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verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Nr. 27.   1895.
Die Gartenlaube.

Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.
Abonnements-Preis: In Wochennummern vierteljährlich 1 M. 75 Pf. In Halbheften, jährlich 28 Halbhefte, je 25 Pf. In Heften, jährlich 14 Hefte, je 50 Pf.



(Püttner)

Verlorene Spuren.

Ein Gartenviereck tief im Kiefernwald,
Gerodet einst von fleiß’gen Siedlerhänden;
Darin ein kleines Blockhaus, grau und alt,
Mit schiefem Dach und halb zerfallnen Wänden.

5
Längst unterm Rasen schläft der Pionier,

Deß hartes Leben einsam hier zerronnen,
Und was er mühsam einst geschaffen hier,
Schon hat’s die Wildnis halb zurückgewonnen.

Ein Weinstock, grün und hoch, ist noch allein

10
Als Wächter vor des Hauses Thür geblieben

Und kündet, daß ein stilles Menschensein
Hier seine Spuren in den Sand geschrieben.

      Florida.   Konrad Nies.




Vater und Sohn.

Wahrheit und Dichtung.
Von Adolf Wilbrandt.


  Wirklichkeit, o gieb die Richtung,
  Bilder gieb mir, gieb Gestalten!
  Doch dann mag die Muse schalten,
  Ihren Gaukelschlei’r entfalten:
  Dreißig Wahrheit, siebzig Dichtung.


1.

Volkmar stand am Fenster und hörte den Schnee auf der Straße singen; es war so kalt geworden, daß unter jedem Wagenrad und jedem Fußtritt der noch junge Schnee in hellen, hohen, fast wohlklingenden Tönen knirschte. Die Mittagssonne, die freilich noch niedrig stand – denn der Januar ging heute erst zu Ende – schien die Straße hinunter und sog an den langen Eiszapfen, die zwischen den Häusergiebeln gegenüber an den Dachrinnen hingen; ein bleich kaltes, doch heiteres Blau leuchtete vom Himmel herab. Volkmar sah hinaus, drückte sein Gesicht an die Fensterscheibe und ergab sich eine Weile dem bangen schmerzhaften Gefühl, das ihm auf der Brust lag. Trennung! Vereinsamung! Nur noch ein paar Wochen, und dieses Zimmer, in dem er auf seinen von der Schule kommenden Primaner wartete, war leer, still und tot. Auch das mündliche Examen war dann abgethan; die Bilder und Bücher da an den Wänden wurden eingepackt; aus dem Vaterhaus zog ein junger Student – sein Rudolf, sein Einziger – in die Welt hinaus ..... Wie sehr man sich auch gehärtet haben mag, wie sehr die Seele sich mit dem Rüstzeug der Philosophie gewappnet haben mag gegen jedes Schicksal: beklemmen muß es sie doch, wenn das schönste, innigste Zusammenleben zwischen Vater und Kind, wenn die Erziehungs- und Werdejahre Abschied nehmen. Der junge Vogel fliegt davon. Es ist aus!

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verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1895, Seite 449. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_449.jpg&oldid=- (Version vom 18.7.2023)