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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Sie hat etwas merkwürdig Demütiges, etwas, das zu ihrer stolzen Erscheinung gar nicht paßt; auch Kurt gegenüber giebt sie sich so, aber lieb und gut ist das Mädel, sie wird Dir gefallen.

Ich erwarte sie heute wieder bei mir, sie will über ihre Aussteuer mit mir sprechen, weil sie doch keine Mutter hat, wie sie traurig sagt. Die Hochzeit soll sehr still und klein sein, die Kronens haben noch Trauer. Kurt ist damit einverstanden, er meint, man könne später nachfeiern mit Euch allen, wenn Sophie seine Frau geworden. Das denk’ ich auch –.

Eben höre ich einen Wagen vorfahren, sie kommt!“

Ditscha tritt gleich darauf in das Zimmer der alten Dame. Sie ist doch sehr glücklich, man sieht es an dem Glanz ihrer Augen, und sie schmiegt sich mit einer Zärtlichkeit an die liebenswürdige alte Frau, als müsse sie nachholen an Liebe, was sie alle die langen Jahre entbehrt hat.

Kurt trifft sie nicht daheim, er ist auf der Jagd. Sie weiß es und hat sich vorgenommen, mit der Mutter alle möglichen Dinge zu besprechen, die sich auf Ausstattung und Einrichtung beziehen.

Während sie beim Thee sitzen, erzählt Ditscha, daß Onkel ihr ein wundervolles Präsent gemacht habe an Leinen und Damast. Hanne habe es ausgesucht, die Truhen auf Beetzen sind ja so voll davon. Und außerdem habe Onkel ihr zwölftausend Mark geschenkt – es solle seine Hochzeitsgabe sein – zu Möbeln für Ditschas Zimmer. „Aber die Möbel, die wollen wir doch zusammen aussuchen, Kurt und ich – Mutterle – und deshalb müssen wir nach Berlin,“ fügt sie hinzu.

„Aber, Ihr närrischen Kinder, Ihr könnt doch nicht allein nach Berlin,“ sagt Frau Rothe, „und ich alte wacklige Person – ich bin nicht imstande, zu reisen.“

Ditschas Gesicht überfliegt ein Schatten. „Cilly wäre mitgefahren,“ bemerkt sie, „aber Onkel will es nicht, er meint, die ist gar nicht bei der Sache, sie sei keine passende Begleitung. Und Tante Anna lehnt es ab, ich möchte auch nicht mit ihr – ach, Herzensmutter, geht es wirklich nicht?“

„Töchterle, ich will’s versuchen,“ tröstet die alte Dame freundlich, der das arme Kind leid thut – wie geringschätzig wird sie doch behandelt – „aber dann wartet, bis ich überhaupt heimreise, bis zum ersten Advent – ja?“

„Natürlich,“ sagt Ditscha fröhlich, „und man kann recht überlegen bis dahin.“

Sie gehen später durch alle Zimmer, und Ditscha bestimmt, zu welchem Zweck sie dienen sollen und dann schleicht sie sich allein in Kurts Stube und setzt sich voll Andacht auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch und streicht wie liebkosend über das Holz, das seine Hand berührt hat, küßt seinen Federhalter und legt eine letzte blasse Rose, die ihr im Gürtel steckt, auf das Löschpapier der Mappe und schreibt daneben mit winzigen Buchstaben mit Blaustift, der ihr zur Hand liegt: „Es grüßt Dich Deine glückliche Ditscha!“

Als sie heimfährt, lehnt sie im Wagen mit einem großen Glücksgefühl im Herzen, gesteigert durch die Güte des Onkels, durch die Liebe der alten Frau, durch das Bewußtsein, einer schönen Zukunft entgegen zu gehen. So hat sie sich noch nie gefühlt; wenn sie Stimme hätte, möchte sie singen, irgend etwas Uebermütiges, einen Jodler oder Jauchzer, wie ihn der Aelpler hinunter schickt ins Thal. Irgend etwas muß sie auch ausführen, aber was denn nur? Etwas Gutes, damit Gott die volle Seligkeit ihres Herzens erkenne. Sie beschließt, der lahmen Margret, der dürftigen Schneiderin, heimlich die Nähmaschine zu bezahlen, die sie sich auf Abzahlung angeschafft hat; die erste Rate ist noch kaum von ihr geleistet, und Ditscha freut sich, wie das blasse Geschöpf sich wundern wird, wenn Kaufmann Gerlach in Bützow das Geld von ihr nicht mehr will, das sie, wer weiß wann? bringen mag. Hundert Mark kann Ditscha gut und gern von dem Ausstattungsgelde nehmen, was schadet es?

Onkel Jochen steht am Fenster, als sie zurückkehrt; neben ihm preßt sich das rosige Gesicht des Kleinen an die Scheiben, sie nickt und winkt ihnen zu. Wie sie sich freuen! Ach, jene beiden werden sie schwer vermissen, und das ist auch ein süßes Gefühl, das sie ebenfalls erst jetzt kennenlernt. Sie eilt rasch die Stufen der Freitreppe hinan und will ebenso rasch in die Zimmer des Onkels, da ruft Hanne, über das Geländer gebeugt.

