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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

einer Bank zwischen Rittmeister von Bredow, der eigens von Berlin herübergekommen ist – auch er ist Ehrengast – und dem Grafen Mangelsdorf, dessen junge Frau sich himmlisch amüsiert über die Art und Weise, wie Cilly sich mit ihm neckt. Die anmutige Wirtin überzählt eben die Häupter der Gesellschaft, lauter Jugend. Tante Anna bemuttert die jungen Damen, sie thront wie die personifizierte Etikette, im Schwarzseidenen, das Eiserne Kreuz an die linke Schulter geheftet, am obern Ende der Tafel und häkelt.

„Ums Himmelswillen,“ ruft Cilly, „wer fehlt denn, wir sind ja nur elf?“

„Bronnow!“ ruft die blonde Gräfin Mangelsdorf.

„Richtig, Bronnow! Ob er noch kommt?“

Die beiden Fräulein von Schlüchtern werfen sich einen Blick zu, die Gräfin hat ihn natürlich längst vermißt!

„Abgeschrieben hat er nicht,“ sagt Cilly, „hoffentlich kommt er noch. Es wäre dumm, wenn er fehlte, gerade heute.“

Das Rollen eines Wagens läßt alle Blicke neugierig nach dem Fahrweg spähen, jenseit des Rasenplatzes.

„Er ist’s nicht!“ ruft Frau Cilly, „es sind die Dombecker Pferde!“

So genau kennen Sie die Dombecker Pferde?“ fragt Herr von Bredow sarkastisch.

„Was man so oft sieht?“ erwidert sie, und in ihren blauen Augen blitzt es auf. Sie bemerkt, wie er eine verdrießliche Miene macht, und ist innerlich sehr beglückt über dieses kleine Zeichen einer eifersüchtigen heißen Liebe. „Ich wüßte nicht, daß mehr als ein bis zwei Tage zwischen seinen Besuchen liegen,“ fährt sie kaltblütig fort, „und ich bin überzeugt, wenn er die Gäule allein laufen ließe, sie kämen richtig auf Beetzen an. Uebrigens bezweifle ich, daß Herr Lieutenant Rothe den fehlenden Mann ersetzen wird; er liebt nicht große Gesellschaft, und wenn er sich anstandshalber auch ein paar Minuten zeigt, so –“

Geht er nur so rasch, um desto eher morgen oder übermorgen wiederzukommen, wo er gewiß ist, daß er Ihre Gesellschaft nicht mit zwölf Andern zu teilen braucht,“ vollendet der Rittmeister und erhebt sich.

Meine Gesellschaft?“ fragt sie und zieht die langen weichen Handschuhe über, inbem sie ihn mit einem reizenden Schelmengesicht anblinzelt. „Meine Gesellschaft?“

Ein zweiter Wagen bringt den ersehnten Bronnow, der jubelnd empfangen wird. Mit ihm kommt Kurt Rothe. Cilly hat recht, er dankt für die Beteiligung am Spiel, bittet, seinetwegen den Beginn der interessanten Partie ja nicht zu verzögern, setzt sich einen Augenblick zu Tante Anna, die ihn vom Standpunkte einer Stiftsdame von Kronen herab leutselig liebenswürdig behandelt und sich von ihm erzählen läßt, in welchem Lazarett er verpflegt wurde, welcher Art seine Verwundung war und ob man die Kugel sogleich gefunden habe.

„Verzeihung, meine Gnädige, meine Mutter sitzt bei Ihrem Herrn Bruder und Fräulein Nichte auf der Veranda, ich möchte einmal nach ihr schauen.“ Eine tiefe Verbeugung, und dahin geht er – zu Joachim und Ditscha.

Tante Anna starrt ihm völlig verblüfft nach. Was soll das heißen? Bringt seine Mutter her? Wozu denn das? Es sieht empörend familiär aus!

Auf der Terrasse sitzt indessen eine alte Frau neben Ditscha, eine alte Frau mit so lieben freundlichen Augen und so silberweißem Scheitel, daß es von ihr ausgeht wie purer Sonnenschein. Und dieser Schein dringt tief in ein verbittertes einsames junges Herz, so daß es ihm ist, als werde es Frühling drinnen, als habe es dennoch – dennoch ein Glück – –.

Das „Mutterle“ ist gekommen, und der große stattliche Mann sieht förmlich gerührt die zierliche alte Frau an, die so gemütlich und anspruchslos zu reden versteht und selbst Joachim von Kronens anfängliches Befremden über diese Zuführung besiegt. Sie hat diesen und jenen Standesherrn gekannt, der mit Joachim seiner Zeit im Herrenhause saß, und das hat er ja immer gesagt: wenn er kein Märker wär’, möcht’ er ein Schlesier sein. – Auf einmal kommt’s zufällig heraus, daß die alte Dame eine Geborene von Schneeblatt ist, und da soll doch gleich dieser und jener – seine Großmutter mütterlicherseits war auch eine Schneeblatt!

