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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Marokko und Italien führte, wurden Anschauung und künstlerisches Empfinden gekräftigt.

Dann begann mehr und mehr die Schaffenskraft in beachtenswerte Werke auszuströmen. In einigen Bildnissen und in einer warm empfundenen Darstellung der deutschen Hausfrau prägte sich das frische Talent so fesselnd aus, daß ihnen aufrichtiger Beifall auf den Ausstellungen gezollt wurde. Auch zeigten Bestellungen und Verkäufe, daß er beim Publikum Anklang fand.

Und nun regte sich der Historienmaler, der große und bedeutungsvolle Handlungen groß und bedeutungsvoll darzustellen wünscht. Der Künstler, dessen Vaterstadt einst für das protestantische Bekenntnis so schwer gelitten, wandte sich der Reformationsgeschichte zu und schuf jenes schon erwähnte Bild, das Luther darstellt, wie er mit überzeugender Begeisterung in der altehrwürdigen Wartburg-Kapelle, durch deren bunte Scheiben goldig das Sonnenlicht dringt, vor einer kleinen Gemeinde, unter ihr der ehrenfeste Burgvogt und dessen liebliche Gattin, eine Predigt hält. Das war die erste, wirklich hervorragende Schöpfung des Meisters, die seinen Ruf fest begründete. Das feine charakteristische Leben der Figuren, die Kraft der Farbe, der reizvoll geschilderte Kampf zwischen dem Sonnenlicht und dem Schatten des Raumes, die trefflich ausgedrückte Art des deutschen Wesens stempelten das Werk zu einem der besten, welche die damalige Berliner Kunstausstellung darbot.

Schon im Jahre 1886 wurde der damals einunddreißigjährige Künstler zur Vertretung des erkrankten, leider zu früh verstorbenen Professor Hellquist als Lehrer an die Kunstakademie in Berlin berufen, im folgenden Jahre wurde ihm das Lehramt unter Ernennung zum Professor endgültig übertragen. Bis zum Jahre 1893 hat er in diesem Amte gewirkt, zahlreiche Schüler mit ausgezeichnetem Erfolge vorbildend; dann aber trat er von ihm zurück, um sich ungehindert seiner Kunst widmen zu können. Reisen die vorzugsweise nach Holland, Belgien und Paris unternommen wurden, und zwar meist in Begleitung der liebenswürdigen Gattin, der Tochter eines Marburger Professors, haben den bisherigen Berliner Aufenthalt zeitweise unterbrochen. In Brüssel regte ihn der Eindruck der Kirche von St. Gudule zu einem Bildercyklus an, der ihn gleichfalls bis in die jüngste Zeit beschäftigt hat. Auch in ihm hat Hugo Vogel gezeigt, mit welcher Meisterschaft er das Studium der feineren Lichtwirkungen im Dienst einer schöpferischen Kunst verwendet, die darauf ausgeht, Vorgänge der Vergangenheit mit dem vollen Reiz unmittelbaren Lebens im Bilde darzustellen.


Schwester Brigitte.

Novelle von Otto von Leitgeb.

     (3. Fortsetzung.)

Die Wochen verrannen.

In Käthes Seele that sich ein Zwiespalt auf. Es war ein Widerstreit dessen, was sich ihr eigenes Herz langsam aufgebaut hatte, und der neuen Eindrücke, die sich in dieses drängten. In ihre Seele, die früher klar und ruhig und wirklich eins mit sich selber gewesen, rannen so verschiedenhaltige Empfindungen zusammen, daß sie fast feindlich aufeinander stießen.

Langsam wurde aus ahnungsvoller Sorge ein fühlbarer Gegensatz und aus dem Gegensatz oft ein Ringen, wie von zwei Gegnern, die sich auf einem Pfade begegnen, der nur für Einen Raum hat. Und manchmal wurde es ein wilder Kampf, in dem ihr Herz blutete.

Es ahnte niemand, daß sie solchen Kampf in sich trug. Es wußte niemand, wie sie sich innerlich beugte vor dem Sturmwind, der an sie prallte, der die Blüten zerpflückte, die sie mit liebevoller Hand gepflegt, und sie forttrug, weg von ihr. Ihr Herz haschte nach jeder, als greife sie sehnsüchtig danach, wie der Sturm sie wirbelnd wegtrug über ihren Scheitel, die süßen geheimnisvollen Blumen ihrer Träume.

Und dann wieder wollte sie mit aller Macht die fremde Sorge hinausdrängen aus ihren Gedanken. Jene alten, freudewarmen Träume mußten ja die stärkeren sein. Sie hatten ihr ja so viel gegeben, so viel Vertrauen, so viel Zuversicht, so viel Glück. Sie waren ja das Leben, und das andere war der Tod.

Aber der Tod ist stärker als das Leben.

