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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Ach, Sie können’s ja schon! erwiderte Rudolf, dem noch ein harter, enger Reif um die Brust lag. Sie lernen so wunderbar geschwind!

Ja, die brotlosen Künste, die – – Aber es klingt so lieb, wenn Sie so ’was sagen. Ihnen muß man alles glauben; so ein märchenhaft unverdorbenes Gesicht! – Wissen Sie, Ihr Vater – den hab’ ich gestern wieder gesehen; der ist doch ganz anders als Sie. Kleiner, und dunkel, und so gar nicht Ihr Geschau –

Und doch lieben wir uns sehr, sagte Rudolf lächelnd.

Sie beugte sich vor: O, das weiß ich schon! Das ist ja ’ne bekannte Geschicht; wie man sagt: „stadtbekannt“! – Eigentlich ist’s beleidigend für unser Geschlecht: Sie sollen gar niemand so lieb haben wie den Herrn Papa. Ist das ganz gewiß wahr?

Sie blickte ihn forschend an; die lichtbraunen, glänzenden Augen beengten ihn sehr, sie zogen ihm förmlich das Blut in die heißen Wangen. Vor drei Tagen war es noch wahr! stieß er mit einem raschen Entschluß heraus.

Ah! sagte sie; ihre starken, kurzen Brauen gingen in die Höhe. Ein Lächeln überflog sie. Dann bewegte sie auch die rundlichen Lippen, als wollte sie sprechen; es ward aber nichts. Statt dessen erhob sie sich, und in ihrer gemütlich-trägen, anmutigen Weichheit ging sie an ihm vorbei, ins Zimmer hinein; legte aber unterwegs eine Hand auf seine Schulter und ließ sie eine Weile so. Die warme, herzhafte Berührung fuhr ihm durch die Glieder. Als sie zum Schreibtisch kam, lehnte sie sich rückwärts an ihn, so daß sie die bärtigen Photographien verdeckte, und blickte den Jüngling zutraulich mit fast kindlichem Lächeln an. Also Ihr Vater ist Ihnen so gut? – Er hat auch Recht, wissen Sie.

Ob er Recht hat, weiß ich nicht, antwortete Rudolf, dem wieder das Blut in die Wangen schoß; aber er ist mir furchtbar gut; – wenn auch wohl nicht so, wie ich ihm.

Ah! Sie ihm noch mehr?

Ich glaub’s! – Ich konnt’ noch nicht lesen, da hatt’ ich leider schon keine Mutter mehr. Die Tante – die war keine Mutter und die ward auch keine. So war er mir alles! Und wenn man so ganz mit Liebe erzogen wird … Ohne einen Schlag. Nur immer mein Ehrgefühl geweckt und mein Pflichtgefühl; auf mein Herz gewirkt und auf meinen Verstand –

So war mein Vater nicht! unterbrach sie ihn. Der hat mich geschlagen – und wie. So lang’, wie er konnte. Furcht sollt’ ich haben; Furcht! – Ja, mein lieber Herr Rudolf, mir ist’s anders gangen. Ja, hätt’ ich einen Vater gehabt wie Sie – „nur mit Liebe“ … O, das muß göttlich sein!

Ihre Augen gingen zur Decke. Sie waren feucht geworden und hatten einen so rührenden Glanz, daß er’s kaum ertrug. Selbst als Marianne in den „Geschwistern“ hatte sie ihn nicht so gerührt, war sie nicht so lieblich. Er seufzte auf, ohne es zu wissen.

Das muß göttlich sein, wiederholte sie leiser. – Ihr Vater thut also alles, was Sie wünschen?

O nein! antwortete er, in aller Bewegung doch ein wenig lächelnd. Wie können Sie nur denken … Er hat ja immer gewußt, was er mit mir will; und was er gewollt hat, dabei ist er geblieben. Zuletzt hat er aber erreicht, daß ich’s selber wollte. Denn das war ja seine Absicht: mich zu überzeugen

Ja, ja, fiel sie ihm ins Wort; diese Auseinandersetzung ward ihr langweilig, wie es schien. Also ein Mustervater; und ein Mustersohn … Was wollen Sie nun werden? Student?

O ja; aber –

Was wollen Sie studieren?

Das ist eben das Tragikomische: ich weiß es noch nicht. Ich taumle noch so hin und her.

Taumeln! Das ist drollig!

Ich meine: mich zieht dies und das. Kein bestimmter, angeborner Beruf … Sie gingen zum Theater, Sie hatten das Talent; das war selbstverständlich. Mein Vater ging zur Litteratur; das war selbstverständlich. Aber ich – ich hab’ nichts als Träume. Weltverbesserung. Einen reineren Gottesglauben verbreiten (er errötete, daß er davon zu dem Mädchen sprach). Meinen Brüdern, den Menschen, Gutes thun; womöglich etwas Großes … Das alles studiert man aber nicht. Das sind keine „Fächer“. So werd’ ich denn wohl zunächst unter die sogenannten „Philosophen“ gehn und von allerlei etwas –

Da brauchen Sie aber Geld, unterbrach sie ihn wieder. Haben Sie so viel Geld?

Reich ist mein Vater nicht, antwortete Rudolf; aber er hat Geld. Er erwirbt ja auch. Und für seinen einzigen Sohn giebt er alles. Fehlen wird mir nichts.

