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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

daß ich über Thea Schüler abgeurteilt habe, ohne sie genügend zu kennen. Das kann ich nicht auf mir sitzen lassen. Damit fängt die Sache an! Ich lerne sie also besser kennen. Ich besuche sie. Ich, als Rudolf Volkmars Vater. So lange, bis ich sagen kann –

Vater! Das willst Du thun?

Unter einer Bedingung! Daß Du mir eine Woche volle Freiheit giebst. Mit andern Worten: daß Du mir gelobst, eine Woche lang Thea nicht zu sehen; weder hinzugehen, noch ihre Wege zu wandeln, noch zuzuschauen, wenn sie spielt. Ihr auch nicht zu schreiben. Eine Woche ist sie für Dich wie auf dem Mond. Du lebst so lange nur für die Schule und für Dein Examen!

Gewiß, Vater, sagte Rudolf zögernd, etwas unsicher. Wenn Du –

Wenn ich unterdessen mich meiner Aufgabe widme, Thea besser kennenzulernen. Ja, das werd’ ich thun! – Ich hab’ meinen Jungen nie getäuscht, das weißt Du; auch nicht aus Erziehungsjesuiterei. Wie Du Wahrhaftigkeit lernen solltest, hast Du sie empfangen ... Also abgemacht. Ich lese das Buch Thea; mit redlicher Gründlichkeit. Du lies’st Homer und Horaz. Nach einer Woche sprechen wir uns wieder.

Vater! Vater! Du bist –

Statt schwache Worte zu sagen, die ihm nicht genügten, warf Rudolf sich dem Vater an die Brust und umschlang ihn mit aller Kraft seiner Turnerarme. Verzeih! stieß er dann ungelenk heraus. Daß ich einen Augenblick zweifeln konnte ... Du, mein bester Freund!

Abwarten, wie es endet, mein Alter! sagte Volkmar, voll Liebe lächelnd. Wir werden beide thun, was wir können. Nun verlaß mich aber, ich hab’ viele Briefe zu schreiben und auch sonst zu schaffen! (Fortsetzung folgt.)


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Ein Theaterdirektor der alten Schule.

Nichts ist ruhebedürftiger als das Theater, nichts vergeßlicher als das Publikum! Daher verschwinden so rasch die Namen der Intendanten und Direktoren, welche eine Zeit lang in aufdringlicher Weise fast alltäglich die Blätter füllen, und vielgenannten Künstlern und Künstlerinnen geht es nicht besser, wenn nicht namhafte Schriftsteller ihr Charakterbild in ihren Werken aufbewahren. Heutzutage lebt zwar ein Laube, ein Dingelstedt noch im Gedächtnis der Zeitgenossen; aber von andern gleichzeitigen Direktoren weiß die Chronik der Gegenwart nichts mehr zu erzählen; sie hat zu viel über die Bühnenleiter zu berichten, welche jetzt das Steuerruder in der Hand haben und durch ihre Unternehmungen, ihre Thaten und Leiden die Tagespresse beschäftigen. Wenn ich so das Album der von mir persönlich gekannten Theaterdirektoren durchblättere, so taucht das Bild eines jetzt fast vergessenen Mannes vor mir auf, der seiner Zeit viel genannt und viel gescholten wurde, aber viel besser war als sein Ruf Er gehörte zu den gefürchteten Direktoren, und viele Musenjünger schlugen ein Kreuz, ehe sie sich ihm anvertrauten: ich meine Arthur Woltersdorff, der länger als zwei Jahrzehnte das Theaterscepter in der Pregelstadt Königsberg schwang. Die Blütezeit seiner Direktion war ihr erstes Jahrzehnt, vom Beginn der vierziger bis zu demjenigen der fünfziger Jahre. damals, etwa seit 1845, stand ich ihm eine Zeit lang als junger Dramaturg zur Seite. Ich hatte mein juristisches Doktorexamen gemacht, aber aus politischen Gründen nicht die Erlaubnis erhalten, Vorlesungen an der Universität ankündigen zu dürfen. So nahm ich diese Stellung an, durch welche ich gründlich in das Theaterwesen eingeweiht wurde; denn ich war als Dramaturg nicht das fünfte Rad am Wagen, wie das bei heutigen Dramaturgen oft genug der Fall ist; ich hatte nicht bloß die neu eingehenden Stücke zu lesen, sondern auch die Leseproben zu leiten, mich an den Theaterproben zu beteiligen und den Direktor in seiner Abwesenheit zu vertreten, was für einen zweiundzwanzigjährigen jungen Mann immerhin keine leichte Aufgabe war.

