Seite:Die Gartenlaube (1895) 394.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Es ist ein windstiller klarer Frostabend, und die Sterne funkeln am dunkelblauen Himmel. Am Gärtnerhause vorüber bis zur Einfahrt geht sie mit, und dort giebt sie ihm beide Hände und sagt: „Verzeih’, wenn ich Dir weh’ that, ich wollte es nicht, denn ich habe Dich sehr lieb.“

Dann hat sie sich rasch gewendet, ohne ihm den Mund zum Kuß zu bieten, und ihn kopfschüttelnd und verwirrt stehen gelassen. – Droben in ihrem Zimmer setzt sie sich zum Schreiben. Zwanzig und mehr Bogen zerreißt sie und längst ist Mitternacht vorüber, bis es ihr gelungen ist, den schrecklichen Brief zu verfassen:

 „Lieber Kurt!
Ehe wir uns verlobten, habe ich Onkel gebeten, Dir etwas aus meinem Leben zu erzählen, das Du notwendig wissen mußt, bevor Du Dein Geschick an das meine knüpfst. Aber Onkel hat Dir nichts gesagt, wie ich jetzt erst erfahre und fast immer schon geahnt habe. Laß es mich denn jetzt thun, ehe es zu spät ist – –

Ich war schon einmal verlobt mit einem Manne, der weder meinem Vater noch meinem Onkel als der rechte für mich erschien. Sie verweigerten ihre Zustimmung, und wir beschlossen deshalb – zu fliehen. Onkel hat mich wenig Stunden nach meiner Entfernung aus Beetzen wieder – eingefangen. Er hat mich vor einem Unglück bewahrt – um mich vielleicht noch unglücklicher werden zu lassen – –.

Ich weiß nicht, ob Du mich nun noch lieben kannst. Jedenfalls bin ich Dir Wahrheit schuldig. Aber wenn Du das Mädchen nicht mehr lieben kannst und achten, das bereit war, etwas Unwürdiges zu thun für einen Mann, den sie nicht einmal liebte, so versage ihr wenigstens nicht Dein Mitleid.

Es giebt ein paar Menschen, die um diese Angelegenheit wissen und von denen Diskretion nicht zu erwarten ist, denn sie sind ungebildet und habsüchtig – Grete Busch, die Tochter unseres früheren Gärtners, und ihr Mann, ein gewisser Bröse. Auch dies, was selbst Onkel nicht weiß, teile ich Dir mit. – Ich wage auch nicht, zu hoffen, daß Du mir verzeihst, denn ich weiß, wie Du denkst, und Du denkst mit Recht so. Jahre meines Lebens gäbe ich, wäre dieser Schritt unterblieben, und könnten Thränen etwas wegwaschen, es wäre alles ungeschehen. Sophie von Kronen.“ 

Sie couvertiert den Brief; am andern Morgen soll Franz ihn hinübertragen. Völlig erschöpft wirft sie sich auf ihr Lager und wünscht, ein Morgen möchte gar nicht kommen.

Drunten hat Cilly auch geschrieben, auf rosa Papier, zwölf Seiten lang, an Herrn von Bredow, und eine Stelle lautet:

„Gott sei Dank, daß die Zeit der Komödie und sogenannten Anstandsfrist nun bald vorüber ist. Ich finde – drei Jahre Witwe zu sein, ist doch wirklich alles, was die peinlichste Etikette von mir verlangen kann, besonders, wenn man die Verhältnisse berücksichtigt, die ja, Gottlob! keinem bekannt sind außer Dir und mir!

Wir beide, die sich lieben seit der Zeit, als Du Lieutenant warst und ich Backfisch, und die keinen Dreier hatten, um sich heiraten zu können! – Und dann, ehe ich mich recht besinne, bin ich die Frau Deines Kommandeurs geworden.

Daß Dich der gute Klaus auch gerade zum Adjutanten aussuchen mußte!

Und Dich alle Tage sehen und Dich immer lieber haben müssen und doch gefesselt sein – – wahrhaftig, Du ahnst nicht, wie mir das Herz jedesmal klopfte, wenn Dein Klingeln erscholl – ich kannte sie genau, die Art Deines Klingelns. – Ach, mein Herzensschatz, es war eine Situation, zum Verrücktwerden geschaffen. Wenn nicht der Himmel ein Einsehen gehabt und die Franzosen rabiat gemacht hätte, wie wär’s dann geworden? Ich mag nicht darüber nachdenken. –

Weißt Du noch, wie Du mir ‚Lebewohl!‘ sagtest in dem kleinen blauen Zimmer? Ich konnte das Weinen nicht lassen, und Du sahst so blaß aus, und da lagen wir uns plötzlich in den Armen, und ich war noch mitten im Schluchzen und Beben, da trat Klaus ein und glaubte in seiner Gutmütigkeit, ich weine um ihn! Der arme Mensch! – Ach Gott, und als Du wiederkamst, und ich Witwe – und all’ die Zeit, die darauf folgte – ein Zehntel so traurig und neun Zehntel so süß!

Ich will auf Klaus nichts reden, er war ein so guter vornehmer Mann, und eigentlich – betrogen habe ich ihn doch nicht – habe ich? Nein? – –

Und nun bald Dein! Was wird Jochen sagen? Armer Mensch! Nachher so allein mit der sauertöpfischen Anna und der alten Hanne. Ditscha wird ja wohl von Dombeck aus ihre Arme schützend über sein Alter breiten.

