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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)


Schmallstein recht empfindlich störte, mit geschwätziger Zunge im Dorfe herumzuklatschen. Nun kamen die lieben Muhmen und Basen, die ganze Freund- und Verwandtschaft, betrachteten mit klugen Gesichtern, mit neugierigen Augen und langen Nasen die Neugeborenen, doch nur um festzustellen, daß man ihnen nicht ansehen konnte, welcher der Aeltere, und welcher der Jüngere war, fanden aber im übrigen, daß es gesunde und wohlgeformte Kinder seien.

„Sie haben zu zweien keinen Platz in der Wiege; sehen Sie nur, Frau Gevatterin, ein Würmchen will das andere hinausdrängen,“ bemerkte mit ahnungsvollem Kopfschütteln die Muhme Finken.

„Einer strampelt mit den Beinchen gegen den andern,“ setzte Frau Schneidermeister Heller hinzu. Die Weiber gingen, steckten draußen die Köpfe zusammen und meinten, daß es ein verzwickter Fall sei, wie er sich in der Geschichte Büttelstedts noch niemals zugetragen habe und der außerdem mit ungünstigen Zeichen für die Zukunft begleitet sei.

„Ja, ja! Den Leuten ist’s immer zu gut gegangen, nun haben sie die Bescherung.“ – „Und ein bißchen hochmütig waren sie immer.“ – „Der liebe Gott sorgt schon, daß die Bäume nicht bis in den Himmel wachsen, aber leid thun können einem die armen Eltern doch.“ So schwatzten die lieben Freundinnen durcheinander, schickten regelmäßig ihr Wochensüpplein und dankten Gott, daß sie nicht in derselben peinlichen Lage waren wie das Ehepaar Schmallstein.

Diese sorgten sich wirklich, und ihr Kummer wuchs, je näher die Taufe heranrückte, wo die Angelegenheit entschieden werden mußte. Endlich war es soweit und der Prediger schlug vor, der höheren Fügung die Lösung zu überlassen.

„Dieser soll der Aeltere sein,“ sagte er mit feierlicher Stimme, ergriff ein rotes Bändchen und band es dem einen um den rechten Arm; „und dieser sei der Jüngere und durch ein blaues Bändchen gekennzeichnet.“

Die Eltern waren es zufrieden, wenn auch mit sorgendem Herzen, und legten dem Aelteren den Namen Fritz, dem Jüngeren den Namen Otto bei; der Volksmund aber kehrte sich nicht daran und nannte die Buben fürder nur den roten und den blauen Schmallstein.


2.

Die Knaben waren munter herangewachsen, der Ehebund der Eltern aber durch keinen weiteren Sprößling gesegnet worden. Man sprach nur noch wenig von der Angelegenheit aber vergessen war sie deshalb doch nicht. Wie hätte das auch in einem Dorfe, wie Büttelstedt eins war, geschehen können. Als Fritz und Otto, welche im besten Einvernehmen miteinander lebten und sich den Teufel drum scherten, wer älter oder jünger war, zum erstenmal die Dorfschule besuchten, lebte die Erinnerung an jene Begebenheit wieder einmal auf.

„Wie soll ich Euch denn nun setzen?“ sagte der Lehrer, „Du bist Fritz, nicht wahr, also der Aelteste, und kommst demnach über Otto zu sitzen.“

„Das wissen sie selber nicht genau,“ rief in diesem Augenblick ein vorwitziges Bürschchen, dem andere lachend beistimmten, denn gerade gestern war in den verschiedenen Häusern die Sache wieder lebhaft besprochen worden.

„Ich bin Fritz und bin älter als Otto,“ stritt der angeblich Erstgeborene dagegen, indem er keck den bevorzugten Platz einnahm, doch da stiegen plötzlich bei Otto Zweifel auf und er machte seinem Bruder denselben streitig. Ehe sich’s der Lehrer versah, lagen sich die Buben in den Haaren, so daß er sie mit Gewalt trennen mußte. Selbstredend fügten sie sich, grollten aber miteinander und setzten auf dem Heimwege sowohl als zu Hause die Streitigkeit fort.

„Aber Jungens, was habt Ihr denn nur?“ rief der Meister von seinem Schemel aus.

„Ihr habt Euch doch sonst so gut zusammen vertragen!“ mahnte Frau Schmallstein.

„Ich bin älter wie der,“ schrie Otto.

„Nein ich!“ behauptete Fritz.

„Ich!“ – „Ich!“ – „Ich!“ – „Ich!“ – „Ich!“ brüllten die Jungen durcheinander, wobei sie wie die Kampfhähne aufeinander einschlugen und sich an den Haareu zausten, bis der Vater mit der Haselgerte dazwischeu fuhr, den einen in die Kammer, den andern in den Holzstall steckte. Friederike aber hatte das Siebnetz, an welchem sie arbeitete, aus den Händen sinken lassen und schwamm in Thränen.

