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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

beichten – bitte, höre mich erst, doch kein Ton kommt über die zitternden Lippen.

„Aber –?“ fragt er. „Kein Aber, Ditscha! Du liebst mich – ja oder nein? – Ja? Nicht wahr? Und in der Liebe giebt es kein Aber – ach, Ditscha!“

„Der Onkel,“ stammelt sie, noch immer widerstrebend.

„Glaubst Du, der Onkel wird ‚Nein!‘ sagen, Sophie?“

Sie schüttelt das Haupt. „Sprechen Sie mit ihm,“ fleht sie.

„Er ändert nichts an der Sache,“ antwortet er und küßt ihre Hände. „Es giebt nichts in der Welt, das zwischen uns treten könnte, weder des Onkels, noch eines andern Menschen Wille – nichts! Aber, wenn Du es so willst, so sei es!“

Sie ist einen Schritt zurückgewichen, die Arme hängen ihr schlaff herunter und sie sieht ihn an mit müden todestraurigen Augen. Wird er morgen noch so denken wie jetzt, oder wird sie ihn verloren haben, nachdem Onkel ihre Thorheit erzählt? Sie selbst kann es nicht thun, kann es nicht, und wenn sie sterben sollte auf der Stelle.

Und plötzlich, wie von einer ungeheuren Angst getrieben, ihn zu verlieren, nachdem sie ihn kaum gefunden, schlägt sie die Arme um seinen Hals, und, ihren schönen Kopf an seine Wange schmiegend, flüstert sie: „O, ich habe Dich so lieb! So lieb!“ Und sie selbst küßt ihn, zaghaft, scheu, flüchtig, dann ist sie an ihm vorüber geeilt und er hört sie mit halbverschleierter Stimme rufen: „Achim! Achim!“

Er findet sie nach ein paar Minuten auf den Knieen vor dem wilden Jungen, der ihre Wangen streichelt und fragt: „Hast Du Dir sehr weh gethan, Ditscha?“ Denn er meint, ihre Thränen fließen, weil sie sich gestoßen hat.

„Nein, nein!“ sagt sie, „aber nun komm, wir müssen fort!“




Ditscha weiß gar nicht, wie sie es fertig bringt, ihre Kommissionen in Bützow auszurichten. Sie sieht sich in allerhand Läden, sie geht mit Achim in die Konditorei und läßt ihm ein Baiser geben, und als sie wieder aus der höchst primitiven Konditorstube kommt, flammen durch den Nebel des Herbstabends schon die Oellaternen, die hier zu Lande noch an langen Ketten inmitten der Straße schweben.

Ditscha hat den Wagen an die Apotheke bestellt, wo sie für Hanne die „Ballerjahnsdroppen“ kaufen will, und geht eben über den Paradeplatz, welch stolzen Namen der ungepflasterte Markt Bützows führt, der Officin zu, die, außer dem alten Backsteinbau des Rathauses, das vornehmste Gebäude dieses Platzes ist. Sie ist so in Gedanken versunken, daß sie die Dame nicht beachtet, die, ein kleines Mädchen an der Hand, an ihr vorüber geht, ihr starr ins Gesicht sieht und stehen bleibt, um ihr nachzuschauen. Dann wendet sich die Beobachterin, geht Ditscha nach und wird nahe der Apotheke von einem Reiter eingeholt, der so eilig über den Marktplatz trabt, daß er die kleine dicke Person mit dem riesigen Rembrandthut beinahe übergeritten hätte. Er achtet ihrer gar nicht weiter, giebt Friedrich, der neben dem Wagen steht, das Pferd zum Halten und sieht lächelnd durch die Scheiben in den Laden, um dann ganz unbefangen einzutreten.

Die kleine Dame mit dem Rembrandthüt hat das alles beobachtet. Sie steht jetzt an seiner Stelle und späht durch die Glasthür; sie sieht, wie Ditscha erschrickt, wie sie dann lächeln muß, so innig und glücklich, und wie der Junge ihm in die Arme springt. Der Herr kauft eine Flasche „Kölnisches Wasser“, und dann tritt Ditscha aus dem Laden heraus, geht dicht an der Dame vorüber und besteigt mit dem Kleinen den Wagen; der Herr schwingt sich auf sein Pferd, und an Ditschas Seite reitend, verläßt er den Platz und das Städtchen.

Nun geht auch die Dame in den Laden und fordert für zwanzig Pfennig Pfefferminzkuchen und dabei fragt sie wie beiläufig: „Wer waren die Herrschaften?“

„Das Fräulein von Kronen aus Beetzen mit dem kleinen Bruder.“

„Und der Herr?“

Der Provisor kennt ihn nicht, aber ein altes hustendes Weib, das neben seiner Tragkiepe auf der Bank aus dunkelm Mahagoniholz sitzt und auf eine große Medicinflasche wartet, die eben kunstgerecht mit Goldpapier zugebunden wird, sagt: „Dat is de niee Herr von Dombeck – de Lüd sprecken ja in uns’ Dorp, he geiht frigen um de junge Baroneß ut Beetzen. Na, de kann lachen, denn he het Gald as Heu!“

„Ah so!“ macht die mit dem Rembrandthut, und ihr Kind, ein kleines Mädchen von drei Jahren, ganz in hochroten Flanell gekleidet, an der Hand fassend, verläßt sie, sehr von oben herabgrüßend, die Apotheke.

