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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Waters nannte es „The Experiment“. Die Probefahrt mit dem Boote fiel vortrefflich aus, es widerstand dem Wasser ebensogut wie Holzboote und wurde jahrelang benutzt. Es existierte noch im Jahre 1885. Vor den Holzbooten zeichnete es sich durch ungemeine Leichtigkeit aus, war ohne Naht und bestand aus einem einzigen Stück verfilzten und zusammengeklebten Papierstoffes. Waters Sohn und Vater hätten keine Amerikaner sein müssen, wenn sie nicht sofort daran gedacht hätten, die zufällige Erfindung geschäftlich auszunutzen. Sie sicherten sich Patente, fertigten Boote zum Verkauf, und schon bald nach der Erfindung wurde eines derselben zu einer Wettfahrt benutzt.

Im Jahre 1874 machte H. Bishop eine Wasserreise von Quebec in Kanada nach dem Golf von Mexiko in einem Waters’schen Boote und beschrieb dieselbe in seinem Buche „Reise mit einem Papierboote“, in welchem er erzählt: „Nachdem ich 400 englische Meilen durchrudert hatte, kam ich auf dem Hudson in Troy an, wo E. Waters and Sons seit einigen Jahren Papierboote fabrizieren. Die Vorzüge eines Bootes, das nur 58 Pfund wiegt, dessen Stärke und Dauerhaftigkeit aber genügend erprobt war, veranlaßten mich, meinen Gehilfen zu entlassen und die weiteren 2000 Meilen der Reise auf einem solchen Boote allein zurückzulegen, obwohl alte erfahrenes Seeleute davon abgeraten hatten. Etwaige stille Besorgnisse wurden aber rasch zerstreut, als ich an dem Klubhause zu Troy vorüberfuhr und dort 40 solcher papiernen Boote liegen sah. Mein Boot ‚Maria Theresia‘ war 14 Fuß lang, 28 Zoll breit, 9 Zoll tief in der Mitte. Der Bug war 23 Zoll, der Stern 20 Zoll über der wagerechten Linie. Das Boot hatte eine Wanddicke von 1/8 Zoll (oder 3 mm) und war mit 7 Fuß 8 Zoll langen Rudern aus Fichtenholz von 31/4 Pfund Gewicht versehen. Mast und Segel, die auf einem so kleinen Schiff keinen Zweck hätten und bald beseitigt wurden, wogen 6 Pfund.“

Lazarett-Baracken aus Pappe.

Beim Bau kleiner Ruderboote blieb man jedoch nicht stehen, man strebte höher, und im Jahre 1884 wurde eine Dampfjacht aus Papier gebaut. Dieselbe war 25 Fuß lang und wurde aus eigens hierzu gefertigtem Papier hergestellt, das in nassen Bogen aus der Papierfabrik kam. Die Wände des Schiffsrumpfes waren 1 Centimeter dick, zwischen die Papierlagen war zum besseren Schutz gegen das Wasser eine Asphaltschicht eingestrichen. An dem Papierrumpf wurde ein Holzkiel angebracht, sowie Holzrippen, welche den Zweck hatten, den Fußboden, sowie die Dampfmaschine zu tragen. Der große Rumpf bestand aus zwei Teilen, die kunstgerecht am Kiel zusammengefügt und verdichtet wurden. Seitdem hat dieser Zweig der Papierindustrie noch weitere Fortschritte gemacht. Auch in Deutschland werden inzwischen Papierboote hergestellt und sind solche in Gebrauch.

