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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Einige Chemiker begannen, an der Lösung der Aufgabe zu arbeiten, und das Erstaunliche gelang ihnen: sie gewannen aus dem Holze lange, verspinnbare Fasern, die sich ebenso wie Baumwolle zu Geweben verarbeiten ließen. Ueber das Verfahren des französischen Chemikers Chardonnet, aus Holzfaserstoff einen der Seide ähnlichen Stoff zu gewinnen, ist schon im Jahrgang 1891 der „Gartenlaube“, S. 220, berichtet worden.

Amerikanische Unternehmer haben gleichfalls ausgerechnet, daß man die Kleider aus Papierstoff billiger herstellen kann als aus Wolle und Seide. Aber minder gewissenhaft als die Deutschen, machten sie sich nicht erst die schwere Arbeit, verspinnbare Fasern zu gewinnen. Sie benutzen einfach das Papier gleich so, wie es zum Schreiben verwendet wird. Aus dünnem Manilapapier schneiden sie lange schmale Streifen, rollen diese fest zusammen und zwirnen sie genau wie Wolle oder Baumwolle. Um diesen Papierfäden das Aussehen von wirklicher Wolle zu geben, werden sie gefärbt, dann mittels einer dazu gebauten Maschine mit Klebstoff bestrichen und durch einen Behälter gezogen, der mit feinfaserigen Wollabfällen angefüllt ist. Letztere haften an dem Klebstoff, und der Papierfaden bekommt das scheinbare Ansehen eines Wollfadens. Unter dem Mikroskop hat er das Aussehen, welches die Abbildung „Wollbestäubter Papierfaden“ zeigt. Diese Papierfäden, welche natürlich keine Festigkeit besitzen, werden zwischen die echten Wollfäden eingewoben, und so entsteht ein Gewebe, das teils aus Wolle, teils aus Papier zusammengesetzt ist. Der unglückliche Käufer solcher Wollstoffe wird jedenfalls nicht viel Freude daran erleben, und ich glaube kaum, daß er diesem neuesten „Papierwunder“ große Begeisterung entgegenbringt.

Aus Leinen.   Aus Holzzellstoff.
Papierfasern.
In mikroskopischer Vergrößerung.

Ist das Papier nicht geleimt und geglättet, so saugen die verfilzten Pflanzenfasern, aus denen das Papierblatt besteht, alle Flüssigkeiten gierig ein; ebenso die Fasern der Pappe. Es ist demnach leicht möglich, Pappe und Papier mit Oelen, Teer oder Chemikalien zu tränken und sie auf diese Weise sowie durch nachheriges Prägen steinhart und wasserfest, ja selbst feuerfest zu machen. Durch Versuche und langjährige Erfahrungen hat man es so weit gebracht, Pappen herzustellen, welche allen Witterungsverhältnissen widerstehen und die darum zum Bau von leicht zusammenstellbaren und transportablen Baracken benutzt werden. Alle tragenden und stützenden Teile dieser Baracken bestehen aus Holz, die Flächenbekleidungen, wie Wände, Dach und Thüren, aus getränkter und hart gepreßter Pappe. Zwischen der äußeren und inneren Pappwand befindet sich eine Isolierluftschicht, die den Zweck hat, im Winter gegen die Kälte und im Sommer gegen die Wärme zu schützen.

Diese Art Baracken sind bereits seit einer Reihe von Jahren in Gebrauch, vornehmlich für militärische Zwecke. Unsere Abbildung auf Seite 492 veranschaulicht die Aufstellung und Einrichtung solcher leicht transportablen Gebäude für Militärlazarettzwecke von innen und außen. Den Illustrationen liegen Aufnahmen in dem Barackenlager zu Grunde, das während der zweiten Hälfte des Jahres 1891 im Königl. 2. Garnison-Lazarett Tempelhof bei Berlin aufgestellt und belegt war. Das „System Döcker“ von Christoph und Unmack in Niesky (Oberlausitz), nach welchem diese „Pappbaracken“ hergestellt sind, ist in der deutschen, der österreichischen, französischen, dänischen und türkischen Armee eingeführt. Auch für vorübergehende Unterbringung von Erdarbeitern bei Eisenbahn-, Kanal- und ähnlichen Bauten leisten diese Baracken vortreffliche Dienste. Während der Hamburger Hafenbauten war am Petersenquai eine ziemlich geräumige Speise- und Kaffeehalle aus Pappe für die beim Hafenbau beschäftigten Arbeiter errichtet. Da sich die Pappe gegen starken Wärme- und Kältewechsel gleichmäßig verhält, sich nicht wie das Eisen und Holz dehnt oder zusammenzieht, so dürften die Papphäuser vielleicht auch in den überseeischen Kolonien Verwendung finden. Die Papierhäuser können natürlich je nach Bedarf in größerem und kleinerem Umfang aufgebaut werden. Sie sind meist transportabel eingerichtet und der Aufbau erfordert keine große Arbeit, da kein Fundament und kein Mauerwerk nötig ist. Beim Nordostseekanalbau war ein transportables Papplazarett in Gebrauch, das Raum für 50 Betten bot; dasselbe war von der Fabrik der Gebr. Adt in Forbach (Lothringen) geliefert worden.

