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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Solche Forderungen lassen sich nun leicht niederschreiben, sind aber im praktischen Leben ungemein schwierig zu erfüllen. Wir wollen sie auch etwas abmildern und den Müttern die äußerste Reinlichkeit in der Haltung ihrer Kleinen aus Herz legen. Wird diese beobachtet, so ist das Menschenmögliche geschehen.

Beobachtet man im täglichen Leben, wie kleine Kinder gewartet werden, so muß man allerdings zu der Ansicht gelangen, daß gerade auf diesem Gebiete große Fehler begangen werden. Schon die jungen Mütter aus besseren Ständen haben selten die zu einer rationellen Kinderpflege nötigen Vorkenntnisse; naturgemäß fehlt es ihnen auch an Erfahrung und gar oft können sich die Kleinen glücklich schätzen, wenn in einem Haushalte eine alte erfahrene Großmutter der jungen Frau zur Seite steht. Schlimm ist es aber, wenn die Pflege der kleinen Kinder alten Kinderfrauen, die ohne jede Bildung sind, oder jungen Mädchen anvertraut wird. Die letzteren versichern zwar in der Regel, daß sie „Liebe zu Kindern“ mitbringen, aber diese meist recht fragliche Liebe genügt durchaus nicht. Dr. Volland hat darum recht, wenn er die Forderung aufstellt, man sollte in Zukunft in besonderen Anstalten auch Kinderpflegerinnen ausbilden. Dieselben müßten mit den Grundsätzen der Kinderhygiene vertraut gemacht werden, und, zweckmäßig unterrichtet, würden sie wohl imstande sein, die Verbreitung ansteckender Krankheiten in der Kinderwelt zu verhüten. Außerdem würde ihre Thätigkeit auf dem Gebiete der Säuglingsernährung, der Hautpflege und auch der ersten Erziehung sehr günstig sein. In wohlhabenden Familien würden gute geprüfte Kinderpflegerinnen, die Lust und Liebe zu ihrem Beruf hätten, sicher lohnende Stellungen finden, und ein anderer Teil derselben könnte sich in Kinderhorten, in welchen die Kleinen der wenig bemittelten Stände zeitweilig verpflegt werden müssen, nützlich erweisen. Die Ausführung des Gedankens würden wir mit Freuden begrüßen, würde doch dadurch der Frauenerwerb erweitert werden, und zwar nach einer Richtung hin, die der Natur und dem Charakter des Weibes so sehr zusagt.

Wir betonen dabei, daß die Ausbildung der Kinderpflegerinnen eine derartige sein müßte, daß sie das gesamte Gebiet der Kinderhygiene umfaßte; denn nur alsdann wurden dieselben dazu beitragen können, der Verbreitung von Leiden, die als Geißeln unseres Kulturgeschlechtes zu betrachten sind, Einhalt zu gebieten.

Es wäre ja ein gar schwerer Irrtum, wenn man meinen wollte, daß die Verhütung der Ansteckung lediglich durch Abwehr der unsichtbaren Bacillen zu erstreben sei.

Bei weitem wichtiger ist es, den Körper der Kleinen gesund zu erhalten und derart zu stärken, daß er den Kampf mit den Krankheitserregern siegreich zu überwinden vermag. In dieser Hinsicht bestehen auch im Hinblick auf die Skrophulose die alterprobten hygieinischen Grundsätze zu Recht. Wir müssen die Pflege und Ernährung der Kinder derart einrichten, daß in ihnen keine Anlage zur Skrophulose erzeugt wird, und das können wir wohl, da uns die Ursachen dieses Leidens bekannt sind.

Skrophulös werden Kinder, die vom frühesten Alter an unzweckmäßig ernährt werden, die keine Mutterbrust und wenig Kuhmilch erhalten, dafür aber mit allerlei Mehlbrei aufgepäppelt werden. Skrophulös werden Kinder, die nach dem Säuglingsalter zu früh an der Kost der Erwachsenen teilnehmen, mit Brot und Kartoffeln, mit überwiegender Pflanzenkost gefüttert werden. Gefördert wird ferner die Anlage zu diesem schlimmen Leiden durch Mangel an reiner frischer Luft, Aufenthalt in dumpfen feuchten Wohnungen, Vernachlässigung der Hautpflege. Wo diese Unterlassungssünden in der Kindererziehung begangen werden, da wächst ein geschwächtes Geschlecht heran, dessen Körper mehr oder weniger baufällig, dessen Stoffwechsel träge ist. Solche Kinder haben leicht verletzbare, widerstandslose Haut, leiden leicht an Ausschlägen, Nasen-, Rachen-, Augen- und Ohrenkatarrhen; sie haben eine skrophulöse Anlage und sind höchst empfänglich für Ansteckung mit Tuberkelbacillen, die sich in den Drüsen niederlassen und von dort aus den ganzen Körper bedrohen. Vermeidet man in der Kinderpflege solche Schäden, so verhütet man mit großer Sicherheit die Entwicklung der skrophulösen Anlage und die Empfänglichkeit für die Tuberkulose; ja mit diesen einfachen hygieinischen Mitteln vermag man Kinder, die von ihren Eltern die krankhafte Anlage ererbt haben, über die ihnen drohenden Gefahren hinwegzuleiten und sie zu gesunden Menschen heranzuziehen.

