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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

das mit schwarzen Sammetschleifen geziert ist, umher flattert und ihn ‚Schwagerchen‘, ‚Onkelchen‘, ‚Großpapachen‘ in einem Atem nennt, ihm eine Rose an die Nase wirft und von seinem Grog kostet, um eine allerliebste kleine Fratze zu schneiden, da lacht er aus voller Kehle.

„War wohl recht lustig – wie?“ erkundigt er sich.

„Ganz famos, ganz reizend, Onkelchen! Und wenn der dumme alte Franz da nicht geradezu ostentativ vor der Freitreppe gehalten hätte und ich nicht wüßte, wie sehr besorgt Du um Deine Pferde bist, Jochen, so wär’ ich noch ein bißchen dort geblieben, denn erstens war da ein alter Bekannter von mir anwesend, und zweitens ein ganz neuer. Da kam nämlich der jetzige Besitzer von Dombeck vorgefahren – spät genug, wir wollten eben zu Tische gehen – und, das weißt Du, Joachim, wer Dombeck kaufen kann, der spielt schon immer eine Rolle.“

„Haha! Das hättest Du bei uns auch haben können! Du, der hat Thee mit Ditscha und mir getrunken,“ lacht der alte Herr.

„Ach, wirklich? Na, ich kann Dir sagen, er hielt sich dort zwar nicht lange auf, aber doch lange genug, um von der ganzen anwesenden Damenwelt interessant gefunden zu werden.“

„Ditscha, hast Du noch heiß’ Was – – wollt’ sagen Eis?“ fragt Onkel Joachim dazwischen.

Hanne, die jetzt eingetreten ist, schmettert ihm ein „Jawohl, Herr Baron!“ entgegen und winkt den Damen zu. Frau Cilly lacht laut auf, macht Onkel Joachim einen regelrechten Hofknix, hält ihm die kinderkleine Hand zum Kuß an den Mund und ist zur Thür hinaus wie ein Wirbelwind. „Gute Nacht, Onkel Joachim!“ sagt Ditscha ernst, und Hanne macht das bekannte vierte Glas; dann geht auch sie und sendet Friedrich, damit er den Herrn in sein Schlafzimmer geleite, „denn, Gott sei’s geklagt, die Gnädige kann’s nu’ nicht mehr – sie nicht.“

„Und das muß wahr sein,“ beginnt Hanne in Ditschas Zimmer, „dat is gar nich’, als wär’ se ’ne Wittfru, das läßt Ihnen veel eher so, und mich freut’s man, dat Se ihr nich ‚Mama‘ näumen, Fröln Ditscha.“

„Gute Hanne,“ antwortet Ditscha, „ich hab’s gethan, weil es der Vater wünschte, aber sie hat es sich verbeten, und so ist’s besser – sie ist so alt wie ich, vierundzwanzig Jahre.“

„Veeruntwintig Jahr’,“ meint Hanne nachdenkend. „Vor ’ne Wittfru is’ zu jung, und vor en Mäk’n – na – grad’ noch so. – O Gott, Fröln Ditscha, wenn Sie doch aufhören wollten, sick to grämen um de oll Kinnergeschicht!“

Ditscha ist blaß geworden, hat Hanne mit einem hochmütigen Blick gestreift und sich umgewandt. Die alte Frau steht verlegen da und macht sich innerlich Vorwürfe; wie konnte sie auch daran tippen! Am liebsten ohrfeigte sie sich. Sie setzt zum Sprechen an, stottert; sie will Ditscha die üblichen kleinen Hilfen bei der Toilette leisten, aber das junge Mädchen ist plötzlich in sein Schlafzimmer verschwunden und hat die Thür hinter sich zugemacht.

Hanne geht, sich selbst verwünschend, hinaus.

In Ditschas Seele stürmt und tobt es wie nie. Einen Moment hatte sie es vergessen, einen, nun ist’s wieder da, was ihr das Leben verbittert, das Bewußtsein des Makels, der ihr Dasein vergiftet, der gekränkte Stolz, die brennende Scham. Die Angst ist da, die schreckliche Angst, weil es jemand giebt, der ihr Geheimnis kennt, in dessen Hand sie geliefert ist, der, wenn es ihm paßt, hintreten kann und sagen: „Von wem sprechen Sie denn? Von Sophie von Kronen? Ach – na – das ist auch eine nette Geschichte, hat ja mit dem liederlichen Perthien durchbrennen wollen, aber – schon unterwegs – da hat sie der Onkel noch glücklich erwischt.“

Ditscha stöhnt auf, ihre Gedanken irren zu der Vermittlerin der heimlichen Liebeskomödie, zu Grete Busch. Sie weiß nicht, wo sie sie suchen soll, hat nie wieder von ihr gehört, noch sie gesehen, seitdem sie den letzten Brief von Hans von Perthien vor ihren Augen zerriß. Sie weiß nur, daß sie geheiratet hat und ihrem Manne gefolgt ist; Beetzen hat sie nie wieder betreten. Vater Busch ist tot, oll Mutter Busch ist fortgezogen aus dem Häuschen wieder in die Stadt, nach Bützow, woher vor dreißig Jahren ihr Mann sie geholt. Neue Gärtnersleute wohnen am Eingange des Parkes, und doch kann Ditscha Grete Busch nicht vergessen, kann nie an dem Häuschen vorübergehen, ohne einen Stich ins Herz zu bekommen. Und heute, jetzt, überkommt sie der Gedanke an das leichtsinnige Mädchen stärker als je – warum? –

