Seite:Die Gartenlaube (1895) 531.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

ausgezeichnet hatte, daß ihn unser Major zur Beförderung zum Unteroffizier vorschlug und später zum Eisernen Kreuze eingab.

Die Beförderung konnte ich ihm einige Tage später selbst überbringen, denn ich war infolge der Schlacht von Wörth Bataillonsadjutant geworden, und als sie morgens beim großen Rendezvous durch Regimentsbefehl bekannt gegeben worden war, suchte ich sogleich meine alte Compagnie auf, um Tilmanns persönlich Glück zu wünschen. Ich konnte ihn nicht gleich finden, und so fragte ich den Feldwebel, der mir gerade in den Wurf kam:

„Sagen Sie ’mal Schmidt, wo ist denn unser ‚Drückeberger‘? Ich wollte ihm etwas sagen, kann ihn aber nirgends sehen. Sollte er vielleicht gerade mit der Chausseegrabenverzierung beschäftigt sein?“ Meine gutgemeinte Anspielung fand jedoch keinen Beifall, denn er antwortete mir steif militärisch mit mürrischem Ton: „Einen Drückeberger besitzt die Compagnie nicht! Wenn aber der Herr Lieutenant den Gefreiten Tilmanns meinen ...“

„Nein, Herr Feldwebel, ich meine diesmal den Unteroffizier Tilmanns!“

„Den Unteroffizier Tilmanns?“ und sein grämliches Gesicht fing an sich aufzuheitern. „Na, das freut mich, freut mich sehr, Herr Lieutenant. Der arme Junge! Ihm wird’s auch ein Trost sein. Na, verdient hat er’s jedenfalls!“

„Wo steckt er denn aber? Ich will es ihm selbst sagen und gratulieren. Wo finde ich ihn nur?“

„Auf dem Wagen, Herr Lieutenant!“ und Schmidt zog wieder sein grimmigstes Gesicht.

„Was? Auf dem Wagen? Haben Sie ihm also doch noch Achsen und Räder unter machen müssen? Und nun heißt’s wohl: Zurück zum ‚Schwamm‘! und zwar so fix als möglich?“

„Ja, leider, Herr Lieutenant, leider!“ er war ganz traurig geworden. „Es wird nichts andres übrig bleiben. Der arme Junge! Er ist krank, schon seit zwei Tagen. Dysenterie! Er hat sich nichts merken lassen wollen und hat sich mitgeschleppt – ich habe ihm abends immer Glühwein und Bouillon gebracht, aber es hat nichts geholfen, er hat’s nicht bei sich behalten können. Heute ging’s nicht mehr, wir haben ihn auf den Wagen legen müssen, und morgen früh muß ich’s dem Stabsarzt melden. Dann heißt’s: Zurück! – er mag wollen oder nicht!“

Bisher hatte ich nicht an etwas Ernsthaftes geglaubt und hatte scherzen können, jetzt aber wurde ich besorgt.

„Gehen Sie rasch zu ihm, Schmidt. Ich hole den Stabsarzt!“

Wir fanden den neuernannten Unteroffizier auf dem Wagen in Krankendecken gehüllt, fürchterlich schwach, sonst aber in munterer Stimmung.

„Ich habe doch noch meine eigene Equipage bekommen, Herr Lieutenant,“ meinte er mit mattem Lächeln, als ich ihm die Hand schüttelte, „und, nicht wahr, Herr Stabsarzt, Sie schicken mich nicht zurück zum Ersatzbataillon? In einem, höchstens zwei Tagen bin ich wieder gesund!“ Allein der Arzt schüttelte den Kopf: „Wollen sehen – wollen sehen! – Gratuliere übrigens zum Unteroffizier. – Komme heute abend nochmal nachsehen im Quartier.“

Am anderen Morgen standen der Feldwebel und ich Abschied nehmend neben dem Leiterwagen, welcher den Unteroffizier Tilmanns zurück nach dem ersten Lazarett bringen sollte.

„Nun muß ich also doch zurück zum ‚Schwamm‘!“ sagte der Kranke traurig. „Sie haben recht behalten, Herr Feldwebel!“

„Machen Sie sich nichts daraus, Herr Unteroffizier. So tüchtige Leute, wie Sie, können sie auch beim Ersatz gut brauchen,“ tröstete dieser und „Auf Wiedersehen in Mainz!“ grüßte ich, denn der Wagen zog an.

„Ich komme wieder!“ klang noch seine schwache Stimme durch das Rollen der Räder, dann war „unser Drückeberger“ verschwunden.

Wiedergesehen habe ich ihn im Laufe des Feldzuges nicht mehr, denn wenn er auch wieder zur Compagnie kam, als das Regiment vor Paris lag, so war doch ich damals abkommandiert und im Januar 1871 wurde er bei einem Nachtgefecht verwundet, so daß er zum zweitenmal nach Mainz geschickt wurde und den Rückmarsch nicht mitmachte. Als sich aber am Morgen des 8. Juli 1871 das Regiment am Chausseehaus zu Mariaborn zum feierlichen Einzug in seine alte Garnison Mainz aufstellte, da war auch der Vicefeldwebel der Reserve Tilmanns erschienen, um in den Reihen der Compagnie, mit welcher er ausgerückt war, an den Ehren der Einzugsfeierlichkeit teil zu nehmen.

