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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Auflegen von Schierlingsblättern auf erkrankte Stellen des Körpers tödliche Vergiftungen erfolgten.

Das reine Coniin wurde einmal auch zu Mordzwecken benutzt, und zwar war es ein Arzt, der im Jahre 1860 seine Geliebte damit vergiftete. Der Fall ereignete sich in einem ansehnlichen Dorfe in der Nähe von Dessau und ist dadurch bemerkenswert, daß es den Sachverständigen gelang, in der Leiche Coniin nachzuweisen. Der Arzt hatte sich das Gift verstohlenerweise in der Apotheke des Dorfes verschafft, in welcher er manchmal den Besitzer vertrat.

Aus dem Magen der verstorbenen Luise Berger gewannen die Sachverständigen ein winziges Tröpfchen, kaum ein Centigramm einer farblosen öligen Flüssigkeit, welche sich bei Zusatz von Alkali durch den bekannten widerlichen Schierlingsgeruch kennzeichnete. Eine chemische Analyse des Stoffes auf seine Zusammensetzung war unmöglich; denn hierzu wären mindestens zwei Decigramm, also das Zwanzigfache der vorhandenen Substanz, erforderlich gewesen. Aber mit allerlei Hilfsmethoden gewannen die Sachverständigen doch die Ueberzeugung, daß es sich hierbei um Coniin gehandelt habe.

Diese Annahme wurde noch durch den Sektionsbefund unterstützt, der unverkennbar auf eine bestimmte Todesart, die Erstickung, hindeutete. „Erstickung,“ heißt es in dem betreffenden Physikatsgutachten, „besteht in der Aufhebung des Atmungsprozesses, welcher das Blut von schädlichen Substanzen reinigt und bei dessen Aufhören diese Substanzen, insbesondere die Kohlensäure, im Blute zurückbleibt und vergiftend auf dasselbe wirkt. Das Blut verliert seine Gerinnbarkeit, wird flüssig und nimmt eine dunkle Farbe an. Von dieser Beschaffenheit fand sich das Blut in der Leiche der Luise Berger. Eine äußere Ursache der Erstickung war unerfindlich. Eine dem Erstickungstode ganz ähnliche Wirkung auf das Blut äußern viele Gifte, namentlich die narkotischen, und unter diesen keins in dem Grade wie das Coniin.“

Für eine Vergiftung mit Coniin sprachen auch die Krankheitssymptome, unter denen der Tod der Luise Berger erfolgt war, soweit es sich aus der Darstellung der die Kranke umgebenden Laien – der beschuldigte Arzt war an das Sterbebett seines Opfers gerufen worden – erkennen ließ.

Die Unfähigkeit, die Lampe sofort auszublasen, die Mattigkeit der Stimme deuteten auf eine Schwäche der Atmungswerkzeuge, die Schwerfälligkeit der Bewegungen der Kranken beim Niederlegen auf eine allgemeine Schwäche hin, wie sie durch die narkotischen Gifte, namentlich durch Coniin, hervorgebracht wird.

Ein Beweis großer allgemeiner Schwäche war es, daß die leichte Bewegung, um die Lage im Bett zu wechseln, den Atem aufs höchste beschleunigte. Uebelkeit und Neigung zum Erbrechen die bei der Sterbenden beobachtet wurden, sind ein ziemlich konstantes Symptom von Vergiftung, vor allem aber deutete der plötzliche, unter lautem und schmerzlichem Stöhnen erfolgte Tod beim Mangel aller anderen Ursachen auf Vergiftung hin.

Als Summe aller jener Thatsachen erklärte das Physikat für erwiesen, daß Luise Berger Coniin genommen hatte und an der Vergiftung durch Coniin gestorben war.

Der Giftmischer und Dorfarzt war, wie erwähnt, an das Sterbelager der Kranken gerufen worden. Er kam, als sein Opfer schon tot war. Er hielt sein Hörrohr auf die Brust der Leiche und horchte, dann nahm er eine Feder und hielt sie vor die Nase der Leiche. Nach einem Weilchen erklärte er, Luife Berger sei wirklich tot. Der Angeklagte leugnete jede Schuld. Aber in der betreffenden Apotheke forschte man nach dem Coniin. Durch sorgfältige Untersuchung wurde festgestellt, daß niemals in der Apotheke Coniin gebraucht wurde und daß mindestens zwanzig Tropfen desselben aus dem Fläschchen abhanden gekommen waren.

Der Arzt wurde verurteilt, er gestand die Schuld nicht, aber am folgenden Morgen fand man ihn tot, an dem Fenster seiner Zelle erhängt.

Jener Prozeß galt seiner Zeit mit Recht als ein Triumph der Wissenschaft, die durch chemischen Nachweis des Giftes in der Leiche des Opfers zur Entlarvung des Verbrechers beigetragen. In neuerer Zeit wollte man die Bedeutung dieses Teils der gerichtlichen Chemie in Zweifel ziehen, da während der Fäulnis der Leichen Alkaloide, sog. Ptomaïne, entstehen, die den Pflanzenalkaloiden wie Morphium, Atropin etc. äußerst ähnlich sind, so daß ein Irrtum möglich erschien. Es ist aber der Wissenschaft wohl gelungen, diese Zweifel zu zerstreuen. Wohl bildet sich in den Leichen auch ein Leichenconiin, ein Alkaloid, das sonst mit dem Namen Cadaverin bezeichnet wird; trotz aller Ähnlichkeit mit dem Giftstoffe des Schierlings läßt es sich aber doch von demselben gut unterscheiden.