„Ach, diese unglückselige Verwechslung,“ rief sie klagend. „Meine Ahnungen haben mich nicht betrogen; nun ist der Streit da.“

„Die vertragen sich auch wieder,“ versuchte der Meister, sie zu trösten.

„Nein, nein, Mann, wenn so etwas erst anfängt, giebt’s kein Ende. Ich habe ’mal eine Geschichte gelesen von den feindlichen Brüdern, die war schrecklich, mit Blut und Totschlag hat sie geendet. Ach, du lieber Himmel, nun habe ich sie im eigenen Hause, da möchte man wohl fast sagen: lieber gar keine Kinder als solche, unter denen kein Vertragen ist.“ Frau Schmallstein führte die blauleinene Schürze gegen die Augen und weinte bitterlich; denn ihr schönes friedliches Dasein erschien ihr auf einmal vernichtet.

„Aber Frau, wer wird gleich so schwarz sehen,“ wandte Karl ein, aber es kam nur zögerud heraus und verfehlte deshalb auch seine Wirkung.

Schmallstein sah selbst düsteren Blickes in die Zukunft, und wenn er daran dachte, daß später einmal noch die tief einschneidende Frage über Mein und Dein da mit hineinspielen würde – o je! o je – o je! Er fuhr sich verzweifelt mit den Händen in die Haare.

Bei Tische saßen sich die beiden Knaben trotzig gegenüber; jeder versuchte zuerst mit dem Blechlöffel in die Schüssel zu langen, um für sich, in dem vermeintlichen Gefühl als Aeltester, den besten Bissen herauszufischen. Sonst war das nie der Fall gewesen und Friederike warf ihrem Manne einen verzweifelten Blick zu.

Bis dahin hatten die Knaben friedlich gemeinsam in einem Bett geschlafen, aber jetzt stießen und schlugen sie sich und einer wollte den Platz des andern haben. Vater Schmallstein fuhr zwar nicht nur mit einem Donnerwetter, sondern auch mit dem Stock dazwischen, aber das half gerade nur für die eine Nacht, so daß schließlich nichts anderes übrig blieb, als die feindlichen Brüder zu trennen.

Die Eltern bekümmerte dies tief. Sie hatten sich vorgenommen, ihre Kinder so recht gut und gottesfürchtig zu erziehen und nun prügelten sie sich auf der offenen Straße viel schlimmer als die anderen, warfen sich mit Steinen und kamen mit zerrissenen Kleidern und mit zerzausten Haaren nach Hause.

Weder Strafen noch gute Worte wollten helfen. Endlich erlahmte die Kraft der Eltern, sie ließen die Sache gehen, wie sie eben gehen wollte, härmten sich und kamen in ihrem grenzenlosen Kummer überein, daß es wirklich weit besser sei, gar keine Kinder zu besitzen als solche.

Je älter die Knaben wurden, desto mehr stieg ihre Feindschaft. Die Kinder in der Schule, mit denen sie spielten, nahmen Partei für den einen oder den andern, so daß sich die jugendliche Bevölkerung des Dorfes in zwei Heerlager teilte, von denen Otto das eine, Fritz das andere anführte. Auf den Gassen von Büttelstedt wurden jetzt förmliche Schlachten geschlagen und als der lahme Polizeidiener ein machtiges Halt geboten hatte, wurde ihr Schauplatz in den nahen Wald verlegt.

Die Eltern Schmallstein vergingen fast vor Kummer und sahen doch keinen Ausweg.

Fast ebenso schwer wie diese hatte die kleine Lina Vogelsang darunter zu leiden, ein niedliches flachsköpfiges Mädchen, deren Vater sich damit ernährte, daß er den Leuten von Büttelstedt die Stiefeln und die Schuhe ausbesserte, während er zur Anfertigung neuer sich nicht verstieg oder vielmehr seitens seiner Landsleute, welche sich das fertige Schuhwerk auf den Jahrmärkten kauften, nicht veranlaßt wurde.

Lina war sowohl mit Fritz wie mit Otto Schmallstein befreundet und beide Knaben überwachten eifersüchtigen Auges die Beweise von Zuneigung, welche das kleine Ding dem einen oder dem andern gab. Das arme Linchen – wie ein Federball wurde sie herumgeschleudert!

„Du spielst mit mir Verstecken,“ sagte Otto eben.

„Ja, ja!“ Und freudig lief sie mit ihm davon.

„Du sollst mit mir Kämmerchen vermieten,“ rief Fritz dagegen und riß sie mit sich fort.

„Ich wollte gern, aber –“

„Ach was, hierher gehörst Du!“ Fritz ergriff sie am einen, Otto beim andern Arm, Linchen brach in Thränen aus; die Knaben rauften sich und dabei erhielt sie Knüffe und Püffe sowohl von diesem als von jenem.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 440. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_440.jpg&oldid=- (Version vom 15.7.2021)