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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

westwärts zurück, um erst etwa fünf Kilometer weiter nördlich wieder zum Leuchtturm von Friedrichsort sich zu wenden, an welchem die enge, durch mächtige Festungsanlagen auf beiden Ufern verteidigte Ausfahrt vom Binnenhafen auf die Außenreede östlich vorbeiführt. Fast genau auf der Mitte dieser hinter Bellevue im flachen, mehrfach geknickten, westwärts ausschweifenden Bogen von Süd nach Nord führenden Küstenlinie liegt, die letztere im rechten Winkel schneidend, die Ostmündung des neuen Kanals, von See her unsichtbar und daher durch kein Geschoß feindlicher Kriegsschiffe erreichbar, wohlgeborgen im Innern eines Hafens, der durch seine natürliche Beschaffenheit und die an seinen Ufern drohenden Forts so ausgiebig geschützt ist, daß nach dem Urteil maßgebender Autoritäten an ein Erzwingen der Einfahrt schlechterdings nicht gedacht werden kann.

Schleuse bei Holtenau vor dem Einlassen des Wassers.

Jeder Laie sieht auf den ersten Blick, von welcher strategischen Wichtigkeit die Einführung des Nordostseekanals in das gesicherte Bassin des inneren Kriegshafens sein mußte. Man denke sich zum Beispiel diesen sowie die Elbmündung blockiert; es gelingt aber einem von Wilhelmshaven aus operierenden deutschen Geschwader, die letztere zu erzwingen und die Kanaleinfahrt bei Brunsbüttel zu gewinnen, dann wird es, die neue, 98,65 Kilometer lange Wasserstraße benutzend, in kurzer Zeit im Kieler Hafen sein und mit der dort postierten Flottenmacht vereinigt die Blockade eines nicht gar zu übermächtigen Feindes sprengen können, ehe dieser von den Vorgängen in der Nordsee und der plötzlichen Verstärkung seines Gegners auf der Kieler Föhrde eine Ahnung hat. In dieser Möglichkeit, die deutsche Flottenmacht, vom Feinde ungestört und unbeobachtet, je nach Bedarf in der Nordsee oder in der Ostsee verstärken zu können und dabei jedes in dem einen oder anderen Meere verwundete Schiff auf der Werft zu Kiel reparieren, beziehungsweise mit allem Kriegsmaterial, Kohlen und Proviant ausstatten zu können, darin liegt wie jedem einleuchtet, der große militärische Vorzug, welcher die heute thatsächlich hergestellte Kanallinie vor allen früheren Projekten auszeichnet.

Die Geschichte hat uns deren, soweit sie je zu ernstlicher Erwägung gezogen sind, im ganzen sechzehn überliefert, von denen die ältesten, dem 16. und 17. Jahrhundert angehörig, die Verbindungsstraße zwischen den beiden Meeren viel weiter nördlich, quer durch das Herzogtum zu legen gedachten. Erst 1774 gelangte eines der nachfolgenden Projekte zur Ausführung. In diesem Jahre that König Christian VII., der Freund Struensees, den ersten Spatenstich zum sogenannten Eiderkanal. Erst in der Zeit der schleswig-holsteinischen Erhebungskriege tauchten neue Kanalprojekte auf, und jetzt war man ziemlich allgemein der Ueberzeugung, daß die Westmündung des neuen Kanals an der Unterelbe liegen müsse. Aber während man schon 1848/49 die Kieler oder Eckernförder Bucht als östlichen Ausgangspunkt ins Auge faßte, zielten sämtliche Projekte der sechziger Jahre auf eine Verbindung der Elbe mit der für Lübecks Handel gelegeneren Travemünder Bucht ab. Da war es denn im Jahre 1878 der um die Ausführung des Kanalbaues sehr verdiente Hamburger Reeder H. Dahlström, der in seiner Schrift über „Die Ertragsfähigkeit eines Schleswig-holsteinischen Seeschiffahrtskanals“ die Linie Brunsbüttel-Kiel als einzig rationelle empfahl und, da einmal nach vollständiger Einrichtung und Armierung des Reichskriegshafens dieser nach Ansicht der Regierung unbedingt zu berücksichtigen war, die Erlaubnis zur Ausführung der Vorarbeiten erhielt. Das auf Grund der letzteren festgelegte Projekt wurde im Jahre 1886 von Bundesrat und Reichstag, Herrenhaus und Abgeordnetenhaus unter der Bedingung angenommen, daß von den auf 156 Millionen Mark veranschlagten Kosten ein knappes Drittel von 50 Millionen durch preußische Mittel aufgebracht werden sollte. Am 3. Juni 1887 legte Kaiser Wilhelm I. den Grundstein zum großen nationalen Bauwerke; und seitdem hat auf der ganzen Strecke von Holtenau über Rendsburg nach Brunsbüttel ein rastloses Zusammenarbeiten intellektueller, physischer und mechanischer Kräfte geherrscht, wie es in gleicher Intensität von einem Bauwerk moderner Kultur bisher nicht erfordert wurde.

Ein kurzer Abriß der Entstehungs- und Baugeschichte des Nordostseekanals wird in der Gedächtnis- oder, wie der Volksmund sagt, „Ruhmeshalle“ dort im Parterre des neuerrichteten Leuchtturms in Erz verewigt werden, an dessen anmutiger Silhouette wir uns, während wir von Bellevue aus die Wiker Bucht

überqueren, immer von neuem erfreuen. Zu ihm wenden wir auch,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 396. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_396.jpg&oldid=- (Version vom 17.4.2024)