Und wenn dennoch der tückische Feind das Kind befallen, wenn sich die ersten Anzeichen der Skrophulose und anderer Erkrankungen der Drüsen zeigen sollten, dann soll man nicht verzagen, sondern die diätetischen Heilmethoden in energischerer Weise zur Anwendung bringen. Je frühzeitiger dann das Kind der Kur unterworfen wird, desto sicherer ist die Aussicht auf Erfolg. Und worin die Kur besteht, das ist heute zur Genüge bekannt. Groß sind ja die Erfolge, welche von unseren Heilstätten für skrophulöse Kinder jahraus jahrein erzielt werden, und was dort den Kranken geboten wird, das sind weniger Arzneien, als gute, zweckmäßige Ernährung, Licht und Luft, Bewegung in frischer Gebirgs- oder Seeluft, den Stoffwechsel anregende und kräftigende Sool- oder Seebäder!

Leider sind diese diätetischen Heilmittel, wie einfach sie erscheinen mögen, nicht für alle erschwingbar. Wie viele Familien sind nicht an die engen Wohnungen der Städte durch Erwerbsverhältnisse gebunden! Sie können ihren geschwächten Kindern die Wohlthat eines Aufenthaltes im Gebirge und auf dem Lande nicht gewähren! Aber auch für diese, die da hart mit der Lebensnot ringen, hat der gemeinnützige Sinn unseres Jahrhunderts zu sorgen gewußt. In den Kinderheilstätten finden auch Unbemittelte Aufnahme und durch mildthätige Gaben wird es möglich gemacht, daß jährlich Tausende armer Kinder die Ferienkolonien aufsuchen. Durch diese gemeinnützigen Schöpfungen werden die Erzfeinde, die in inniger Bundesgenossenschaft am Marke des Volkes nagen, die Skrophulose und die Tuberkulose, am nachdrücklichsten bekämpft und sozusagen im Keime erstickt. Es sollten darum diesen Unternehmungen die reichsten Hilfsmittel zufließen.

Der Sommer ist eingezogen in Deutschlands Gauen. Er bringt die Zeit, in der Tausende und aber Tausende geknickter Kinderblumen sich im heiteren Sonnenschein zur Lebensfreude emporzurichten vermögen. Nützen wir ihn, und wer es irgend kann, der gebe sein Scherflein zu dem großen Werke der Volksverjüngung und Volksstärkung, der fördere mit That und Beitrag unsre Kinderheilstätten und Ferienkolonien! M. Schütz.     



Blätter und Blüten.



Anna Boleyn und Kardinal Wolsey. (Zu dem Bilde S. 497.) Das Bild W. von Lindenschmits, des jüngst verstorbenen Münchener Historienmalers, stellt uns zwei der interessantesten Persönlichkeiten aus jener Epoche der englischen Geschichte dar, welche durch die Schreckensherrschaft Heinrichs VIII. ihr Gepräge erhielt. Die liebreizende junge Dame ist Anna Boleyn, des gekrönten Blaubarts zweite Gemahlin, eine Enkelin des Herzogs von Norfolk, die am französischen Hofe erzogen worden war und nach ihrer Heimkehr Hoffräulein der Königin Katharina, der ersten Gemahlin Heinrichs, wurde. Der König entbrannte in heftiger Leidenschaft für sie; doch sie erwiderte dieselbe nur um den Preis der Krone. Sie war verlobt mit dem Grafen von Northumberland; diese Verlobung wurde aufgehoben, und als sich Papst Clemens VII. weigerte, die Scheidung des Königs von Katharina zu genehmigen, vollzog dieser sie aus eigener Machtvollkommenheit. Anna bestieg 1532 den Thron und wurde später die Mutter jener Elisabeth, der als selbstregierender Königin eine so glänzende Laufbahn beschieden war. Doch der launische König blieb auch dieser zweiten Gemahlin nicht treu; eine neue Leidenschaft hatte sich seiner bemächtigt; ergebene Hofleute und feile Richter standen ihm hilfreich zur Seite, als es galt, Anna Boleyn aus dem Wege zu räumen. Sie wurde des Hochverrats angeklagt, in den „Tower“ geworfen und vor ein Gericht gestellt, das sie zum Tode verurteilte. Im Alter von 29 Jahren bestieg sie 1536 das Schafott, wie später eine andere Gemahlin des despotischen Königs, die nicht minder schöne Katharina Howard. Der geistliche Herr auf dem Bilde, mit den scharf ausgeprägten Zügen, ist Kardinal Wolsey, einer der größten Machthaber von denen, welche nicht die Krone trugen, nur einem Richelieu und Mazarin in Frankreich vergleichbar. Anfangs Kaplan des Königs, gewann er bald einen Einfluß auf denselben, der ihm die Huldigungen aller auswärtigen Herrscher zuwendete. Papst Leo X. ernannte ihn 1515 zum Kardinal; bald darauf wurde er an Stelle des Erzbischofs von Canterbury Kanzler von England und, da die anderen Kronräte zurücktraten, alleiniger Inhaber der ganzen Regierungsgewalt. Als aber Papst Clemens VII. der Scheidung Heinrichs von seiner ersten Gemahlin Schwierigkeiten in den Weg legte, machten der König und Anna Boleyn den Kardinal dafür verantwortlich: er wurde 1529 gestürzt, mußte seinen prächtigen Londoner Palast verlassen, wurde vom Parlament des Mißbrauchs seiner geistlichen Gewalt angeklagt und zum Verlust seiner Güter und ewigem Gefängnis verurteilt. Der König begnadigte ihn, doch erfolgte eine neue Anklage auf Hochverrat; auf dem Wege nach London, wohin ihn die Häscher brachten, starb er am 28. November 1530 in der Abtei von Leicester.

Unser Bild stellt, nach der Absicht des Malers, eine Unterredung zwischen Anna Boleyn, die jetzt noch Hoffräulein ist, und dem mächtigen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 499. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_499.jpg&oldid=- (Version vom 19.7.2023)