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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Hause, und gegen Weihnacht hin, gerade als Frau Cilly begonnen hatte, wieder aufzuleben, und von einem Nachbargut zum andern fuhr, ihre Besuche zu machen, und die ersten Kisten ihres Kleiderlieferanten aus der Residenz eingetroffen waren mit Gesellschaftstoiletten, da schloß Tante Bertha ihre müden Augen für immer.

Ach ja, es ist anders geworden im Beetzener Herrenhause, ganz anders, aber einsam und kalt blieb es für Ditscha noch immer.

Vorhin ist Frau Cilly in eleganter Halbtrauer nach Westerwohl zum Grafen Mangelsdorf gefahren, man will da eine Croquetpartie spielen. Ditscha ist mit eingeladen, hat aber abgesagt. Onkel Joachim schläft noch, klein Joachim treibt sich irgendwo umher im Park mit seiner Bonne.

Ditscha erwacht aus ihrer Träumerei durch das rasche Anfahren eines Wagens vor der Freitreppe. Sie erhebt sich und blickt aus dem mit Kletterrosen umwundenen Säulengang hinunter zu dem Gefährt. Ein stattlicher Mann in tadellosem Besuchsanzug springt aus dem Korbwagen und giebt dem hinzueilenden Friedrich seine Karte, der sie Ditscha überreicht. Sie läßt den Gast bitten, näher zu treten, und verfügt sich zu Onkel Joachim, um ihn in das Empfangszimmer zu holen.

Unterwegs sieht sie die Karte an.

 Kurt Rothe
Lieutenant der Reserve im 4. Garderegiment zu Fuß.
 Rittergutsbesitzer auf Dombeck.

Ah, richtig, Dombeck ist ja verkauft; an einen Bürgerlichen verkauft der alte Grafensitz, und der neue Eigentümer macht nachbarschaftliche Besuche.

„Wie sieht denn der Jüngling aus, Ditscha?“ fragt Onkel Jochen und betrachtet seine rotgeschlafene Wange im Spiegel, indem er mit der Taschenbürste seine spärlichen weiß gewordenen Haare ordnet. „Weißt nicht? Auch gut – ich sehe ihn mir gleich selbst an. Alter Mann schon – was? Irgend einer, der bei Armeelieferungen reich geworden ist und das Geld hat, Dombeck zu bezahlen – na – ich komme gleich, komme gleich!“

Ditscha geht und muß noch denken, wie alt Onkel Jochen seit dem Tode seiner Frau doch geworden. Es ist ihr noch nie so aufgefallen wie eben jetzt; und noch mit diesem Gedanken beschäftigt, betritt sie das kühle, etwas verdunkelte Empfangszimmer und steht einem großen Manne gegenüber mit blondem Vollbart und Haar, dessen helle intelligente Augen sie mit dem Ausdruck unverhohlener Bewunderung betrachten. Es ist einen Augenblick, als wollten sich da zwei Menschen auf den Grund der Seele sehen.

Ditscha fühlt, wie sie rot wird. Sie fordert ihn auf, Platz zu nehmen, indem sie sagt, daß der Onkel sofort erscheinen werde. Sie hat so zurückgezogen gelebt, und sie wünscht in diesem Augenblick, die quecksilberne Gewandtheit Frau Cillys zu haben, um ein Gespräch in Fluß zu bringen. Es fällt ihr aber weiter nichts ein als: „Wie gefällt’s Ihnen in Dombeck?“

„Ich hoffe, es soll mir noch sehr gut gefallen; jetzt bin ich noch nicht eingewöhnt, meine Gnädige. Es ist ein schönes Gut, aber es gehört viel Arbeit hinein. Schloß und Park sind mir fast zu herrschaftlich, fast zu groß, und vorläufig habe ich noch Sehnsucht nach dem gemütlichen Häusel meiner väterlichen Besitzung.“

„Wo steht das ‚Häusel‘?“ fragt Ditscha und ein seltenes Lächeln fliegt um ihren Mund.

„In Schlesien,“ sagt er und lächelt auch. „Mein älterer Bruder sitzt darin mit seiner Familie und unserm alten Mutterle – sie ist da halt nicht wegzubringen.“

„Und warum auch?“ fragt Ditscha.

„Weil ich sie gern hier gehabt hätte. Oder, meinen Sie, gnädige Frau –“

„Fräulein –“ verbessert Ditscha.

„Gnädiges Fräulein – Pardon – es sei für einen verzogenen, verwöhnten Menschen wie ich bin, angenehm, nichts wie leere Zimmer um sich zu haben?“

„Sie kommt gewiß bald auf Besuch,“ tröstet Ditscha und lächelt wieder. Und in diesem Augenblick tritt Onkel Joachim ein, und Ditscha überläßt die Herren einander.

Onkel Joachim schickt nach einem Weilchen Friedrich und läßt sagen, daß Herr Rothe den Thee mit der Familie nehmen werde.

