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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

sehr lebhaften Arbeitsstätte passieren wir die Pontondrehbrücke, welche die Landstraße von Kiel nach Friedrichsort über den Kanal führt, und gewinnen nun vorläufig das Fahrwasser der heute fertigen Strecke.

Die Partie zwischen Holtenau und dem „adligen Gut“ Knoop hat, wie sich auf dem Bilde S. 397 erkennen läßt, noch heute ihre landschaftlichen Reize, mußte aber doch in ihrer wunderbaren Lieblichkeit erhebliche Einbuße erleiden. Wo vormals zur Linken aus frischgrüner Wiese sich die buchenbewaldeten Hügel emporhoben, da haben jahrelang Hunderte von Arbeitern im ausgerodeten Gehölz geschaufelt und die Kreuzhacke geschwungen; da rissen die ächzenden, rummelnden Trockenbagger ein Stück Land und zugleich Poesie nach dem andern vom Ufer, da rollten die langen Lowriezüge fauchend und pfeifend hin und wieder, schwer beladen mit dem weggebaggerten Erdgute, das draußen vor der Kanalmündung abgelagert wurde und den Grund schuf, auf dem sich heute der Leuchtturm erhebt. Der vielbesuchte Wirtschaftsgarten an der vormaligen Knooper Schleuse ist verschwunden, und über die Stelle, wo das Wirtshaus selber stand, da fahren wir just eben rücksichtslos hinweg. Johann Gottfried Seume hat, als er auf seiner Kopenhagener Reise in Kiel weilte, oftmals in dieser Naturlieblichkeit gesessen und ausgeruht und „selten habe ich“ – so sagt er – „eine fröhlichere Mahlzeit gehalten als das Frühstück dort am Kanal im Wirtshause. Fast ward, welches nur selten geschieht, die Stimmung meiner Seele idyllisch“. Ja! mit der Idylle ist’s heute vorbei für alle Zeiten; aber freilich! damals hätten keine stolz getakelten Vollschiffe den armseligen Kanal passieren, geschweige denn einander begegnen und unbehindert vorbeifahren können. Das aber ist in dem nun vollendeten durchweg neun Meter tiefen, auf der Sohle 22 Meter breiten Nordostseekanal in der That möglich, selbst wenn der Wasserstand ein ausnahmsweise niedriger sein sollte. Nur die sehr tief gehenden, schweren Kriegsschiffe machten die breiter angelegten, sogenannten Ausweichen erforderlich, deren wir sechs auf der ganzen Kanalstrecke treffen.

Dorf Burg in Dithmarschen.

Von Knoop bis Levensau machte ehedem der Eidercanal einen weiten, durch eine dritte Kastenschleuse unterbrochenen Bogen, der heute durch den nach dem anliegenden, von der Kanalkommission angekauften Gute „Projensdorf“ genannten Einschnitt ersetzt ist, einen gewaltigen, breiten und tiefen, zunächst schnurgerade verlaufenden Schlitz, der an der höchsten, 34 Meter über der Kanalsohle liegenden Stelle seiner Böschung von der Levensauer Hochbrücke überspannt wird. Daß die Kiel-Flensburger Eisenbahn das Kanalbett hier nicht, wie ursprünglich geplant, auf einer Drehbrücke, sondern mittels eines weit großartigeren Bauwerkes überschreitet, ist der persönlichen Initiative des Kaisers zu danken. Denn er war es, der den Gedanken des Baus einer Hochbrücke nach dem Muster der an einer mehr nach der Nordsee zu gelegenen Stelle des Kanals, in Grünenthal, bereits fertiggestellten anregte und dazu am 21. Juni 1893 den Grundstein legte. Weithin ist die Brücke ins holsteinische und schleswigsche Land hinein sichtbar; und von weitem schon sehen auch wir auf unserer Kanalfahrt den leichten luftigen Bogen von Ufer zu Ufer sich spannen. Aber je näher wir ihm kommen, desto bewunderungswürdiger wird uns das Werk, das sich immer weiter und weiter auswächst, ohne an kühner Grazie der Konstruktion einzubüßen. In der letzteren der Grünenthaler Brücke ähnelnd, unterscheidet sich der Levensauer Bau von ihr dennoch in manchen Einzelheiten. Während hier wie dort die lichte Höhe des Bogens über dem normalen Wasserstande 42 Meter beträgt, so daß auch Schiffen mit höheren Masten, als sie der auf unserem Hauptbilde passierende 9757 Tons-Panzer „König Wilhelm“ führt, die unbehinderte Durchfahrt gestattet ist, übertrifft die Levensauer Brücke diejenige von Grünenthal an Spannweite noch um 7,5 Meter. Denn 156,5 Meter beträgt bei dieser, 164 aber bei jener die direkte Entfernung zwischen den beiden Widerlagern, mächtigen Pfeilerbauten, auf denen die von den Bogen getragene Fahrbahn mit ihren Enden aufliegt und welche von je zwei architektonisch wirksamen Türmen gekrönt und seitlich durch ebensoviele Reichsadler, in Riesengröße reliefartig in Sandstein gehauen, geschmückt sind. Die Fundamente der Widerlager liegen hart am Fuße der nach dem Kanal hin schräg abfallenden Rampen des Eisenbahn- und Chausseedammes, welche mit den Brückenpfeilern, in Grünenthal durch einen Bogettbau, in Levensau hingegen durch ein nach allen Seiten geschlossenes, einen kapellenartigen Raum bildendes Gewölbe verbunden sind.

