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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

da krachten oben die Schüsse und im Schlunde fühlte er splitterndes Holz, Sägespäne und einige große Nägel, mit denen das Kistchen gefüllt gewesen war.

Er nahm die Treulosigkeit gewaltig übel zur ausgelassenen Freude der schlechten Menschen oben an Bord. Von den Revolverkugeln schien wenigstens ein Teil gut getroffen zu haben, wütend peitschte er mit dem gewaltigen Schwanz die See und verschwand in der Tiefe, begleitet von dem schadenfrohen Gelächter der Passagiere, des Kapitäns, des Offiziers und Bobs. „Hoffe, Sie bald wiederzusehen, Herr Hai,“ hatte ihm Kapitän Nellan nachgerufen. Herr Hai war aber allem Anschein nach allzu empört über das geschmacklose Benehmen dieser Damen und Herren. Man wartete fünf, zehn Minuten, er kam nicht wieder.

Bob mußte noch ein Stück Fleisch und einen großen Kohlkopf über Bord werfen; sie wurden aber verschmäht oder nicht bemerkt. Unberührt trieben sie längsseits, wurden in die Schaumwellen der Schraube gequirlt, trieben weiter im Kielwasser des Schiffes zurück und verschwanden endlich am Horizont.

Man ward des Wartens rasch müde und als nun, um fünf Uhr, der tönende Gong zum Mittagsessen in den Speisesaal rief, da leerte sich das Promenadendeck in wenigen Minuten.

Nur der schwarzbärtige Herr mit den scharfen Zügen, der vorhin Johny spanisch angeredet hatte, blieb etwas zurück mit noch einem andern, der den amerikanischen Typus fast als Karikatur zeigte. Er sah aus, als wäre er aus einem englischen Witzblatt herausgeschnitten, das sich über die zum „Uncle Sam“ personificierten transatlantischen Vettern lustig macht; großkarrierte weite Beinkleider, langen Gehrock und grauen Cylinderhut trug er bei der Hitze, den Cylinderhut weit im Genick. Auch sein Bart war ganz orthodox national geschnitten, Wangen und Lippen aufs sauberste rasiert, der Kinnbart stark entwickelt und wohl gepflegt.

Die beiden waren im Gespräch, der Kreole schien den Amerikaner etwas mit Bezug auf Fräulein Arlington gefragt zu haben, die mit ihrer Frau Stiffings eben die Treppe zum Speisesaal hinunterstieg.

„Jawohl, aus Boston stammen sie. Bin auch aus Boston. Beamter der Bostoncr Eis-Gesellschaft. Revidiere die Filialen in Havanna und Matanzas. Die Arlingtons, ja! Gehören zu den ersten Familien. Schwer reich. Kenne die Leute sehr genau. Frau Stiffings, frühere Erzieherin, jetzt Gesellschafterin von Fräulein Arlington, ist so eine Art Verwandte von mir. Ob die Arlingtons im Handel sind? Natürlich sind sie im Handel. Zuckerraffineure. Hervorragender Mann im Ring, der Alte. – Ob die Firma Interessen auf der Insel hat? Sicher hat sie. Das ganze Kuba arbeitet ja mit amerikanischem Gelde. Die Arlingtons sind bei Ruiz Carvajal y Compania mit einer Million Dollar beteiligt.“

Der Schwarzhaarige schien genug gehört zu haben. „Hübsche Dame Fräulein Arlington,“ sagte er auf der Treppe.

„Hübsch?“ sagte Bruder Jonathan etwas mißbilligend, „schön! Und ein amerikanisch Mädel ersten Ranges ist sie, in der That.“

„Wie konntest Du nur so unklug sein,“ fragte die Besprochene soeben leise ihren Bruder, als er unten an der Tafel neben ihr Platz nahm. „Wie leicht kann irgend ein Bekannter Don Antonios an Bord sein! Daß Du doch nie vorsichtig wirst!“

Ein Schatten flog über ihres Bruders hübsches, energisches Gesicht, gleich darauf aber lachte er schon wieder.

„Möglich, daß meine Diplomatie nicht weit her ist, Bonny Kate, aber ich habe auch keine nötig. Was liegt daran, ob er ein paar Stunden früher erfährt, was er doch sehr rasch merken wird, wenn Papa mit seinem Verdachte recht hat. Ich führe eine feste Hand und habe Augen im Kopf. Für die Bücher habe ich, wenn nötig, Deiner guten Stiffings Vetter. Der ist ja Oberspecialist darin. Nebenvollmacht nach mir hat ihm ‚Pa‘ für alle Fälle ja schon gegeben. Was brauch’ ich mehr?“

*  *  *

Am zweiten Tag darauf gegen Abend ging der „Kolumbus“ in der Bai von Havanna vor Anker.

Havanna ist nie schöner, als wenn man es nach mehrtägiger Seereise zum erstenmal sieht. Es machte einen gewaltigen Eindruck auf die Amerikaner, die Kuba noch nicht kannten. Fräulein Arlington war hingerissen, als ihr Schiff langsam an dem felsigen Vorsprung des Morro und der Punta vorüber und durch den engen „Mund“ des Hafens dampfte, als das weite Becken der Bai sich den Blicken öffnete, völlig umschlossen, auf der einen Seite von der Hügelkette von Guanabacoa, auf der andern von der herrlichen Stadt, die mit ihren weiß, rosenrot und himmelblau schimmernden Häusern zwischen Gärten und Palmenhainen leise anstieg bis zu dem im Hintergrund liegenden Fort El Principe und den Villenvorstädtcn von Cerro, Quemados und Marianao.