Thea hatte die Hände auf dem Tisch, sie saß halb auf ihm. Jetzt richtete sie sich auf; ich bin arm! sagte sie lachend. Schulden wie Haare auf dem Kopf! – Sie griff in ihre üppige braune „Perücke“.

Ihr Lachen ging ihm fast mehr ans Herz, als wenn sie über ihre Armut geweint hätte; vor Mitleid stand er ganz verlegen da. Wie dürfen Sie – Sie – arm sein, stotterte er hervor. Ein Wesen wie Sie; ein so geniales –

Ach, hören Sie auf, sagte sie und hielt sich die Ohren zu; gar nicht genial. Nur ein armes Lumperl – das auch seine „Träume“ hat – o ja, mein Herr, so gut wie Sie – es wird aber nichts draus. O ja, hab’ auch meine Träume …

Sie ging zum Fenster und sah in das wilde Schneetreiben hinaus. Wie weiße Wolken stiebte es vorüber; dann war’s wieder, als werde oben ein Mehlsack ausgeschüttelt. Der Wind schlug zuweilen ans Fenster, als ziele er nach Theas Gesicht. Darüber lachte sie wieder auf; es klang aber schrill, ohne Lustigkeit.

Fräulein Thea! fragte er etwas zaghaft, neben sie getreten.

Was sind das für Träume? – Wollen Sie mir’s sagen?

Sie schüttelte den Kopf. Sie blickte ihn aber jetzt wie forschend von der Seite an; als denke sie über ihn nach; als gehe ihr etwas durch den Sinn. Was für ein feines Profil dieser Jüngling hat! sagte sie in ihrer gemütlichen Aufrichtigkeit. Hm! – Also so ein Vater! „Für seinen einzigen Sohn giebt er alles“. Das that meiner nicht! Durchgehn hab’ ich müssen, als ich zum Theater wollte; und ohne einen Kreuzer von ihm. Ja, ja, lieber Herr; – beim Theater heißen sie mich die Durchgängerin; zweimal bin ich auch ausgekniffen. Die Leute sagen: noch öfter; aber das ist nicht wahr! – Das erste Mal lief ich meinem Alten fort, zur Bühne, als blutjunges Ding; allein. Das zweite Mal ein paar Jahre später – als mein Direktor mich knechten, ausbeuten, schinden wollte – und noch sonst allerlei – da ging ich mit einem Andern durch, der mir beistand; vom Theater war er nicht … Na ja. So, nun wissen Sie’s. Das war die einzige große Dummheit meines Lebens … Verachten Sie mich darum?

Wie könnt’ ich Sie je verachten, gab Rudolf zur Antwort, so geschwind er die Worte fand; obwohl ihm ein schmerzhaft eifersüchtiges Gefühl Brust und Kehle drückte. Ueberhaupt – eine Künstlerin! Die lebt ja doch ein andres Leben als die jungen Mädchen. Die soll alles verstehen, nicht wahr. All die Leidenschaften, die die Dichter schildern – und die sie darstellen soll – wie kann sie das, wenn sie nichts erlebt!

Den Kopf auf die Seite legend, sah Thea ihn verwundert an. Schau, schau! sagte sie. So jung und schon so gescheit! – Mein lieber Herr Rudolf, so reden die Andern, die Philister nicht –

Aber ich! warf er mit einem treuherzig stolzen Lächeln hin.

Wie kommen Sie denn zu solcher Einsicht –

Durch meinen Vater, fiel er ihr ins Wort. Wenn er vom Theater sprach … Der denkt sich so hinein, in alles. – Von dem lern’ ich so viel!

Hm! murmelte sie, immer nachdenklicher. Also solch ein Vater … So sieht er aber auch aus; wie ein Künstler und wie ein Professor; sehr interessant. – Der wundert sich also auch nicht, wenn so ein armes Mädel beim Theater – –

Sie sprach’s nicht zu Ende, sie ging ins Zimmer zurück. Er sah ihr mit sonderbar trunkenen, verschleierten Augen nach; ihr lieblich träg wiegender Gang entzückte ihn mehr als das edle Dahinschreiten einer Königin. Ach könnt’ ich ihr helfen, dachte er. Könnt’ ich ihr etwas zuliebe thun. „So ein armes Mädel beim Theater“, sagt sie. O könnt’ ich sie glücklich machen!

Er nahm all seinen Mut zusammen; Fräulein Thea! sagte er, als sie sich wieder in die Sofaccke hingeworfen hatte. Sie nennen mich „gescheit“ – und haben doch kein Vertrauen zu mir. Das ist niederdrückend. – Er lächelte, so gut er konnte. Wenn ich Sie nach Ihren „Träumen“ frage, so schütteln Sie nur den Kopf. Ich möcht’ Ihnen aber trotz meiner Jugend so gern – so gern –

Was? fragte sie, da er stockte. Helfen?

Er nickte. Er zuckte dann die Achseln, wie im Gefühl seiner Schwäche. – Alles! stieß er heraus. Alles, was ich kann!

Ein Blick fuhr ihr aus den Augen, ein verwunderter, der ihm durch und durch ging. Ihre Stirn bewegte sich, als dächte

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