„Gnä’ Fröln – Fröln Ditscha, in de Lüdstuw is wen, der mit Se sprecken will.“ Und als Ditscha erstaunt aufhorcht, sagt sie. „Ja, Sie werden sick wunnern, gnä’ Fröln, ’s ist Grete Busch, oder wie sie nu heißt, Fru Bröse.“

„Grete Busch?“ wiederholt Ditscha langsam.

„Ja, sie wart’ all an die drei Stundens und hat mich die Ohren vollgeklöhnt, wie slecht sie des nu geht. Sie is bei ihr oll Mutter mit’n Kind, und das annere hat ihr Mann ja woll,“ berichtet Hanne, indem sie die Stufen vollends herunter kommt.

„Dann schicke sie hinaus,“ sagt Ditscha und geht die Treppe empor nach ihrem Zimmer. Es ist ihr zu Mute, als sei jählings aller Sonnenschein gewichen, der eben noch so strahlend auf der Welt gelegen. Sie nimmt Hut und Mantel ab und steht mit aufeinandergepreßten Lippen in der Mitte des Zimmers, als es klopft.

„Herein!“ ruft sie. Eine kleine korpulente Frau schiebt sich durch die Thür, ziemlich ärmlich gekleidet. Kein Rembrandthut, kein Plüschpaletot, alles sehr simpel und unmodern, wenn auch damenhaft; ein einfacher Filzhut mit Schleifen von Band, das sehr oft aufgebügelt sein mag, ein Plaid um die Schultern – prachtvolle Verkleidung; nur das Gesicht, das verschwommene dreiste Gesicht ist echt und zeigt die Farbe einer Person, die die Nächte durchwacht und täglich Schminke und Puder gebraucht. Die schlaffen verlebten Züge deuten auf ungeordnete Lebensweise; geradezu schrecklich frivol, obgleich die Augen sich bemühen, recht demütig und bescheiden zu blicken.

„Kennen gnä’ Fräulein mich noch?“ beginnt sie.

„Ich würde Sie kaum wieder erkannt haben,“ antwortet Ditscha. „Was wünschen Sie von mir?“

„O, gnä’ Fräulein, warum sagen Sie denn ‚Sie‘ zu mir, das thut aber weh!“

„Was wünschen Sie?“ fragt Ditscha noch einmal.

„Allererst hab’ ich Sehnsucht gehabt, gnä’ Fräulein wieder zu sehen; es ist kein Tag und keine Nacht vergangen, in denen ich nicht an Ihnen gedacht hab’, und wie ich las, daß das gnädige Fräulein sich verlobt haben – mein Mann“ – hier thut Grete einen tiefen Seufzer – „schickte mir die Zeitungsnummer mit der Verlobungsanzeige aus Berlin, und da hab’ ich zu meiner alten Mutter gesagt. da muß ich hingehen und gnä’ Fräulein grattelieren, was ich hiermit bestens thue, auch von Muttern, und hab’ gedacht, ich könnt’ gleich ’mal fragen, ob gnä’ Fräulein vielleicht Arbeit für mich hätten. Bei so einer großen Aussteuer giebt’s doch allerlei. Gnä’ Fräulein, ich thu’ recht schön bitten“ – hier sucht Grete nach dem Taschentuch und verzieht das Gesicht zum Weinen – „denn es geht mir recht bitterlich slecht, gnä’ Fräulein.“

Ditscha ist eine so von Grund aus wahrhafte Natur, daß ihr das Schluchzen der Frau nicht einen Augenblick unecht erscheint. „Das thut mir sehr leid,“ sagt sie, „ich will mit Hanne sprechen – es wird sich schon etwas finden, Sie können vielleicht Handtücher besäumen?“

„O gern, gern, gnä’ Fräulein, alles, was Sie haben, damit ich nur nicht ganz und gar Muttern zur Last falle mit dem Gör.“

„Wie viel Kinder haben Sie denn?“

„Zwei – aber das ist schon zu viel, wenn der Mann nichts verdient.“

„Und wie kommt das?“

„O Gott! O Gott!“ beginnt Grete. „Er hat ja so’n großes Malheur gehabt mit zwei Pferde kurz hintereinander; das eine ist auf der Straße gestürzt und hat müssen gestochen werden auf dem Fleck, und mit das zweite im Cir – – wollt’ sagen, in die Manege, und beide soll er bezahlen, weil der Herr sagt, er ist da schuld an. Gnä’ Fräulein, was kann er denn dafür, wenn ihm ein Junge das Pferd mit Knallerbsen wirft, und was kann er dafür, daß das andere ein stätsches Vieh war und den Hals nicht hergeben will, und er es prügeln muß und es sich dann mit ihm überschlägt und auf der Stelle tot bleibt? Das erste ist bezahlt, so viel Geld hatten wir uns ja gespart – dreitausend Mark, gnä’ Fräulein, hat das Vieh gekost, und das andere siebzehnhundert Mark. Das kann er aber nun nicht leisten, und da hat uns der Herr die Sachen pfänden lassen und hat meinem Mann ein schlecht Zeugnis gegeben, und nu gerad’, wo wir dachten, wir könnten uns selbständig machen –“

„Das bedauere ich sehr,“ sagt Ditscha.

„Und nu sucht er nach einer neuen Stelle,“ fährt Grete fort, „und ich bin mit der Kleinen bei Mutter derweil; den Jungen hat er behalten, ich kann doch der alten Frau nicht gleich zwei Gören

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