Derartige staunenswerte Erfolge, die man mit dem Papierstoff erreichte, stachelten zu immer neuen Versuchen an, und, derselbe wurde zur Herstellung der verschiedensten Gegenstände herangezogen. Man begann, aus getränkter und steinhart gepreßter Pappe Schüsseln, Teller, Waschbecken und dergleichen zu prägen, die, sich – wenn gediegen gearbeitet – auch gut bewähren. Ferner fertigt man aus derselben Pappe Eimer und Fässer, die aus dem Oberteil und Boden zusammengesetzt werden. Auch das Glas suchte man mit dem Papierstoff zu verdrängen, indem man Flaschen und Tintenfässer aus Papierstoff fertigte. Mit diesen wurde indessen, kein einträgliches Geschäft gemacht, und eine der größten Papierflaschenfabriken stellte kürzlich den Betrieb ein. Getränkte und geprägte Pappe läßt sich auch drehen und polieren, und sie wird daher zu unzähligen Gegenständen benutzt, die früher aus Horn, Stein, Holz- und ähnlichen Stoffen gefertigt wurden.

Alles Irdische hat aber seine Grenzen, und so auch die Benutzung des Papierstoffes an Stelle anderer, eigenartiger Stoffe. Wo ein Stoff unverwüstliche, ausdauernde Härte zeigen muß, wie sie der Stahl besitzt, da scheitert die Anwendung des Papierstoffes in der Regel. Denn seine Fasermasse kann – selbst wenn sie mit Firnis durchtränkt und mit der stärksten Kraftanwendung gepreßt wird, doch keinen Vergleich mit der eigenartigen Härte der Metalle aushalten.

Die „Papiereisenbahnräder“ habe ich schon erwähnt. Papier kommt zu den Eisenbahnrädern überhaupt nicht zur Verwendung, sondern durchtränkte und geprägte Pappe, und diese auch nur als Radstern. Die Abbildung auf S. 494 zeigt den Durchschnitt eines 1886 patentierten Eisenbahnrades mit Pappfüllung. Alles, was auf der Zeichnung dunkel ist, besteht aus Eisen und Stahl, die hellen Stellen a a bedeuten die Pappfüllung. Diese liegt, wie man sieht, vollständig in Stahl eingebettet und eingeschraubt. N N ist die Stahlnabe, welche auf, der Wagenachse läuft. Diese Nabe hat ringsum einen kreisförmigen Fortsatz, der zwischen der Pappmasse a a eingeklemmt ist. R R ist der Stahlreifen, der um das ganze Rad herumliegt und fest auf der Pappmasse sitzt. An beiden Seiten liegen Eisenplatten, die mit starken, durch die Pappe greifenden Schrauben befestigt sind. Die Hauptteile bestehen demnach aus Stahl und Eisen, und nur der Radstern, der allerdings auch gewaltige Anstrengungen aushalten muß, besteht aus Pappe.

Die neueste Ueberraschung für das sportlustige Publikum ist eine – Schlittschuhbahn aus Papier und Pappe. Man glaube nicht, daß ich scherze; die Sache ist voller Ernst, und der glückliche Erfinder erhielt unlängst auf seine papierne Schlittschuhbahn ein deutsches Reichspatent. Er benutzt zu ihrer Herstellung Papptafeln, die mit Leinölfirnis und Paraffin durchtränkt, dann unter gewaltigem Druck gepreßt und mit Pergament überklebt werden. Diese Papptafeln setzt er auf einer Cementunterlage sorgfältig zu einer glatten Bahn zusammen, bestreicht die Oberfläche noch mit einer eigens dazu bereiteten wachsartigen Masse, und der Schlittschuhlauf kann beginnen. Nötig ist es, daß die Bahn mit ganz glatt polierten Schlittschuhen belaufen wird, die an der Unterfläche keine scharfen Kanten haben, da diese in die Bahn einschneiden. Sollte sich die Erfindung bewähren, so könnten sich die Freunde und Freundinnen des Schlittschuhlaufes zu jeder Jahreszeit auf der Bahn tummeln, im Winter auf Eis, im Sommer auf Pappe.

Der chemisch aufgeschlossene Papierstoff oder die Cellulose ist außerdem noch chemischer Veränderungen fähig, die seine Verwandtschaft mit dem Papier kaum noch ahnen lassen. Uebergießt man reine Cellulose mit konzentrierter Salpeter- und Schwefelsäure,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 492. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_492.jpg&oldid=- (Version vom 19.7.2023)