In einer engen Straße, deren Gebäude vor Alter sämtlich schief stehen und deren Pflaster halsbrechend ist, tritt die Dame in ein Haus, klettert mit dem Kinde eine Hühnerleiter empor, denn viel besser ist die Treppe nicht, und öffnet die Thür eines Zimmers. Es ist sehr ärmlich aber sauber da innen, und der Glasschrank mit den vergoldeten Tassen ist auch noch da. Oll Mutter Busch sitzt am Ofen ihres Witwenstübchens und strickt, und die Eintretende ruft ihr zu: „Zieh’ ’mal das Kind aus, Mutter, ich will nur gleich ’mal ein paar Worte an meinen Mann schreiben.“

Sie wirft den Mantel ab, aber den Hut behält sie auf, holt Tintenfaß, Papier und schreibt:

 „Lieber Alfred!
Ich brauche nur noch ein wenig Zeit, dann werde ich es schon haben – sorge Dich nur nicht. Sieh doch jetzt alle Tage ’mal nach die Verlobungsanzeigen in der Kreuzzeitung, und wenn Du eine findest von hier, so schreibe gleich, ich will dann nach Beetzen und gratulieren. Ich denke auch, achthundert Thaler sind besser als fünfhundert, und ich borge gleich so viel, das Bezahlen kommt ja auf eins heraus. – Mutter ist wohl, und was die Kleine ist, so bleiben die Leute auf der Straße stehen und sagen, so ’was Süßes giebt’s nicht mehr. – Ich kann jetzt noch nicht bestimmen, wann ich retour komme. Es grüßt bis dahin
  Deine Grete.“

Sie trocknet das Geschreibsel, indem sie es über die Petroleumlampe hält, und sieht dabei entzückt das kleine Mädchen an, das, die Händchen auf die Tischplatte gelegt und auf den Zehen stehend, der Mutter Thun beobachtet.

Und in der That, ein idealschöneres Geschöpfchen als dieses giebt es nicht, mit seinem hellblonden Haar und den dunkeln mandelförmigen Augen. „O Gott, o Gott, ich freß Dich noch auf, Du süßes Balg!“ ruft Grete Busch, jetzige Frau „spanische Reitschulstallmeister“ Bröse, und sie küßt erst das Kind und klebt dann den Brief zu. „Nu bleib’ bei Großmutter, ich geh’ man bloß auf die Post; und wart’ nur, später kauf’ ich Dich die schönste Puppe in ganz Berlin mit die feinsten Kleider, und dann gehen wir in den Zoologschen, Du sötes Krabauter!“ –




Ditscha sitzt am folgenden Tage, eiskalt vor Angst und Aufregung, in ihrem Zimmer, die Hände ineinander gepreßt, und wartet – Kurt Rothe ist bei ihrem Onkel.

Er ist ganz ohne Aufsehen gekommen, zu Pferde. Ditscha hat ihn selbst so früh nicht erwartet, sie hatte aber doch so viel Zeit, den Onkel vorzubereiten und mit zitternder Stimme zu bitten, ihm alles, alles zu erzählen, was der mit einem: „Jawohl, Kind!“ versprach. Einen Augenblick ist ihr auch wieder Grete Busch durch den Sinn geschossen, aber, lieber Gott, wer weiß, wo die sein mag, unb ob sie schlecht genug wäre, auszuschwatzen, und ob sie überhaupt je wieder kommen wird, und? – – Aber sie schweigt von dieser Mitwisserin.

Wird er gehen? fragt sie sich – wird Onkel Jochen sie rufen lassen?

In Onkels Stube hat sich die Unterredung, die ungemein feierlich begann, zu einer sehr herzlichen gemütlichen entwickelt. Natürlich hat Onkel Joachim erzählt, daß seine Nichte kein Vermögen besitzt, denn zwanzigtausend Thaler heutzutage – na – wenigstens doch eine Aussteuer! Dann hat er erklärt, er würde sie furchtbar vermissen, und dabei sind ihm ein paar ehrliche Thränen aus den Augen geflossen, und endlich beteuert, ein besser Gemüt gäbe es nicht wie sie. „Ein bißchen ernst, wissen Sie – schwere Erfahrungen – Waise – unser stilles einförmiges Leben – verstehen Sie –“ Und Kurt Rothe hat darauf versichert, daß er Ditscha gar nicht anders wolle, als sie gerade sei, und daß ihn eben dieser Ernst angezogen habe.

Onkel Joachim fehlt die Pfeife, die ihm aus aller Verlegenheit zu helfen pflegt; er sitzt da und dreht die Daumen, und in seinem Hirn wälzt sich ein Chaos von Gedanken, wie er am besten erzählen kann von Ditschas Thorheit. Endlich steht er auf, klingelt

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