Die dritte der berüchtigten Schierlingspflanzen ist die Gartengleiße (Aethusa Cynapium), auch Kleiner Schierling oder Hundspetersilie genannt. Man findet sie in Deutschland auf unbebauten Plätzen, unter dem Unkraut auf Schutt, an Mauern, Zäunen und Hecken, ja sie dringt selbst in die Gärten ein und mischt sich hier zuweilen unter die Petersilie. Mit dieser wird sie häufig namentlich in jungem Zustande verwechselt. Beide erst aufsprießende Pflänzchen sind sich sehr ähnlich. Die Petersilie ist indessen eine zwei- bis mehrjährig ausdauernde Pflanze und von langsamerem Wachstum, die Gartengleiße ist nur einjährig und sprießt rasch empor; bald überwächst sie das nützliche Gewächs, verrät sich also dem aufmerksamen Auge und kann leicht ausgerottet werden. Aber selbst, wo beide im Wuchs sich noch gleich bleiben, läßt sich die Gartengleiße von der Petersilie unterscheiden: ihr Grün ist dunkler, ihre Blätter sind glänzender, namentlich an der Unterseite, und während die Petersilie ihren angesprochenen gewürzhaften Geruch hat, riecht die Giftpflanze nur schwach, und zwar etwas knoblauchartig. Später, wenn sich der Stengel ausgebildet hat, mehren sich noch die Unterscheidungsmerkmale: auch die Blüten der Gartengleiße fallen durch ihre weiße Farbe auf, während die der Petersilie eine blaßgelbe Farbe haben.

Früher zweifelten die Aerzte durchaus nicht an der großen Gefährlichkeit der Pflanze und behaupteten, daß die größte Zahl der sogenannten Schierlingsvergiftungen gerade auf ihren Genuß zurückzuführen wäre. Je nach der Menge des verzehrten Krautes sollten bei den Vergifteten Herzensangst, Erbrechen, Durchfall, Magenkrampf, Entzündung und Brand der Därme, Betäubung, Schlafsucht oder Raserei und endlich der Tod eintreten. Aus diesem Grunde hat man auch vielfach in Gemüsegärten die einfache Petersilie durch gefüllte ersetzt, die leichter von der Gartengleiße zu unterscheiden ist. In neuerer Zeit wurde die Giftigkeit der Gartengleiße in Zweifel gezogen, weil Versuche an Tieren gegen dieselbe zu sprechen schienen. Neue Unglücksfälle gaben jedoch den älteren Autoren recht. So erkrankten z. B. im Jahre 1892 in Zeitz sechs Personeu, die Klöße mit Petersilienbrühe, in der sich Hundspetersilie befand, genossen hatten, an Brechdurchfall und zwei von ihnen starben. Neu anfgenommene Versuche an Tieren zeigten gleichfalls, daß die Pßanze selbst für Pflanzenfresser ein Gift ist. Leider hat man bis jetzt versäumt, genauere chemische Untersuchungen über die Beschaffenheit des in der Gartengleiße enthaltenen Giftstoffes anzustellen.

Es kann uns nicht verwundern, daß dieser oder jener Forscher zu gewissen Zeiten solche gefährliche Pflanzen unschädlich findet. Die Pflanzen erzeugen ihr Gift in verschiedener Zeit. So enthält z. B. die Wurzel des gefleckten Schierlings in den Monaten März, April und Mai fast keine Spur des Giftstoffes, wird dann sehr reich an Coniin, verliert aber ihre Giftigkeit im zweiten Jahre wieder. Ferner ist es erwiesen, daß namentlich bei Schierlingsarten die Bildung des Giftstoffes auch vom Boden, auf dem die Pflanze wächst, abhängt. Aber diese Ausnahmen bestätigen nur die Regel. Wir müssen dafür sorgen, daß namentlich die Kinder die gefährlichen Kräuter kennen, daß sie überhaupt sich die Unsitte abgewöhnen, von allerlei in Feld und Wald gefundenen Früchten und Wurzeln zu naschen. Auch Aelteren ist das Studium der Giftpflanzen dringend zu empfehlen. Anleitungen hierzu hat schon der unvergeßliche Roßmäßler in seinen „Büchern der Natur“ (Leipzig, Ernst Keil’s Verlag) gegeben, in denen der 5. Band „die deutschen Giftpflanzen“ behandelt. Aus ihnen kann man noch heute, nach dreißig Jahren, lernen; es verdient in manchen Fällen gegenüber dem vielen Neuen auch das gute Alte empfehlend in Erinnerung gebracht zu werden.

Und noch ein praktischer Wink! Was soll man thun, wenn irgend jemand sich durch Genuß des Schierlingskrautes vergiftet hat?

Zunächst nach dem Arzt senden, dann aber sofort dafür sorgen, daß das Kraut durch Erbrechen aus dem Körper entfernt werde. Der Kranke muß warm zugedeckt werden, damit ein Wärmeverlust nicht eintrete. Droht die Atmung stillzustehen, so muß man künstliche Atmung einleiten und so lange fortsetzen, bis der Arzt kommt.


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 347. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_347.jpg&oldid=- (Version vom 18.7.2023)