Am Abend desselben Tages aber saßen drei mit dem Eisernen Kreuze Dekorierte noch sehr spät bei einer guten Flasche echten alten Rheinweins beisammen, und diese Drei waren der Feldwebel Schmidt, meine Wenigkeit und der Vicefeldwebel Tilmanns, welch letzterer am nächsten Tage abreisen wollte, um seine unterbrochene Lehrthätigkeit wieder aufzunehmen. Heute indes bewies er uns noch, daß Schmidt nicht unrecht gehabt, wenn er von einem strammen Soldaten verlangte, daß er auch „’nen strammen Schtiebel“ vertragen müsse. Mein letzter Trinkspruch damals aber hatte gelautet: „Auf das zukünftige Wohlergehen unseres lieben wackeren Drückebergers mit dem Eisernen Kreuze!“ Meine späteren Erinnerungen sind nicht ganz klar, und wenn ich auch bestimmt weiß, daß der alte Feldwebel noch eine sehr lange Rede gehalten hat, so kann ich doch über deren mutmaßlichen Inhalt keinerlei Aufzeichnungen in meinem Kriegstagebuch finden.



BLÄTTER UND BLÜTEN.


Wieder ein Wort für Jugend- und Volksspiele. „Die Zeit ist hoffentlich nahe, wo die Beschaffung großer Spiel- und Uebungsplätze als gleich wichtig und gleich notwendig erscheinen wird wie Wasserleitung und Kanalisierung, erscheinen wird als eine Ausgabe, die durch Hebung der Gesundheit, der Arbeitskraft und der Arbeitsfreudigkeit unseres Volkes reichliche Zinsen zum Wohle des Ganzen tragen wird!“

Wie treffend wird durch diesen Ausspruch des verdienten Bonner Arztes Dr. F. A. Schmidt die Bedeutung der Bewegungsspiele in Gottes freier Natur gekennzeichnet! Fürwahr, die großartigen Wasserleitungs- und Kanalisationsanlagen schützen uns nur vor den Verheerungen einiger epidemischen Krankheiten, wie Typhus und Cholera; sie sind darum äußerst wertvoll und unentbehrlich, aber man muß dabei nicht vergessen, daß auch in einer mit dem besten Trinkwasser, mit den größten Reinigungsanstalten versorgten Stadt die Schwindsucht an dem Marke der Bevölkerung nagen, die Bleichsucht Tausende jugendlicher Einwohner schwächen und das Heer der Nervenleiden das Glück so vieler Familien zerstören kann. Das moderne Kulturleben, namentlich in den Städten wird verhängnisvoll durch seinen entnervenden Einfluß, es zeitigt die Leiden, die eine sitzende Lebensweise, Aufenthalt in weniger reiner Luft mit sich bringt; es macht die Menschen frühzeitig alt und siech. Dagegen giebt es kein anderes Heilmittel als die Bewegung in freier Natur.

Das hat unser nervös und bleichsüchtig gewordenes Geschlecht wohl erkannt, und wenn der Sommer kommt, da fliehen Tausende und Abertausende aus den Städten in die Stille der Wälder und auf Bergeshöhen oder an den brandenden Meeresstrand. Wie wichtig und segensreich die Erholung in der Sommerfrische ist, für das Volkswohl erweist sie sich unzulänglich; denn erstens können nicht alle Ferien machen und zweitens genügt sie nicht für die volle Erhaltung der Spannkraft und Frische: nicht das, was wir während vier und sechs Wochen im Jahre thun, sondern wie wir in jeder Woche des Jahres leben, bedingt unser Wohlsein. Darum sollte der Kulturmensch in jeder Woche, zu allen Jahreszeiten an den Jungbrunnen gehen und Stärkung suchen: durch reichliche Bewegung in freier Luft. Ein Ausflug, ein Spaziergang bringt schon viele Vorteile, aber durch das Gehen werden nur einzelne Muskelgruppen in Thätigkeit versetzt – das genügt wieder nicht: denn der ganze Körper verlangt Bewegung, Uebung und Erfrischung und das kann nur durch Bewegungsspiele erzielt werden.

Es ist darum durchaus keine Uebertreibung, wenn man von der Einführung der Jugend- und Volksspiele die leibliche Wiedergeburt unseres Volkes erhofft und in ihnen das beste Schutzmittel gegen den entnervenden Einfluß des modernen Kulturlebens erblickt. Die vor dreizehn Jahren eingeleitete Bewegung für Einführung dieser Spiele hat erfreulicherweise an Stärke und Ausdehnung zugenommen und ist vor allem der Schuljugend vieler Städte zu gute gekommen. Wir sind aber noch über die ersten hoffnungsvollen Anfänge nicht hinaus. Darum sollten wir in dem Bestreben, diese Spiele zur Volkssitte zu machen, nicht erlahmen und dieselben in immer weitere Kreise tragen.

Jüngst hat nun der „Central-Ausschuß zur Förderung der Jugend- und Volksspiele in Deutschland“ einen Aufruf an die deutsche Studentenschaft zur regeren Beteiligung an diesen Bestrebungen erlassen, dem wir den besten Erfolg wünschen. Außerdem hat er „Allgemein unterrichtende Mitteilungen“ über diesen Gegenstand herausgegeben, in welchen unter anderem auch die Notwendigkeit der Heranziehung der gewerblichen sowie kaufmännischen Jugend zu diesen Spielen betont wird. In der That ist diese Jugend in gewissem Sinne eine verlassene und mehr als jede andere während der Feiertagszeit den mannigfachen Verführungen des städtischen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 531. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_531.jpg&oldid=- (Version vom 19.7.2023)