Vor ihren Augen steht wieder Dombeck, das alte Dombeck im Grün der Linden. Wie sagte doch Tante Klementine in ihrem Jammer, als Ditscha ihr nach der Katastrophe zuerst wieder vor die Augen trat? „Es bleibt an Dir hängen, Kind, immer und ewig; es bleibt an Dir, und wenn keine Seele außer Dir in der Welt davon wüßte. … Und Gott verhüte, Ditscha, daß Dir je der Mann begegne, den zu lieben Dir bestimmt ist – dann ist das Elend fertig!“

Und seither war Ditschas Gebet gewesen: „Lieber Gott, wende dies Elend von mir ab – schicke mir niemals diesen Einen, den ich lieben muß! Ich selbst, ich weiß und fühle mich rein – ich habe geirrt, aber ich verirrte mich nicht.“

Bis jetzt hat Gott ihr Gebet erhört, bis jetzt. Er wird sie auch ferner bewahren, muß sie bewahren! Und sie faltet die Hände und bittet ganz kindlich darum, daß niemals jener Mann – –

Und mitten drin bricht sie ab und schaut mit starren Augen vor sich hin, lange, lange Zeit, und als sie sich endlich besinnt, da vergißt sie, zu Ende zu beten.




Das ist ein merkwürdiger Sommer auf Beetzen, so ungewohnt lebhaft. Von Gesellschaften ist keine Rede, natürlich nicht; ein halbes Jahr nach dem Tode der Hausfrau giebt man keine Gesellschaft, das gesteht Frau Cilly von Kronen selbst zu, aber hie und da ein zwangloser Besuch, den sie in ihren Zimmern empfängt, die durch den großen Flur von denen des Onkels getrennt im linken Flügel des Herrnhauses liegen, das ist doch wahrhaftig nicht pietätlos zu nennen!

Und so rollen täglich Wagen vor die Freitreppe, im Park sieht man helle Kleider auf den Rasenplätzen, durch die Luft fliegen bunte Reifen, und das harte Klappern des Croquethammers tönt bis zu Ditscha herüber, die neben dem Onkel auf der Terrasse sitzt, ganz versteckt von den Blüten der Kletterrosen. Einmal, ein einziges Mal hat sie versucht, auf energisches Verlangen der jungen Witwe, sich zwischen die vergnügte Gesellschaft zu mengen, aber sie ist sich vorgekommen wie ein verschüchterter Spatz unter Singvögeln, scheu, beklommen, linkisch, und sie hat sich weggestohlen, sobald sie vermochte. Beim Onkel war es am besten – was sollte sie denn unter den Glücklichen? – –

Und dann war ihr jemand gefolgt, jemand, der lachend gesagt hatte, daß er sich mit seinem angeschossenen Beine nicht ganz tauglich fühle zu einem Spiel, bei dem es auf körperliche Gewandtheit allein ankomme, und ob wohl der Herr Baron und das gnädige Fräulein es gestatten wollten, daß er sich ein bisserl zu ihnen setze, um auszuruhen.

Während er sich bei ihnen niederläßt und mit dem alten Herrn spricht, überkommt sie der Gedanke an ihr altes Gebet „Schicke mir keinen, den ich lieben muß – Herr Gott im Himmel, sei barmherzig!“ Warum es ihr gerade jetzt in den Sinn kommt, weiß sie nicht recht.

Und so ist das oft gewesen in den letzten Augustwochen und auch heute an dem blauen, warmen Septembertage – wie wird es sich ferner gestalten?

Onkel Jochen brummt, weil die Cilly schon wieder einmal Gäste hat, man könne sich in seinem eigenen Garten nicht mehr ungeniert bewegen! „Ein wahres Glück, Ditscha, daß Tante Anna endlich geruht hat, wieder in Beetzen zu erscheinen,“ setzt er hinzu. „Als Anstandsdame ist sie höchst nötig, wo jetzt die ganze ‚goldene Jugend‘ der Nachbarschaft bei Cilly verkehrt – und sie ist wie geschaffen dazu. Wer kommt denn heute wieder alles?“

„Cilly erzählte nur vom Croquetkränzchen und von den Ehrengästen, Onkel,“ antwortet Ditscha.

„So! So! – Der Dombecker ist ja wohl auch Ehrengast?“

Ditscha nickt, und langsam steigt eine rosige Glut in ihrem Antlitz empor, die vom Onkel nicht bemerkt wird.

Unter den Linden, in der Nähe des großen kurzgeschornen Rasenplatzes sind die Kaffeetische hergerichtet. Eine Gesellschaft von ungefähr zwölf Personen hat sich dort versammelt; das Lachen und Plaudern hört man bis hier herüber. Cillys Jungfer und ein Groom, den die junge Frau in ein wunderliches Kostüm mit phantastischer Verschnürung und weißen weiten Hemdärmeln – sie nennt es „ungarisch“ – gesteckt hat, machen die Bedienung. Cilly selbst, im gelblichweißen Flanellkleide, dessen kurzer Rock die niedlichsten Füße in hochhackigen Lackstiefeln sehen läßt, sitzt auf

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