Aber, Herz, was wird aus Achim, während wir ein Jahr lang umherschwärmen? Ach, wie freue ich mich darauf! – Ja, was wird aus Achim? Ich habe noch gar nicht daran gedacht.

Also, sei pünktlich bei Leontine in Berlin. Der guten Seele kann man ja vertrauen; ich komme um zwölf Uhr auf dem Anhalter Bahnhof an. Deine glückliche Cilly.“ 

Cilly drückt ihren zierlichen Wappenring auf das längliche Couvert, küßt den Brief noch ein paarmal, dann stellt sie sich vor den Spiegel, nickt ihrem niedlichen Bilde zu und geht, ein Liedchen trällernd, zu Bette, nicht im geringsten beschwert in ihrem Gewissen, obgleich sie beschworene Treue gebrochen hat. Und droben quält und zerhärmt sich Ditscha um etwas, an dem andere mehr schuld sind als sie, und hat doch für niemand einen Vorwurf als für sich selbst. – –

Ganz früh muß Franz den Brief wegtragen; er reitet hinüber. Und Cillys Schreiben besorgt Grete Busch, die mit ihrer Kleinen auf dem Milchwagen nach Bützow fährt; sie muß doch einmal nach der alten Mutter sehen.

Noch ehe der reitende Bote zurückkommt, hat Ditscha ein Schreiben von Kurt Rothe:

„Der Kleine meiner Schwester ist gestorben, liebe Ditscha, ich reise noch heute nacht zwölf Uhr ab. – Wie geht es Dir? Gieb mir bald Nachricht, ich reise in großer Sorge um Dich ab, mein Herz. Werde nicht krank – – Kurt.“ 

Um zehn Uhr kehrt Franz zurück und erzählt, er habe den Brief des gnädigen Fräulein durch den Diener auf Herrn Rothes Schreibtisch legen lassen, der Herr sei plötzlich abgereist.

Ditscha ist unschlüssig, was sie thun soll. Franz hinüberschicken, damit er den Brief zurückhole? Sie weiß nicht, ob sie den Mut finden wird, ihn ein zweites Mal abzusenden. Ein anderes Schreiben desselben Inhalts ihm nachschicken? Zu seinem Leid am Sarge des Kindes noch diesen Schlag hinzufügen? O nein! Sie beschließt, das Schreiben dort zu lassen, er mag es finden, wenn er zurückkehrt. –

Und nun kommen seine Briefe, seine Briefe, die von Zärtlichkeit und Liebe überströmen. Am Sarge des Kindes schreibt er, wo er zur Beruhigung der Mutter Wache hält, weil sie meint, der Liebling sei nur scheintot, und abends in seinem Zimmer, wenn er den trauernden Eltern Gesellschaft geleistet hat bis tief in die Nacht, neben dem Lehnstuhl des Mutterle, die Ditscha tausendmal grüßt – jedes Wort wie in Sehnsucht getaucht.

Und Ditscha vermag nicht zu schreiben, darf nicht schreiben, wie sie möchte. Sie verlebt eine Zeit, die nur mit Todesqualen zu vergleichen ist. – Endlich wird er besorgt ob ihrer kurzen seltsamen Kärtchen – wenn er nur fort könnte, er käme ja gleich. – Ob sie nicht wohl sei? Sie sollte es ihm doch sagen, denn dann werde er trotz alledem reisen.

Sie schreibt ihm, sie sei wohl, er solle sich nicht ängstigen. Aber trotzdem kommt ein Brief, der seine Rückkehr meldet, dann und dann – also übermorgen. Hanne bringt Ditscha den Brief ins Wohnzimmer, wo sie mit dem Onkel und Achim sitzt wie alle Tage.

Hanne kann nicht gehen, ohne zu schimpfen über dies verrückte „Dirt“, die Grete. Auf einmal weg zu bleiben mitten in der Arbeit! Schreibt da vor zehn Tagen als Entschuldigung, sie müsse zu ihrem Mann, der krank geworden sei. Wird ja auch nicht gleich sterben. Wenn’s nur nicht gerad’ das schöne Damastgedeck wär’, an dem sie nun so plötzlich aufhört zu arbeiten! –

Ditscha ahnt, warum sie gegangen, sie bringt das Geld in Sicherheit. „Es kann ja jemand anders fertig sticken,“ sagt sie zerstreut, „es eilt ja nicht.“

„Eilt nicht? Gott bewahr’, gnä’ Fröln Ditscha, in vertein Dagen is Hochtid, und – es eilt nich? Ne, dat is putzig.“

Ditscha antwortet nicht, sie sieht starr auf denselben Fleck, dann springt sie auf und läuft hinaus. Da giebt’s Stimmen in ihr, so süß schmeichelnde Stimmen: „Geh’, Ditscha, hol’ den Brief zurück, mach’ den braven Mann nicht unglücklich, Du hast nichts Unehrenhaftes gethan; Onkel sagt’s ja auch. Du hast kein Recht, Dich und ihn unglücklich zu machen.“ Ihr Herz klopft bei dem Gedanken an ein Wiedersehen mit ihm; eine Sehnsucht, so brennend, so ungestüm packt sie, daß sie an den Schreibtisch flüchtet, um dem Diener auf Dombeck mitzuteilen, sie erbitte den Brief zurück, den sie vor einiger Zeit an Herrn Rothe geschrieben; sein Inhalt sei jetzt wertlos, es habe sich irgend etwas geändert.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 394. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_394.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)