„Eine Freiin von Schneeblatt, aus dem Hause Rawinsk?“

„Richtig, Herr Baron.“

„Ja, zum Donnerwetter, dann sind wir ja so’n bißchen verwandt?“

Und nun muß Friedrich den „Gothaischen Kalender“ bringen, und es geht eine furchtbare Familienerörterung los, währenddem Kurt Rothe etwas näher zu Ditscha herangerückt ist und ihre zitternden Hände betrachtet, die sich auffallend hastig mit einer Stickerei beschäftigen – schlanke, schöne, charaktervolle Hände.

Sie schweigen beide. Als nach kurzer Zeit die alte Dame vom Aufbrechen spricht, stimmt er zu, und da der Baron meint, er wolle der gnädigen Frau den Baum zeigen, den die Großmutter, Geborene von Schneeblatt, gepflanzt zum Andenken an irgend ein Familienereignis, so läßt man den Wagen vorausfahren und geht, mit Vermeidung des Croquetplatzes, durch die schattigen, sonnendurchblitzten Wege, auf denen eben die allerersten gelben Blättchen liegen; das alte Paar voran, Ditscha neben Rothe.

(Fortsetzung folgt.)




Der Schierling.

Von M. Hagenau.

Unter den Giftpflanzen zeichnete sich einst der Schierling durch einen besonderen düsteren Ruf aus. Er wurde im Altertum vielfach als Hinrichtungsmittel benutzt und mit Schierlingssaft war der Becher gefüllt, aus dem Sokrates auf Beschluß seiner Richter den Tod trinken mußte. Als später die alte Kulturwelt zu Grunde ging, die Sitten gelockert wurden und so viele den moralischen Halt verloren, da gaben wahnwitzige Lebensmüde öffentliche Gastmahle, bei denen der Schierling das Hauptgericht bildete.

Die Zeiten haben sich verändert. Der Schierliug ist seit Jahrhunderten kein Modegift mehr, aber sein Name ist noch immer furchtbar geblieben, denn Schierlingsgewächse sind leider einigen der Gewürzkräuter, die wir in unserer Küche verwenden, ähnlich, und jahraus jahrein wird durch Verwechslung dieser Pflanzen menschliches Leben bedroht. Kein Wunder, daß die Wissenschaft dem Schierling eine besondere Aufmerksamkeit geschenkt, daß sie mit den schärferen Untersuchungsmitteln der Neuzeit seine verderbliche Wirkung zu erforschen suchte und eifrig bestrebt war, Mittel zu finden, die dem Vergifteten Rettung bringen könnte. So wurde schrittweise das Dunkel gelichtet, das den unheimlichen Schierling umgab. Schärfer und klarer trat seine Gefährlichkeit hervor und um so notwendiger erscheint eine eindringliche Warnung vor dem verderblichen Kraute.

Unter dem Namen Schierling werden in weiteren Volkskreisen verschiedene äußerlich sich ähnlich sehende Pflanzen zusammengeworfen, die jedoch schon in Hinsicht auf ihre Wirkung streng voneinander geschieden werden müssen. Drei Schierlingsarten sind es, die vor allem unsere Beachtung verdienen: der Wasserschierling, der gefleckte Schierling und die Hundspetersilie oder der kleine Schierling.

Parzenkraut, giftiger Wüterich, Sterbewurzel nennt der Volksmund in verschiedenen Gebieten Deutschlands den Wasserschierling (Cicuta virosa) und in diesen Namen sind seine furchtbaren Wirkungen deutlich gekennzeichnet. In Gräben, Teichen und Sümpfen, sogar auf Holzflößen ist er anzutreffen und treibt im Juli und August seine weißen Blütendolden. Alle seine Teile sind giftig, besonders aber die Knolle, die gewöhnlich, aber irrtümlich „Wurzel“ genannt wird. Unkundige haben die Blätter dieser Giftpflanze mit Petersilie verwechselt, andere sie für eine junge Selleriepflanze oder Pastinake gehalten. Wie schrecklich sich derartige Irrtümer zu rächen pflegen, zeigt der folgende Fall, den wir zur Warnung nach dem Berichte des Schweizer Arztes Dr. Wepfer aus älterer Zeit mitteilen:

„Einige Kinder hatten Wasserschierling für Pastinakwurzel gehalten und aus Mutwillen gegessen. Sie kamen lustig und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 344. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_344.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)