In seiner Angst kam ihr Herz bis dahin, sich selber zu täuschen, und sie sagte sich vor, daß sie an die Täuschung glaube. Dann waren hundert Stimmen laut in ihr und geschäftig, sie zu beruhigen, und so lange sie klangen, gab sie sich dem Irrtum hin, als könnte er sie betäuben.

Weit dahinter aber, ganz in der Ferne, ahnte sie einen Ton der lauter war als die andern alle. Und dann kam er näher, immer näher, bis die tröstlichen Stimmen schwiegen, eine nach der andern, bis der einzige Ton ganz allein, alles übertönend, an ihr Ohr schlug, ein einziges Wort, das alles versagte, alles verwischte, alles verneinte, ein riesengroßes Nein, das überall lebendig wurde, in jedem Atemzug, in jedem Blutstropfen, der in ihrer Schläfe pochte, in ihr und um sie – überall.

Und es war eine Lüge, daß die Liebe blind macht. Wurde sie denn nicht sehend? Hörte und sah sie nicht mehr als früher? – Es war, als ob ihre Sinne verschärft und verdoppelt würden, als käme ein neuer hinzu, der auf geheimnisvolle, wunderbare Art die Eindrücke aufnahm, wo sie sonst niemals zu erlangen sind, aus ahnungsvollen, fast hellseherischen Empfindungen, die über ihre Seele huschten wie der Widerschein einer unsichtbaren zitternden Lichtquelle.

Sie wurde ernster und wortkarger. Sie konnte manchmal das heitere lustige Plaudern von Hubert und Gusti schwer ertragen. Sie wurde fast empfindlich und konnte manchmal die beiden nicht lachen hören.

Sie tadelte sich selbst und litt darunter. Aber ändern konnte sie es doch nicht.

Aus ihren Stimmen hörte sie immer einen andern Klang heraus, der nebenher ging, so, als läge der Gedanke nicht mehr in den Worten allein, als schwebte er im Ton, im Hauch.

Und in ihren Augen sah sie dann nur mehr das Fremde, das, was der neue Sinn sah, was sich verbergen wollte, was mehr sprach als alle Worte; was die andern selbst vielleicht noch nicht verstanden und was sie doch schon erkennen mußte, mit dem grausamen Klarblick, der in ihrem Herzen erwacht war.

*     *     *     

Der Schnee schmolz und warme Regen wuschen den Winter hinweg. Die Tropfen von den Dächern gaben ein lustiges Konzert. Lange Tage standen die Wassertümpel wieder auf dem Markte, und in den Gossen rauschte es wie Bächlein. Wie im Herbst die fröstlichen Winde angekündigt hatten, daß der Winter näher ziehe, weckte nun eine laue Luft allenthalben die wohlige Ahnung vom kommenden Lenz, und der Himmel wurde klar und sonnig.

Nun trat auch Herr Meier drüben ab und zu wieder unter die Hausthüre, mit den Händen in den Taschen seiner Beinkleider. Und während er ein wenig auf den Platz hinaussah, hatte er die Gewohnheit, die Geldstücke aneinander zu reiben, die seinen dicken Fingern in der Tasche begegneten.

Sah er Hubert zufällig daherkommen, so rief er ihn von weitem an. „N’tag, Herr Förster, N’tag!“ Denn er gab ihm diesen Titel höflich im voraus. Gelegentlich unterhielt er sich auch mit ihm über die Jagd, über den Wildbretmarkt, über Streu- und Holzpreise.

„Mir scheint, der junge Mann gefällt Ihnen nicht übel, Herr Gevatter!“ sagte der alte Doktor eines Tages und zwinkerte mit den kleinen Augen, wie er zu thun pflegte, wenn er eine Neckerei im Sinne hatte. „Wär’s am Ende ein Eidam?“

„Hm!“ machte Herr Meier. „Uebrigens – es ist dafür gesorgt, daß die Gusti sich ihren Mann wird aussuchen können, Herr Doktor, wenn er nur ein braver und ordentlicher Kerl ist!“

Ueberall streckten sich nun grüne Blättchen in die Höhe, auch an den Rainweiden in Krügers Garten. Und am Waldrand draußen machten sich die Palmkätzchen schön, und darunter wurde es gelb von den aufgehenden Primelsternen. Hubert brachte einmal einen ganze Strauß davon mit, der dann tagelang im Fenster stand, der erste Frühlingsgruß. Der Vater arbeitete wieder an den Beeten draußen herum, und Käthe fing an, ihre Gemüse für die Küche zu besorgen.

Es schien alles wieder wie es immer gewesen, so viele Jahre daher.

Und doch war etwas anders geworden nicht für Käthe allein; auch für Hubert schien sich etwas Fremdes eingeschlichen zu haben

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 319. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_319.jpg&oldid=- (Version vom 18.7.2023)