen kann. Dalli!

Die Kleine hatte dieses polnische Wort irgendwo aufgeschnappt, ohne es zu wissen; statt „Mach’ zu!“ oder „Hurtig!“ sagte sie gerne „Dalli!“

Dabei waren wir ja eben, erwiderte Helene und nahm ihren zweiten Akt – einen blauen Bogen Briefpapier – wieder in die Hand. „Also auf morgen, ihr Herren!“ sagt Sickingen. Die Ratsherren: „Auf morgen!“ Ratsherren exeunt.

Exeunt? Was ist das?

Das heißt: sie gehen ab. Bei Shakespeare in seiner englischen Muttersprache heißt es immer: exeunt.

Herrje, was Du alles weißt! – Also „exeunt“! – Toni schrieb das Wort mit einer gewissen Feierlichkeit und in ihren schönsten Buchstaben hin; ihre herausguckende Zunge schrieb mit.

So! sagte Helene aufmunternd, da sind wir bei der dritten Scene: Sickingen allein! – Ich weiß, was er jetzt zu sagen hat; laß mich mal diktieren, schreib’ nur ruhig mit! – Sie nahm eine finstere, höchst männliche Miene an und begann: „Es muß sein. Er hat es so gewollt. Weiß Gott“ – Nein, „weiß Gott“ ist für so einen Helden doch nicht vornehm genug; „weiß Gott“ laß nur fort! – „Endlich muß ich einmal meine Rache befriedigen. Rache, o, sie wird süß sein“ –

Gott sei Dank, rief Toni aus, jetzt wird’s wieder schneidig!

„Rache, o, sie wird süß sein“ … Hast Du das? – „Welch Leben hab’ ich hinter mir, an Gütern bin ich wohl reich, ich ward’s durch meine eigene Kraft, aber am Herzen bin ich so arm, so arm. Und wer war es, der dies verschuldet hat? Er. Max.“ – Siehst Du, Toni, nun kommt’s!

Ja, sagte Toni, in deren braune Augen wieder Feuer kam, nun geht’s los! – Aber es müssen auch Schlagworte hinein, Helene. Schlagworte haben wir zu wenig!

Ach, das wird schon werden; aber in diesem Monolog paßt sich das doch nicht. Sickingen regt sich ja furchtbar auf, indem er an seine Vergangenheit zurückdenkt; da muß er mehr abgerissen sprechen; manchmal findet er sogar die Worte nicht. Laß mich nur noch weiterdiktieren: „Wie hab’ ich ihn geliebt, wie einen Bruder. Und er erwiderte meine Liebe und innige Freundschaft verband uns bis“ – viele Punkte; er kann nicht weiter – „ja, bis zu dem Tag!“

Bis zu welchem Tag? fragte Toni, auf die Fortsetzung wartend, den Federstiel im Mund.

Das sagt er nicht, antwortete Helene. Mit einer aufgeregten Geberde wirft er das nur so hin – denn er weiß ja auch, was er meint –: „ja, bis zu dem Tag!“ Und dann: „O wenn ich noch daran denke, ich könnte ihn erwürgen mit meinen Händen“ – Hurra! rief Toni, die noch nie eine Fliege getötet hatte: jetzt kommt doch endlich Leben in die Bude! „Ihn erwürgen mit meinen Händen“ … Du, und dann muß er hinzusetzen: „und ich würde nicht zittern!“

Ja, das kann er thun. – Dann weiter! „Als ich Maria meine Liebe gestand“ – Hier bricht er wieder ab; viele Punkte. „Wie war ich selig, als auch diese erwiderte, ich wollte es Max noch nicht sagen, wir wollten das süße Glück noch allein genießen, und als ich ihm mein Herz offenbaren wollte, da“ –

Na? fragte Toni, da Helene verstummt war.

Nach diesen: „da“ kann er nicht gleich weitersprechen; es übermannt ihn, Toni. Er macht nur eine großartige Bewegung mit der Hand – Ja, aber wie’s gewesen ist, muß er dann doch sagen! „Ja“, fängt er wieder an – jetzt laß mich mal machen! – „ja, bevor ich zu ihm reden konnte, teilte er nur seine Verlobung mit Maria mit. War ich bei Sinnen? Träumte ich?“ – Schreib’ das nur hin! Das ist gut!

Helene nickte und schrieb. Er hat aber noch viel zu erzählen, warf sie während des Schreibens hin; darum sollte er recht kurz und abgerissen sprechen. Wie Maria kommt und die beiden Verlobten sich küssen, und wie schlecht dem armen Franz von Sickingen dabei wird; und daß sie nur aus Gehorsam gegen ihren Vater den Prinzen Maximilian genommen hat; und die ohnmächtige Wut in Franz. Und daß nun endlich der Tag der Rache da ist –

Ja, rief Toni mit gehobener Stimme, jetzt ganz in Sickingens Rolle vertieft und ihn zu Ende dichtend: Maximilian, die Stunde ist gekommen, der Rächer naht! – Aber nun muß er doch auch an Maria denken, die er so geliebt hat – er ist ja doch ein guter Mensch –

Na freilich, sagte Helene. Er kann ja dann „zusammenzucken“: „Aber sie, wird sie nicht mit darunter leiden?“ Dann rafft er sich aber wieder auf – weißt Du, wie die Männer sind –: „Nein, nein, ich will nicht weich werden; kalt will ich ihm gegenüberstehn“ –

Oder lieber noch ihm den Rücken wenden! fiel ihr Toni ins Wort. „Und wenn er mich anfleht, will ich ihm stolz den Rücken wenden und sagen: laß ab von diesen Bitten, sie sind vergeblich, Du hast einst mein Lebensglück vernichtet, dies ist die Rache!“ – –

Was hast Du denn? fragte sie, da Helene auf diesen großartigen Schluß des Monologs nichts erwiderte; es war sogar, als hätte sie gar nicht zugehört. Das feine Köpfchen auf die Seite gelegt, schien sie auf etwas andres zu horchen; ihre grauen Augen blickten nach unten, in den Fußboden hinein. Jetzt horchte auch Toni mit. Aus Rudolfs Zimmer, das unter dem ihren lag und in dem es bisher still gewesen war, kam immer heller und lauter lustiger Gesang herauf: ein Studentenlied. Es war Rudolfs Stimme, sie erkannte sie.

Aha! sagte Toni, zu Helene hinüberlächelnd. Darum so abwesend! – Er ist wohl eben nach Hause gekommen. – Er singt aber ziemlich falsch.

Ich liebe ihn! hauchte Helene.

Ich nicht! murmelte Toni. Hör’ doch, wie falsch er singt.

Ach, was thut das. – Es klingt so sonnig, so selig vergnügt. – S–s–süß!

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