Hat der Dampfer in Levensau zu löschen oder zu laden, so hat man allenfalls Zeit, von der Kanalböschung aus in einem der Türme die Wendeltreppe emporzusteigen, um von der Galerie aus einen Rundblick ins Land und auf das Bauwerk selber zu werfen, das übrigens dort oben bei weitem nicht den imposanten Eindruck macht wie vom Dampfer aus. Im anderen Falle dürfen wir uns nicht aufhalten, sondern müssen zwecks genauerer Besichtigung gelegentlich mit der Bahn von Kiel aus einen Ausflug zur Brücke machen, an der seitens der Direktion der Kiel-Flensburger Eisenbahn neuerdings eine Haltestelle errichtet worden ist. Unmittelbar hinter der Brücke macht der Kanal eine seiner schärfsten Kurven; der Kapitän läßt die Dampfpfeife erschallen um etwaige hinter der Biegung ansegelnde Galeassen zu warnen; dann geht’s weiter nach Landwehr, der vierten Schleuse des ehemaligen Eiderkanals, der damit die Wasserscheide zwischen Ostsee und Nordsee erklommen hatte und nun durch weitere zwei Schleusen bei Königsföhrde und Kluvensiek zur Eider hinabgeführt wurde. Das Wasserreservoir zur Speisung des alten Kanalgebietes bildete der gleich hinter Landwehr auch vom Nordostseekanal angeschnittene Flemhuder See, bei welchem wir die erste Ausweichstelle antreffen. Da der Wasserspiegel dieses Sees volle sieben Meter über dem Mittelwasser der Ostsee und somit auch über dem Niveau des neuen Kanals lag, so hat er um diese erhebliche Differenz gesenkt werden müssen, ein Stück Arbeit, daß mit technischer Genialität ausgeführt ist, ohne daß die umliegenden ausgedehnten Wiesenländereien durch Wasserentziehung irgendwie entwertet worden wären. Man zog nämlich rings am Ufer hin einen gegen den inneren See abgedämmten Kanal, der nach wie vor alle Zuflüsse aus dem Gelände aufnimmt und noch heute denselben Wasserstand hat wie früher, während das ganze übrige innere Becken in der That um sieben Meter gesenkt wurde. Von dem Ringkanal aber fällt das dort überschüssige Wasser über ein breites Wehr kaskadenartig in das Becken des Sees herab, um von dort in den Kanal abzufließen, wenn es der Ausgleich des Niveaus erfordert.

Später erst wurden die folgenden Abschnitte von Landwehr bis Steinwehr eröffnet, welche, fast eine gerade, von Ost zu West laufende Trace bildend, den vielfach gewundenen Weg, den der Eiderkanal zwischen diesen Ortschaften machte, ganz bedeutend abkürzen. Landschaftlich reizvoll liegt auf der Strecke, auf der man wie fast überall auf der ganzen Kanallinie noch einzelne das Bett austiefende

Schwimmbagger arbeiten sieht, das größere Dorfs Sehestedt mit seiner

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 399. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_399.jpg&oldid=- (Version vom 16.4.2024)