Arthur Woltersdarff entstammte einer vermögenden Königsberger Patricierfamilie, deren kaufmännisches Ansehen anfangs noch von seinem Vater und seinem Onkel aufrecht erhalten wurde. Die drei stattlichen Figuren, besonders wenn sie festlich mit hohen weißen Halsbinden erschienen, bildeten ein imponierendes Kleeblatt. Unsere jetzigen Direktoren sind, abgesehen von den Hoftheaterintendanten, zu denen ja mit wenigen Ausnahmen nur Kavaliere gewählt werden, meistens aus dem Kreise der Künstler selbst hervorgegangen: wir brauchen hier nur an Stägemann, Claar, Angelo Neumann, Barnay, Possart zu erinnern, oder es sind Schriftsteller wie L’Arronge, Blumenthal, Brahm und Müller-Guttenbrunn. Daneben giebt’s an kleineren Bühnen noch allerlei Sorten von Geschäftsmännern, die jetzt den Thespiskarren kutschieren, Agenten, Restaurationsbesitzer etc. Woltersdorff war weder Künstler, noch Schriftsteller; er war früher in keiner Weise mit dem Theaterleben verwachsen gewesen; er hatte die Rechte studiert und war wohlbestallter Referendar, als er die Leiwng der Königsberger Bühne in die Hand nahm, nur als Theaterfreund und aus Neigung für die selbständige Verwaltung irgend eines größeren Unternehmens. Eine vollkommene akademische Bildung war damals eine Seltenheit bei Theaterleitern und ist es auch noch heutzutage. So hatte er auch Vertrauen in sein eigenes Urteil und damit hing einer seiner Vorzüge zusammen, den er vor vielen Direktoren voraus hatte: er las die eingehenden Stücke selbst, und wenn ihm eines gefiel und er sich Erfolg versprach, so ließ er es alsbald in Scene gehen, ohne erst hinzuhorchen, ob dasselbe an dieser oder jener „tonangebenden“ Bühne gegeben worden und welche Aufnahme es dort gefunden habe. Er hat, besonders in der Blütezeit seiner Direktion, manches Stück zuerst zur Aufführung gebracht, welches nachher die Runde über die Bühnen machte. Vor den namhaften dramatischen Schriftstellern hatte er großen Respekt und suchte sie bei seinen Reisen durch Deutschland gern persönlich auf. Er wurde zwar von vielen Seiten als ein uncivilisierter Bär verschrieen, aber er war im Grunde ein sehr gebildeter Mann und konnte darin vielen seiner Kollegen, die sich eines weit besseren Rufes erfreuten, einige Punkte vorgeben.

Jene üble Nachrede des Bärenhaften hatte er sich wohl am meisten durch die Art seines Verkehrs mit den Schauspielern zugezogen. Er verkehrte mit ihnen weder als wohlwollender Vater, noch als gleichstrebender Freund, sonderm ausschließlich als unbeschränkter Herrscher, nur die rauhen gleichsam zottigen Seiten seines Wesens stellte er ihnen gegenüber ans Licht. Es war dies teils Grundsatz, denn er meinte, so mit den Herren und Damen von der Kunst, von denen er keine sonderlich hohe Meinung hatte, am besten auszukommen, teils lag’s in seiner Eigenart, sich in seinen oft etwas gewaltthätigen Launen behaglich gehen zu lassen. Auch fühlte er sich als reicher Mann, als zahlende Großmacht den bezahlten, in seinen Taubenschlag herein- und wieder aus ihm herausflatternden Kunstjüngern sehr überlegen. Alle Chikanen, jeden sich auflehnenden Eigensinn glaubte er mit eisermem Fuß niedertreten zu müssen. Da war sein Ton oft kurz angebunden und barsch, und nach einigem Stottern kam es dann zu der beliebten, fast sprichwörtlich gewordenen Schlußwendung seiner Reden: „Am Ende aller Enden“. Doch blieb er im ganzen stets gerecht und unparteilich und hatte über die Leistungen seiner Schauspieler und Sänger ein gutes Urteil. Die hervorragenden wurden von ihm öfters des Abends zum Thee in seine Junggesellenwirtschaft eingeladen. Sein Kopf war immer voll von Plänen, neuen Stücken, neuen Besetzungen, neuen Gastspielen, und er liebte es, darüber in diesem Kreise sich auszusprechen. Der Thee wurde manchem durch kritische Bemerkungen über seine letzten Leistungen nicht gerade versüßt.

An diesen Abenden zeigte es sich, daß er ganz im Theater aufging, nur gelegentlich schweifte die Unterhaltung auf das Gebiet der Tagespolitik ab. Auch hier war er unabhängig in seinem Urteil und ließ sich durchaus nicht von der ostpreußischen liberalen Bewegung mit fortreißen. Am interessantesten wurde die Unterhaltung, wenn berühmte Gäste zugegen waren. Und daran fehlte es niemals an der Königsberger Bühne. Woltersdorff wußte sie heranzuziehen. Wen haben wir nicht damals, im ersten Jahrzehnt von Woltersdorffs Direktion, in der Pregelstadt gesehen! Die geniale Schröder-Devrient, Emil Devrient, den Liebling der Musen und Grazien, seinen Bruder Karl, dessen Spiel so reich war an

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 522. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_522.jpg&oldid=- (Version vom 17.4.2024)