Wollbestäubter Papierfaden.
In mikroskopischer Vergrößerung.

Ebenso wie Papphäuser stellt man auch Pappkuppeln zu größeren Bauten her, dieselben zeichnen sich vor den Metallkuppeln durch große Leichtigkeit aus. Zu Sternwarten, wo der runde, kuppelartige Observatoriumsdom drehbar sein muß, damit das große Fernrohr nach allen Gegenden gerichtet werden kann, hat man schon seit vielen Jahren den leichten Papierstoff als Kuppelbedeckung benutzt, besonders in Amerika. So ist das Bundesobservatorium zu West Point im Staat New York mit einer Papierkuppel versehen, die auf 36 eisernen Rädern ruht und zu welcher 2600 Pfund Papier nötig waren. Ein anderer Observatoriumsdom aus Papier befindet sich im Rensselaer Polytechnischen Institut zu Troy; dieser ruht auf Kanonenkugeln, auf denen er sich drehen läßt, und wiegt insgesamt 4000 Pfund, wovon 1000 Pfund auf die Papierkuppel entfallen. Diese Papierkuppeln sollen sich gut bewähren, da sie leichter als Eisen, widerstandsfähiger als Holz und gegen die Temperaturschwankungen wenig empfindlich sind.

Die Papierkuppeln verdienen ihren Namen in der That, denn sie sind nicht aus der oben beschriebenen Pappe hergestellt, sondern aus wirklichen Papierblättern, die in dicken Lagen übereinander geklebt und dann mit Oelen und chemischen Mitteln widerstandsfähig gemacht werden. Eine Kuppel besteht aus 24 oder 36 einzelnen Stücken, die über einem Holzmodelle durch Uebereinanderkleben der Papierlagen erzeugt werden. Jedes einzelne Stück läuft von der Basis bis zur höchsten Spitze des halbrunden Kuppeldaches und bildet demnach einen gewölbten Streifen, der unten breit ist und nach oben schmal zuläuft. Zur Herstellung dieser großen langen Kuppelteile wird sehr gutes Rollenpapier benutzt, das sofort in der nötigen Länge und Breite zugeschnitten, dann angefeuchtet und über das Holzmodell gespannt wird. Auf den ersten Papierstreifen wird ein zweiter, gleichfalls angefeuchteter geklebt, auf diesen ein dritter und so fort, bis die nötige Dicke erreicht ist. Die feucht aufgeklebten Papierstreifen verharren dauernd in ihrer gewölbten Form und bilden nach dem Trocknen harte, widerstandsfähige Stücke, die durch Oelen, Glätten mit heißen Eisen, Asphaltieren und Firnissen wetterfest gemacht und dann zu der runden Kuppel zusammengefügt werden.

Der Erfinder dieser Papierkuppeln ist George A. Waters in Troy, Amerika, der auch die „Papierschiffe“ erfand, die ganz ähnlich gefertigt werden. Den Anstoß zur Erfindung gab, wie so oft, ein Zufall. Waters’ Vater besaß eine Fabrik chemischer Artikel, welche in Pappbehältern versandt wurden, die er in einer eigenen Schachtelfabrik herstellen ließ. In dieser Fabrik lernte der junge Waters die Papparbeiten kennen, und als ihm im Jahre 1867 sein altes Ruderboot leck wurde, kam er auf den Einfall, die lecken Stellen mit mehrfach aufgeklebten Papierblättern auszubessern, die er mit Firnisfarbe bestrich. Das Ausbesserungsmittel bewährte sich über Erwarten gut, und Waters faßte infolgedessen den kühnen Entschluß, ein ganzes Boot aus Papier zu fertigen. Er nahm sein altes Boot als Modell, kaufte bestes Manilahanfpapier, das nicht in Bogen geschnitten, sondern in ungeteilter Länge auf Rollen gewickelt war, und schnitt aus diesem Papier in voller Bootslänge Streifen ab. Diese durchweichte er gründlich, spannte die ersten Streifen mit Stiften fest auf das Bootsmodell und klebte dann die anderen Streifen darüber, bis eine ungefähre Wanddicke von 3 mm entstand. Hierauf ließ er das Papier gründlich austrocknen, machte es dann mit Oel, Firnis und Teer wasserdicht und erhielt nach Entfernung des Holzmodells ein vollständig dichtes Boot, dessen Wände sehr steif waren und in ihrer gegebenen Form verharrten. Nun versah er dasselbe mit Gestell und Ausrüstung, gab ihm noch einen äußeren Firnisanstrich und das erste Papierboot war fertig.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 491. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_491.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2022)