Ditscha beordert ein frisches Gedeck und schiebt selbst einen Korbsessel herzu. Der kleine Joachim in einem blauen Matrosenanzug erscheint, und just als Friedrich die silberne Kanne bringt, betreten die Herren die Terrasse. Ditscha schickt das Kind zur Begrüßung entgegen und fragt, ob es erlaubt sei, daß es da bleibe, um seine Milch zu trinken.

„Aber, ich bitte darum,“ ist die artige Antwort; und Onkel Joachim erzählt in aller Eile, daß das arme Kerlchen den Vater im Kriege verloren habe.

Die Herren verschmähen das Gebäck und rauchen. Onkel Joachim interessiert sich lebhaft dafür, in welchem Zustande sein Gast Dombeck gefunden habe, und ist erfreut, daß derselbe mit sehr großer Zurückhaltung über den Vorbesitzer spricht. Er weiß ja, daß Dombeck total verloddert ist, hört’s aber nicht gern, wenn sein alter Freund, Graf Amfeldt, getadelt wird.

Taktvoll! denkt er, wirklich taktvoll! als der junge Mann die Waldkultur sogar lobt. – Dann werden die Jucker vor dem Wagen bewundert.

„Ein Paar richtige Katzen,“ sagt Onkel Jochen, „aber das Zeug läuft wie der Deubel.“

„Ich habe sie selbst geholt aus Ungarn,“ erzählt Kurt Rothe.

Nun kommt das Gespräch auf Reisen. Ueberall ist der Gast gewesen. Ditscha lauscht mit gesenktem Kopf.

„Wo waren Sie denn während des Feldzuges?“ fragt der Hausherr.

„Vor Paris und in Orleans, Herr von Kronen.“

„Und nun wird Friedensarbeit gethan?“ nickt der alte Herr.

„Gott geb’s – auf lange!“ stimmt sein Gast bei. „Ihr Enkel? Herr Baron?“ fragt er dann, auf den Kleinen deutend, der herzu geschlichen ist und sich an seines Onkels Knie lehnt.

„Nein – ich habe keine Kinder mehr – ich –“

Ditscha sieht zu Herrn Rothe hinüber mit einem bittenden Blick und legt den Finger leicht auf die Lippen. „Es ist mein kleiner Bruder,“ sagt sie laut.

Ein Weilchen wird noch hin und her geredet, dann empfiehlt sich der Besuch. Joachim begleitet ihn die Treppe hinunter; Ditscha steht an der umrankten Säule und blickt dem Wagen nach, bis er hinter dem Boskett verschwindet. Der Kleine ist seinem Onkel entgegengesprungen, und der hat ihn an der Hand gefaßt; beide gehen durch den Park auf den vom Abendsonnenschein vergoldeten Wegen.

Ditscha fährt sich mit der Hand über die Stirn. Es ist ihr so eigen, so freundlich zu Mute. Ob es die warme, tiefe Männerstimme war, oder seine milde ernste Art? Oder ist es der stille köstliche Sommerabend? Sie weiß es nicht, aber sie kann es nicht hindern, daß ihre Gedanken in das einsame Dombecker Schloß einkehren. Sie kennt es; es liegt gerade dort, wo die ‚krumme Beetze‘ in den Strom mündet, ist von alten köstlichen Bäumen umgeben und hat noch Wall und Gräben wie zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges, der es merkwürdigerweise verschonte; und sie kennt die Gänge und Säle und Zimmer.

Ja, einsam mag’s da sein!

Abends bei Tische – Onkel Jochen und sie speisen allein – sagt der alte Herr plötzlich: „Ditscha, den mußt Du Dir genauer ansehen, wenn er Dir einmal wieder in den Weg läuft, der hat das Eiserne Kreuz erster Klasse! Ich sah es vorhin in der Rangliste – was meinst Du dazu?“

Ditscha wundert sich eigentlich nicht darüber und sieht so aus, als würde sie sich eher wundern, wenn er es nicht hätte; sie schweigt also.

„Cilly scheint sich jetzt das Spätnachhausekommen anzugewöhnen,“ spricht Onkel Jochen weiter.

„Ich denke mir, daß die Herrschaften zum Abendessen an Westerwohl geladen sind, Onkel?“

„Soll sich mehr um den Jungen kümmern,“ fügt er brummig hinzu, „ich glaube, sie sieht ihn den ganzen Tag nicht. Des Morgens schläft sie bis zehn Uhr –“

„Aber Hanne versorgt ihn sehr gut, Onkel –“

„Ach was, das ist der Mutter Angelegenheit! Freilich,“ setzt er hinzu, „Hanne erzieht ihn besser, als Cilly es thun würde, die ihn wie einen Schoßhund behandelt. Muß ein Präceptor heran, ein Präceptor, wenn’s kein Unglück werden soll.“

Abends um zehn Uhr kommt Frau Cilly. Sie tritt in die Stube, wo Ditscha mit dem Onkel sitzt. Onkel trinkt Sommers den Grog kalt, mit etwas Citronensaft darin. Er ist beim dritten

Glase, und als die junge Frau in ihrem weißen gestickten Kleide,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 342. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_342.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)