Die bevorstehende Ankunft des Postdampfers war durch die Flaggensignale des Hafenforts der ganzen Stadt angezeigt gewesen, und als er beidrehte, schossen von allen Seiten die Boote unter weißen dreieckigen Lateinersegeln heran. Spanische, englische, französische, deutsche Rufe schallten durcheinander, und als die Fallreeptreppe herabgelassen war, lag binnen wenigen Augenblicken eine ganze Flottille von „Lanchas“, dicht aneinander vertäut, am Dampfer und zahlreich drängten Freunde, Bekannte und Verwandte herauf, die Ankommenden zu begrüßen.

Unter den Ersten war eine junge Dame; schon von der Treppe her sandte sie fröhlichen Zuruf vorauf, als sie Fräulein Arlington erblickte, und jubelnd flog sie ihr dann um den Hals.

„Merci, liebste Merci, das ist ja zu nett von Dir, hier heraus zu segeln,“ rief Bonny Kate, als die Küsse sie zu Wort kommen ließen, und grüßte dann höflich nach dem Wasser hinunter, wo die Dueña ihrer reizenden Freundin ruhig unter dem kleinen weißen Leinendach im Boot sitzen geblieben war, dem Rate folgend, den ihr Schützling der schon etwas ältlichen Dame liebenswürdigerweise gegeben hatte. Sie hätte nur über zwei, drei andere Boote hinweg an Bord des Dampfers gelangen können, die früher angekommen, also naher an der Treppe angebunden waren und die nun in den Wellen der Bai auf und ab tanzten, sich stießen und drängten, bald schrittweit auseinander lagen, bald sich hart aneinander scheuerten. Es war sicherer, zu bleiben, wo sie war, und Mercedes Morales durfte man schon ruhig einmal sich selbst überlassen. Sie winkte Kate Arlington, die sie von New York her schon kannte, noch immer lebhafte Grüße hinauf, als diese schon ihren Bruder mit den Augen suchte. Er stand wenige Schritte davon, eben stellte sich ihm in verbindlichster Form ein schlanker junger Herr mit den englischen Worten vor: „Antonio Carvajal hat ohne Zweifel das Vergnügen, Herrn John Arlington zu begrüßen?“

Auf den Ruf seiner Schwester wandte sich der Angeredete aber, sah die beiden jungen Mädchen, machte sich von Herrn Carvajal mit einem kurzen: „Ja, Herr, erfreut, Sie zu sehen, einen Augenblick bitte,“ los und eilte mit ausgestreckten Händen auf Fräulein Morales zu.

Donna Mercedes und ihr Bruder waren in New York erzogen worden, Mercedes in derselben Pension wie Kate Arlington, bei Mademoiselle Arnaud. Aus jener Zeit stammte die Freundschaft der Geschwisterpaare. Merci – ihr Spitzname war auch im Institut Arnaud erfunden worden – und Johny schienen sehr gute Freunde zu sein, nach der Lebhaftigkeit zu urteilen, mit der sie sich begrüßten.

„Ist sie nicht noch hübscher geworden?“ fragte Kate ihren Bruder.

„Kein Gedanke,“ antwortete er, „wäre vollkommen unmöglich gewesen.“

Mercedes lachte. „Sie sind ein Schmeichler geworden,“ sagte sie. „Ich hätte das nie für möglich gehalten an dem Tage, da ich Sie zum erstenmal sah. Erinnern Sie sich noch des ersten Fußballkampfes, auf der ich Ihrer Schwester zu Gefallen die blauweißen Farben Ihres Klubs trug? Sie großer Junge waren schön grob zu mir armem kleinen Mädchen, als ich nicht gleich begreifen konnte, weshalb und nach welchen Regeln sich die vielen Menschen herumbalgten.“

„Nun, ich habe mich aber doch damals Ihrer Erziehung in lobenswertester Weise angenommen.“

„Unzweifelhaft, ich bin Ihnen auch ewig dankbar dafür. Ich habe meinen Bruder zu entschuldigen, er kommt erst heute abend von Veracruz zurück. Wir hofften, der mexikanische Dampfer würde vor dem Ihrigen hier sein. Mein Bruder wollte Sie dann mit empfangen. Nun müssen wir es umgekehrt machen. Wir holen ihn nachher ab, der ‚Juarez‘ ist ebenfalls schon signalisiert und muß jeden Augenblick eintreffen.“

„Reizend,“ rief Bonny Kate. „Euer Havanna ist so wunderschön, wir steigen in Dein Boot und segeln so lange in der Bai.“

„Jawohl,“ sagte Mercedes, „so hatte ich es auch mit Papa überlegt. Unsere Wagen warten am Hafenquai, dicht am Zollamt. Euer Gepäck geht voraus, unser Diener Pedro ist mit einer

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 383. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_383.jpg&oldid=- (Version vom 15.5.2021)