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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)


Der Fischmarkt.

Elisabethbrücke. In aller Morgenfrühe, wenn die eben geschilderte Toilette des Marktes beendet ist, regt sich ein seltsames Leben. Man hört Geschrei und Hundegebell, als ob der Wilde Jäger im Anzuge wäre. Der Lärm rührt von einer mächtigen Kolonne von Miniaturwagen her, die von Hunden gezogen werden und längs des Wien-Ufers Aufstellung nehmen. Die Besitzer dieser Gefährte, die Greißler (Fragner) gehen in das Marktgewühl, während ihre jeweiligen Karo, Bello, Tiger, Scheckl einen hundertstimmigen Vokalgesang anheben, der Steine erweichen könnte. Gegenüber der einen Front des Freihauses stehen die „Krawaten“, die Marktleute slavischer Abkunft, welche freilich nicht lauter Kroaten sind, mit ihren Bauernwagen, die hochauf mit den Gaben Floras und Pomonas beladen sind: mit Meerrettich und Zwiebelbergen von solcher Mächtigkeit, daß sie dem härtesten Landgrafen Thränen entlocken könnten, mit Kartoffeln, Kraut, Rüben und anderen Gemüsen; und zwischen diesen Wagen schiebt sich ein Gedränge von feilschenden Käufern mit Körben und Butten durch. Auf der andern Seite der Zufahrtstraße befindet sich der Großverkauf von Obst, Nüssen und Südfrüchten. Der Greißler, das Standlweib, das unter einem Hausthor oder in einer Straßenecke seine Verkaufsbude aufgeschlagen hat, suchen hier ihren Vorrat auf die billigste Weise zu erwerben. Aber auch die Besitzer von Luxusgeschäften und Delikatessenhandlungen kaufen ihren Bedarf an Obst und feinen Gemüsen häufig auf dem Naschmarkt ein und geben ihm dann in den raffiniert hergerichteten Auslagen alle erdenklichen exotischen Namen, um ihn zu „exotischen Preisen“ wieder zu verkaufen. Der anspruchsvolle Feinschmecker geht nur zu diesen altberühmten Obstverkäufern der innern Stadt und ist der festen Ueberzeugung, daß man eine solche Ware nirgend sonst in Wien bekommt. Der Händler läßt die vornehmen Kunden bei ihrem Glauben, daß all die teuren Sachen aus Algier, Sizilien und Südfrankreich bezogen sind, und die Morgenpromenade auf den Naschmarkt trägt ihm hundertfachen Nutzen. Ganz anders sieht es auf dem Kleinmarkte ans, der die andere, gegen die Wiedner Hauptstraße gelegene Seite des Naschmarktes einnimmt. Wenn man sich von der Ferne nähert, so glaubt man das Zeltlager eines Nomadenstammes vor sich zu sehen. Die einzelnen „Standln“ der Verkäuferinnen sind nämlich durch riesige Schirme gegen Sonne und Regen geschützt, und diese Hunderte von Leinwanddächern geben dem Marktbilde einen eigentümlich malerischen Anstrich. Den äußersten Flügel dieses Lagers nehmen die Obstverkäuferinnen mit ihren reichbesetzten, künstlerisch aufgebauten Standln ein. Diese sind die eigentlichen „Fratschlerinnen“, welche den Ruf ihrer Gilde als ungemein zungenfertige, mit urwüchsigem Sprachtalente und streitbarem Gemüte ausgestattete Spielart des „schwachen“ Geschlechts durch Jahrhunderte in seltener Reinheit bewahrt haben. Im allgemeinen sind sie jetzt zwar besser als ihr Ruf, und höflich und zuvorkommend, wenn man mit ihnen umzugehen weiß. Wenn sie aber gereizt werden, so kommt auch heute noch die ganze Wildheit ihrer Rasse zum Vorschein. „Frozzeln“ lassen sie sich nicht. Wehe dem Gigerl, der es wagt, mit der Frau Sopherl oder der Frau Xandl anzubinden. Ein ganzes Kehrichtfaß von Schimpfnamen würde sich sofort über sein Haupt ergießen.

Obstverkauf „auf der Freiung“.

„Herda nur da!“ lautet ihr Ruf, „schöne Bergamott-Aepfeln hätt’ i da. Plutzerbirn’, drei um a Sechserl. Kummen S’ her, schöner junger Herr, kaufen S’ mir was a’. Kriag’ i nix z’lösen, Euer Gnaden?“ Wenn sich nun der „schöne junge Herr“, wie auf unserm Bilde S. 353, den Spaß macht, die Dame zu fragen, ob sie keine Wasserstiefeln zum Verkaufen habe, so bekommt er sofort seine Belehrung: „Wasserstiefeln, na, Sö quadralierter Spitaljanker;

aber g’fleckelt und doppelt können

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 349. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_349.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)